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Stadtsee-Serie Kleine Weltreise von Laden zu Laden

Für die Serie "24 Stunden Stadtsee" hat die Volksstimme jeder Stunde des Tages,einen anderen Akteur des Stadtsee-Lebens besucht.

Von Thomas Pusch 21.08.2015, 17:13

Stendal l Um 11 Uhr herrscht nicht gerade Andrang in der Ladenzeile hinter dem Altmark-Forum, doch es gibt ein quirliges Angebot, das fast alle Bedürfnisse stillen kann. "Exakt" heißt das erste Geschäft, was so unangenehm streng deutsch klingt. Doch drinnen herrscht bunte Fröhlichkeit, für die nicht zuletzt Tuyet Hang Tran verantwortlich ist. Erst möchte sich die Asiatin hinter der Sprachbarriere verstecken, aber dann beginnt die Vietnamesin zu plaudern.

Seit 2006 gibt es dieses Geschäft nun schon, in dem schier alles vom Gartenzwerg bis zum Büstenhalter und Einkaufstrolley zu bekommen ist. Aber "Exakt" ist auch eine Änderungsschneiderei. "Hier können Hosen gekürzt, Reißverschlüsse, alles repariert werden", sagt die Chefin hinter ihrer Nähmaschine. "Haben Sie auch Geburtstagskarten?", fragt eine Kundin mit osteuropäischem Akzent, die den Laden betritt. "Ja, da", sagt Tran und zeigt neben die Eingangstür. Die Kundin findet eine Karte, zahlt einen Euro und verlässt zufrieden das Geschäft.

Von Plauen nach Stendal

Seit 20 Jahren ist die Chefin schon in Deutschland, war zunächst in Plauen, bevor sie nach Stendal kam. Stadtsee ist mittlerweile ihr Zuhause geworden und als der Sohn, der nun in Hannover studiert, ihr anbot, nach Niedersachsen zu kommen, lehnte sie dankend ab. Manche Kunden sind für sie auch Freunde geworden, die sie gerne mal zum Essen einlädt. Sie fühlt sich wohl - exakt in diesem Geschäft und exakt in Stadtsee.

Gleich nebenan kann der Einkaufsbummler einen großen Schritt von Vietnam nach Russland wagen. Russische Spezialitäten sind nämlich der Grund, in das Geschäft von Serhiy Poroshkevysh zu kommen. Der ist zwar aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew, aber Politik spielt für den Kaufmann keine Rolle. Eine Freundin hatte ihm den Tipp gegeben, es doch mal mit diesem Sortiment zu versuchen, 2000 eröffnete er ein Geschäft in einem Haus an der Albrecht-Dürer-Straße, das mittlerweile schon abgerissen ist, zog dann an die Adolph-Menzel-Straße und ist seit 2012 an der aktuellen Adresse.

Fast unbegrenztes Angebot

"Alenka" heißt das Geschäft - "so wie meine Frau", verrät er liebevoll lächelnd. In der Anfangszeit arbeitete sie hier noch mit, mittlerweile hat er eine angestellte Verkäuferin. Das Angebot ist fast unbegrenzt, Wurst und Käse gibt es ebenso wie Konserven in Gläsern und Dosen, Tiefkühlware, Räucherfisch, Süßigkeiten, Spielzeug und natürlich Spirituosen. Wodka darf in einem russischen Laden wohl nicht fehlen. Russen bilden auch den größten Kundenstamm, allerdings hat Serhiy auch eine Veränderung in der Kundschaft beobachtet. "Erst kamen durch die Spätaussiedler immer mehr Leute, die sind nun weg, aber es kommen viele Deutsche, Türken und Araber", hat er festgestellt.

Ins kalte Wasser stürzten sich Sandrina und Sven Waschke, als sie 2013 den An- und Verkaufladen übernahmen, der einen Schritt weiter in der Ladenzeile ist. Stereoanlagen, DVD-Player und Handys gehören zum Angebot. "Manches nehmen wir in Kommission, anderes zahlen wir gleich in bar", erklärt die Chefin. In ihrem Geschäft kann man gut den Geldfluss beobachten. Wenn am Monatsanfang Geld aufs Konto überwiesen wurde, kaufen die Kunden; am Monatsende, wenn das Geld knapp geworden ist, kommen die Verkäufer.

Helfen statt verkaufen

"Natürlich wird da auch gehandelt, manchmal kommt man sich vor wie auf einem Basar", schildert Sandrina Waschke. Aber alles hat seine Grenzen, schließlich muss sie auch verdienen. Videorekorder, die laufen in dem kleinen Geschäft, in dem es auch Kinderwagen und sogar ein Piratenbett für den Nachwuchs gibt, am besten. "Ältere Menschen haben oft noch Videokassetten und können sie nicht abspielen."

Nicht ums Verkaufen, sondern in erster Linie ums Helfen geht es beim Sozialen Wegweiser vom Paritätischen, dessen Mitarbeiterinnen einen Raum in der Kunstplatte nutzen. Sie wollen den Stadtsee-Bewohnern helfen, die in Schwierigkeiten geraten sind. Margit Baumotte ist immer zur Sprechzeit da, heute sitzt auch Andrea Belitz mit an ihrem Schreibtisch. Sie hat eine Stadtsee-Bewohnerin zum Wohnungsvermieter begleitet, es gab Probleme mit der Mietzahlung. Das besprechen die beiden nun. Ein häufiges Problem. "Wir wollen eine Räumung verhindern", sagt Belitz.

Erinnerung an alte Zeiten

Ein paar Gänge weiter ist das bunte Reich von Heidi Schmidt. Seit zehn Jahren näht und verarbeitet die gelernte Schneiderin Kostüme für die Kunstplatte und seit einiger Zeit auch für das T. "Was war das für eine schöne Zeit, als es jedes Jahr neue Musicals von der Kunstplatte gab", erinnert sie sich. Aber auch heute hat sie immer etwas zu tun. Gerne erinnert sie sich an das große Musical "Ritter Roland" von 2014, aber genauso stolz zeigt sie die Kostüme, die gerade auf ihrer Kleiderstange hängen.

Auch die Arche ist kein Geschäft, obwohl sie in der Ladenzeile beheimatet ist. Es ist kurz vor zwölf, also wird dort das Mittagessen vorbereitet. Heute gibt es Senfeier. Iris Baumhäkel schnippelt Kartoffeln. So genau kann sie gar nicht sagen, wie viele Kartoffeln sie für die hungrigen Mäuler vorbereitet. "Einen großen Topf", ist die Angabe der Hausfrau und Mutter, die zwar keine gelernte Köchin, aber darauf bedacht ist, dass die Kinder in der Arche etwas Vernünftiges zu essen bekommen.

Tatsächlich international

Eintöpfe sind nicht so beliebt. "Nur bei Nudelsuppe funktioniert es ein bisschen", verrät sie. Das Gemüse wird dann beiseite gelassen, aber Nudeln lieben die Kinder. Draußen, auf der Sitzfläche im Grünen, putzt Mandy Mielenz schon die Tische. "Am Nachmittag sitzen wir hier, trinken Kaffee und es gibt viele Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen", sagt sie. Sie arbeitet ehrenamtlich in der Arche, jeder Tag biete etwas Neues.

"1000 kleine Dinge" gibt es in dem gleichnamigen Geschäft, in dem Daniela Çaça als Verkäuferin arbeitet. "Ich glaube, es sind sogar mehr als 1000", sagt die 40-Jährige lachend mit einem Blick in die Regale. Und wahrscheinlich hat sie recht: T-Shirts, Blusen, Jogginghosen, Dekorationsartikel, Nützliches, Schmückendes, Überflüssiges, alles da. Aber ihr kommt gerade eine ganz andere Erkenntnis im Gespräch mit einer Freundin, die gerade zu Besuch ist. "Ich bin mit einem Türken verheiratet, mein Chef ist Inder, nebenan arbeiten Vietnamesen und Ukrainer und die Kunstplatte ist multikulti, merkste was?" Und sie sagt es ganz ohne Unterton. Stadtsee ist eben tatsächlich international.

Mitarbeit: Nora Knappe