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IBA rettet das Keramik-Wandbild aus dem ehemaligen Haus der Bauarbeiter / Künstler Bruno Groth: "Woanders sind solche Arbeiten einfach auf dem Müll gelandet"

Von Reinhard Opitz 24.02.2011, 16:52

Es war der Blickfang im großen Speisesaal des Hauses der Bauarbeiter: das aus 550 Keramikfliesen bestehende Wandbild "Vier Jahreszeiten" aus dem Jahr 1975. Der Saal wird demnächst abgerissen und macht einem Supermarkt Platz. Die Eigentümerin, die IBA GmbH, lässt das Wandbild zurzeit abnehmen und sucht noch einen künftigen Standort.

Stendal. Herbst und Winter sind schon mit aller gebotenen Vorsicht samt Mörtelschicht von der Wand geklopft und - zuvor nummeriert - in Holzkisten verpackt. Die mit "Frühling" und "Sommer" beschrifteten Kisten, allesamt vom Berufsbildungswerk Stendal angefertigt, stehen für den Rest bereit. 550 Fliesen, jede 21,5 Zentimeter im Quadrat, die mehr als 35 Jahre lang das Wandbild "Vier Jahreszeiten" bildeten, sollen, bevor die Wand, die sie bisher schmückten, abgerissen wird, für die Zukunft erhalten werden.

"Wir erfüllen damit nicht etwa eine an die Abrissgenehmigung geknüpfte Auflage der Behörde oder so etwas", sagt IBA-Geschäftsführer Hartwig Bretschneider. "Wir halten die Arbeit einfach für wertvoll und für ein Dokument der Zeitgeschichte, das erhalten werden muss." So lässt IBA das 1975 im Auftrag des damaligen Baukombinats Altmark entstandene Kunstwerk in diesen Tagen abnehmen und zunächst einlagern. Bretschneider: "Wohin es einmal kommt, ist leider noch nicht klar. Wir möchten es verschenken und suchen einen passenden Ort dafür." Mit der Hansestadt und dem Landkreis Stendal würden bereits Gespräche geführt. Ein ausreichend großer Raum muss es schon sein, denn die "Vier Jahreszeiten" erstrecken sich über elf Meter Länge und drei Meter Höhe.

Das aus vier quadratischen Teilen zusammengesetzte Bild erinnert mehr an klassisch-antike Schäferszenerien als an die in seiner Entstehungszeit vorherrschende "Bau auf, bau auf!"-Mentalität. Dafür haben Manfred Gabriel aus Burg und Bruno Groth aus Magdeburg, beide freiberufliche Maler und Grafiker, letzterer auch Keramikgestalter, gesorgt. Während die Entwürfe von Gabriel stammten, war Groth vor allem für die Ausführung verantwortlich: eine aufwendige Unterglasurmalerei in holländischer Fayence-Technik auf Keramikfliesen, die in Meißen gebrannt wurden. Beide Künstler, Groth Jahrgang 1926, Gabriel 1939 geboren, die ihr Bild seit 1975 nicht mehr gesehen hatten, nahmen gestern die Demontagearbeiten im ehemaligen "Bauarbeiter" in Augenschein und waren mit dem bisherigen Resultat mehr als zufrieden.

"Ich bin IBA sehr dankbar, dass unser Bild nicht sang- und klanglos mit abgebrochen wird", freute sich Manfred Gabriel. Und Bruno Groth, der übrigens über dem Eingang des heutigen Hauses der Kreishandwerkerschaft am Mönchskirchhof ein weiteres Keramikkunstwerk in Stendal hinterlassen hat, ging es nicht anders: "Nach der Wende mussten wir oft erleben, dass solche Arbeiten einfach auf dem Müll landeten, zum Beispiel im ehemaligen Hotel International in Magdeburg. Dass es auch anders geht, se-hen wir hier."

Abgesehen von seinem künstlerischen und materiellen Wert ist das Wandbild von Gabriel und Groth eng mit der jüngeren Geschichte Stendals verbunden. Von 1975 bis 1989, in der Phase des vom KKW-Bau verursachten stürmischen Wachstums der Stadt, waren die "Vier Jahreszeiten" der Blickfang im Saal des Hauses der Bauarbeiter. Danach, als das Kino Klappe hier einzog, wurde es hinter einer Kinoleinwand versteckt. Als das Kino 2008 schloss, kam es wieder zum Vorschein und durfte noch einmal - 2009 bis 2010 - seine Wirkung auf tägliche Besucherscharen testen - nun waren es Schüler, denn der Saal diente der Schulspeisung.

Nun sind seine Tage gezählt. IBA hat das Grundstück laut Hartwig Bretschneider veräußert, und nach dem Abriss soll hier ein NP-Markt entstehen.

Und wohin nun mit dem schönen Bild "Vier Jahreszeiten"? In der Stadtverwaltung sei unter anderem über die Grundschule Nord nachgedacht worden, sagt Sprecher Klaus Ortmann. Aber bisher sei noch keine Lösung spruchreif.