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Neue Serie: Verborgene Räume in öffentlichen Gebäuden / Teil 1: Der Rathaus-Dachboden Filmreif mit Klavier und Doppelbett

Von Nora Knappe 10.03.2011, 05:26

Ali Baba verschaffte sich einst mit einem magischen Spruch Zugang zur Schatzhöhle der Räuber. Auch wir sagen in unserer neuen Serie in loser Folge "Sesam, öffne dich" und schauen in Räume öffentlicher Gebäude, die einem normalerweise verborgen bleiben, die aber viel zu erzählen haben. Heute: der Dachboden des Stendaler Rathauses.

Stendal. Der Dachboden des Rathauses ist nicht so, wie man sich einen richtig schönen Dachboden wünscht: Er ist nicht voller alter Möbel, voller Gerümpel, voller Dinge zum Entdecken. Bis auf ein paar Kabelstränge und drei alte Kronleuchter aus dem Festsaal ist er leer. Aber doch voller Ästhetik. Staubgefiltertes Licht schleicht sich durchs labyrinthische Gebälk. Und steigt man die hölzernen Treppen empor, entdeckt man eine Nische nach der anderen - mit wunderbarem Blick auf und über Stendal.

Auch Klaus Schmotz ist wahrlich beeindruckt von der Atmosphäre. "Ehrlich gesagt, war ich hier erst zweimal während meiner rund zwölfjährigen Amtszeit." Naja, warum sollte er auch unterm Dach promenieren, wenn es im Rest des Hauses nicht nur wichtiger, sondern auch wohltemperierter zugeht.

Fast hätte es der Dachboden aber zu einiger Bedeutsamkeit gebracht. "Es wurde überlegt, ihn zur Not als Fluchtweg zu nutzen", erzählt der Oberbürgermeister. Aber das war dann doch keine gute Idee. Zu verwinkelt, zu viele Stolperfallen.

Dennoch wird der Rathaus-Dachboden immer mal wieder entdeckt - als Filmkulisse. Im Herbst 2008 wurde hier für "Tango im Schnee" gedreht. "Da gab es eine Szene, in der die Enkelin Klavier spielt, dafür wurde ein Boden gebraucht", erinnert sich Stadtsprecherin Sybille Stegemann. Den fanden die Filmleute schließlich voller Begeisterung im Rathaus. "Also wurde das Klavier hier heraufgehievt." Im Film gehörte der Dachboden dann zu einem Fachwerkhaus. "Die Sequenz war nur kurz, hat aber die Atmosphäre sehr gut wiedergegeben", so Stegemann.

Grotesk, aber wahr: auch Staub gesaugt wurde hier oben schon. Wiederum bei Dreharbeiten. Der Stendaler Rico Dietzmeyer hat den Dachboden Anfang Januar als Kulisse für seinen Hochschul-Bewerbungsfilm genutzt. "Die Darsteller, spärlich bekleidet, mussten für eine Szene barfuß gehen", erinnert sich Dietzmeyer amüsiert. Dafür wurde die vorgesehene Strecke ein bisschen saubergemacht. Und wiederum wurde neben der Kameratechnik ein nicht ganz handlicher Gegenstand gebraucht: diesmal ein Doppelbett. "Das haben wir aber in Einzelteilen hochgetragen und erst oben aufgebaut", so Dietzmeyer.

Wenngleich wir uns nun einiges vom Dachboden haben erzählen lassen - sein innerstes Geheimnis konnten wir nicht lüften: seine Geschichte. Nur vage Andeutungen wissen die Befragten zu vermitteln, selbst im Stadtarchiv gibt es keine historischen Daten zur Baugeschichte und Entstehung.

Immerhin: Über den ältesten, heute noch erhaltenen Teil des Rathauses - die Gerichtslaube - ist bekannt, dass er 1345 erstmals erwähnt wurde. Und damit muss die Geschichte des Dachbodens begonnen haben. Unter das steil-schräge Dach der Gerichtslaube gelangt man heute über die Holzbohlen des Rathausdachbodens, irgendwann wurde die Verbindung geschaffen. Das nächste Datum der Rathaus-Chronik ist das Jahr 1450: Da wurde der Südostflügel errichtet, im Obergeschoss mit einem "großen Saal mit Flachdecke oder offenem Dachstuhl".