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Interview für Volksstimme-Projekt "Schüler machen Zeitung" 84-Jährige: "Ich habe viele verstorbene Menschen auf der Straße gesehen"

13.05.2011, 04:33

Emmi-Anni-Auguste Schulze (84) erzählt in einem Interview ihrer Enkelin ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Anlass dazu war das große Interesse von Angelique Czichy an historischen Fakten und der Wunsch, persönliche Erfahrungen von ihrer Oma erzählt zu bekommen.

Wie alt warst du und wo lebtest du, als der Zweite Weltkrieg ausbrach?

Ich wohnte in Oderberg bei meiner Familie mit meinen sieben Geschwistern zusammen. Damals war ich so ungefähr 13 Jahre alt.

Hast du Familienmitglieder verloren?

Ja, ein Bruder von mir ist im Krieg gefallen. Die Zwillinge waren die jüngsten, Christel und Christian. Er wurde beim Spielen durch eine Tellermine tödlich verletzt und Christel ist verdurstet.

Wie war das Verhältnis zwischen den Nachbarn und dir?

Ich hatte ein gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn. Wir haben sogar zusammen Gemüse verkauft. Ich weiß noch, dass bei meinen Eltern Russen angestellt waren.

Viele Menschen in der Zeit sagten, dass sie nichts von den Juden gehört haben. Hast du von ihnen gehört?

Ja, ich habe davon gehört, dass Juden ins Konzentrationslager deportiert wurden. Ich hatte aber selber keinen Kontakt mit ihnen.

Hattest du Freunde in dieser schweren Zeit?

Viele Freunde hatte ich nicht, weil ich mit meinen Eltern viel auf dem Feld arbeiten musste.

Wurden die Lebensmittel und Kleidung zugeteilt?

Wir bekamen immer eine bestimmte Menge an Lebensmitteln und Kohlen. Kleidung konnte man in der Zeit nur begrenzt kaufen. Alles gab es nur auf Karten.

Durftest du deine Meinung frei äußern?

Nein, man durfte in meinem Elternhaus seine eigene Meinung nicht sagen. Die Eltern waren sehr streng.

Hast du verstorbene Menschen gesehen?

Auf der Straße habe ich viele verstorbene Menschen gesehen, die vom Krieg zurückgelassen wurden. Auf dem Marktplatz wurde ein Mann erhängt und hing tagelang an einem Holzkreuz.

Welche Ausbildung hast du erhalten?

Ich ging sieben Jahre zur Schule und ein Jahr auf die Hauswirtschaftsschule. Mit meinen Eltern arbeitete ich oft auf dem Feld, zum Beispiel Rübenverziehen oder Kohl pflanzen.

Hättest du dein Leben anders geführt, wenn der Krieg nicht passiert wäre?

Ja. Ich hätte gern einen Beruf erlernt. Ich habe ja in meinem Leben als Hauswirtschaftlerin, Bedienung in einem Eiscafé und als Stationshilfe gearbeitet. Außerdem wären mir diese schlimmen Kriegserinnerungen erspart geblieben. Jahrelang danach hörte ich noch das Sirenengeheul.

Wie empfandest du die Zeit im Zweiten Weltkrieg?

Die Zeit war schlimm. Ich hatte viel Angst – überlebt man den nächsten Tag? Die Aufenthalte im Luftschutzkeller und das Fallen der Bomben waren das Schlimmste.

Angelique Czichy,

Klasse 8b,

Sekundarschule Bismark