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Jahrelange Mietschulden: Großvermieter setzt Zwangsräumung durch Die Wohnung verloren, die Schulden bleiben

Von Nora Knappe 23.02.2011, 05:35

Zwei Milliarden Euro Mietschulden fallen nach Schätzungen in Deutschland jährlich an. Vielfach weil Menschen durch Verschuldung oder Arbeitslosigkeit ihre Miete nicht mehr zahlen (siehe auch Interview rechts). Am Ende bleibt nur die Zwangsräumung. Ein Beispiel aus Stendal.

Stendal. Eine Wohnungstür, so verwechselbar wie viele. Erster Stock in einem Mietshaus im nördlichen Stendal. Kurz nach 10 Uhr am Dienstagmorgen klingelt‘s. Was mag in diesem Moment in Maik Lehmann* vorgehen? Er lässt sich Zeit, bevor er öffnet, nur der Hund bellt. Er sperrt ihn weg, macht die Tür auf. Die Gerichtsvollzieherin ist da. Und mit ihr eine Mitarbeiterin vom Ordnungsamt, zwei Herren von der Vermietergenossenschaft und vier Männer von der Umzugsfirma.

Der 22. Februar 2011 ist das vorläufige Ende von Maik Lehmanns Existenz als Mieter. Seine Zwei-Zimmer-Wohnung wird zwangsgeräumt. Über 2000 Euro Mietschulden hat er. Und das ist nur der Schlusspunkt unter einer Auflistung versäumter Zahlungen. Im Herbst 2009 ist Maik Lehmann hier eingezogen, die erste Mahnung wegen Mietrückständen kam im Juli darauf. Viermal wurde ihm seither fristlos gekündigt. Mal zahlte er, mal zahlte die Arge, und einmal zahlte sogar sein Arbeitgeber sämtliche Mietrückstände. Im Oktober 2010 hat das Gericht das Räumungsurteil erlassen.

"Ich weiß, ich hab‘ Schulden. Aber ich wusste nichts von dem Termin heute", sagt Lehmann, der allein lebt. Seit November hat er seine Post nicht mehr durchgesehen; irgendwo in dem Stapel, der aus dem Briefkasten gefischt wird, ist auch der gelbe Umschlag der Gerichtsvollzieherin.

Abgerissene Tapete, abgewetzter und teils zerfetzter Linoleumbelag, ein offensichtlich vom Hund zerbissener Türrahmen, klebriger Staub überall. Was die Vermieter in dieser Wohnung vorfinden, sei noch normal. "Wir waren schon in Wohnungen, da lag der Müll so hoch", sagt Harald Schwerin von der WBGA und hält seine Hand in Kniehöhe. Es sei die erste Zwangsräumung nach drei oder vier Jahren für den Großvermieter.

Maik Lehmann, Ende 30, ist ruhig, beinahe schicksalsergeben, nimmt alles hin, macht, was man ihm sagt. Er wirkt, als wüsste er nicht, wie ihm geschieht. Das Ordnungsamt bietet Hilfe an, eine Notunterkunft im Obdachlosenheim. Das will Lehmann nicht, ruft seine Eltern an, kann wohl dort unterkommen. Seine persönlichen Sachen, Ausweis, Papiere, Fotos, Geld, soll er zusammensuchen. Der Rest wird in Kartons gepackt und eingelagert. Auch das muss Lehmann zahlen.

Fremde Menschen packen nun sein Hab und Gut zusammen. Frank Nußbaum, ein großer stämmiger Kerl, hat sich abgewöhnt, das unangenehm zu finden. Es ist sein Job. Er ist seit elf Jahren beim Umzugsservice, wird etwa einmal die Woche bei Zwangsräumungen eingesetzt. Und er habe schon Schlimmeres erlebt. "Der Mieter hier verhält sich super, wir werden ja manchmal auch tätlich angegriffen", sagt er und räumt die ohnehin karg bestückten Regale leer.

Verschuldung, Arbeitslosigkeit, familiäre Probleme, gescheiterte Selbständigkeit – Gründe gibt es viele, dass Menschen in einen bösen Kreislauf geraten, in dem es auch um Scham, Nicht-wahrhaben-Wollen und manchmal auch Lebensuntüchtigkeit geht. "Aber so weit muss es doch nicht kommen", sagt Harald Schwerin. "Wir machen doch Angebote, suchen günstigere Wohnungen, arbeiten mit der Schuldnerberatung zusammen. Es gibt Hilfe."

Maik Lehmann hat das nicht erkannt. Ob er jemals wieder Mieter sein wird?

*Name von der Redaktion geändert