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Bürgermeister vom Innenausschuss des Landtages angehört / Kritik am Eingemeindungsgesetz / Ortschefin Rita Platte: "Entmündigung der Kommunen"

Von Holger Thiel 08.05.2010, 05:17

Bürgermeister von 33 Kommunen des Landkreises waren gestern Vormittag zur öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Landtages geladen. Thema: das Gemeindeneugliederungsgesetz, das die Zwangseingemeindung von Kommunen zum 1. Januar 2011 regeln soll. Acht Bürgermeister nutzten das Angebot und setzten sich überwiegend kritisch mit dem Gesetzentwurf auseinander.

Magdeburg. Die Altmark ist immer für eine Überraschung gut. So waren die Mitglieder des Innenausschusses gestern Morgen bei der Lektüre der Volksstimme durchaus erstaunt. Das große Sorgenkind in Sachen Gemeindegebietsreform im Landkreis Stendal, die Region Tangerhütte, scheint sich zusammen- zuraufen. Das, was sie in der so genannten freiwilligen Phase bis Ende 2009 nicht geschafft hat. Die 19 Bürgermeister haben sich auf einen Kompromiss geeinigt.

Die Einheitsgemeinde soll "Stadt Tangerhütte" heißen, die Steuerhebesätze der Kommunen noch sieben Jahre bestehen bleiben. "Zwischen den 10. und 17. Mai sollen die Gemeinderäte über den Gebietsänderungsvertrag abstimmen", berichtete Rita Platte, Bürgermeisterin von Grieben, dem Innenausschuss. Damit könnte die Einheitsgemeinde noch vor dem Landtagsbeschluss zum Eingemeindungsgesetz im Juni Realität werden. Die Region Tangerhütte könnte so von jenen Zuwendungen profitieren, die andere Kommunen in der freiwilligen Phase erhalten haben, erfuhr die Volksstimme gestern in Magdeburg. Hochzeitsgeld vom Innenministerium.

Rita Platte bedankte sich beim Innenministerium dafür, jetzt "noch einmal Tacheles in Tangerhütte" gesprochen zu haben. Das einzige Lob an das Innenministerium, das von Vertretern der östlichen Altmark gezollt wurde. Für Rita Platte steht fest: Die Gemeindegebietsreform in dieser Form die ländlichen Kommunen "enteignet und entmündigt", "Warum hat man nicht eine Verbandsgemeinde Tangerhütte mit bis zu fünf großen Gemeinden zugelassen?" fragte sie in Richtung Innenstaatssekretär Rüdiger Erben (SPD), der am zweiten Anhörungenstag Innenminister Holger Hövelmann (SPD) vertrat. Keine Reaktion. Jürgen Rendowski, Bürgermeister von Uetz, schlug in die gleich Kerbe. Er fragte, warum nicht die Bildung einer "qualifizierten Verwaltungsgemeinschaft" möglich war. Das wäre für die Region mit ihren 260 Quadratkilometern und 13 000 Einwohnern besser gewesen, so Rendowski.

Für Überraschung sorgte auch Stendals Oberbürgermeister Klaus Schmotz. Er riet den Landtagsabgeordneten, das Kapitel "Vinzelberg" aus dem Gesetzentwurf zu streichen. "Es liegt ein vom Landrat genehmigter Eingemeindungsvertrag vor. Mit Datum vom 28. April." Tiefes Luftholen bei den Ausschuss- mitgliedern.

Zudem forderte Schmotz die Landtagsabgeordneten auf, hinsichtlich der personellen Erweiterung des Stadtrates eine andere Regelung zu suchen. Nach dem derzeitigen Gesetzesvorschlag würde sich der Stendaler Stadtrat von 40 auf 53 Mitglieder vergrößern. 16 Prozent der Bevölkerung würden von einem Viertel des Stadtrates repräsentiert. "Ein bemerkenswertes Ungleichgewicht", kommentierte Schmotz. Und teuer. Die Mehrkosten für die zusätzlichen 13 Stadträte würden sich auf jährlich 25 000 Euro belaufen, "ohne den dazugehörigen Sachaufwand".

Ganz andere Probleme brachte Ralf Berlin, Bürgermeister von Schinne, zur Sprache. Die Gemeinde soll zwangsweise Teil der Einheitsgemeinde Bismark werden. Der Schinner Gemeinderat hatte im Mai 2009 einen Gebietsänderungsvertrag mit Bismark abgelehnt. Grund: Schinne erhält vom Windkraftpark-Betreiber jährlich 22 800 Euro. Dieses Geld wollen die Schinner auch nach der Eingemeindung. "Das Geld wollen wir für unsere Vereine verwenden", so Berlin. Doch Bismark lehnte bislang ab.

Mit Gabriele Andert, Bürgermeisterin von Klein Schwechten, trat eine erklärte Gegnerin der Gebietsreform ans Pult. Sie hielt einen flammenden Appell für den Erhalt der Dorfgemeinschaft. Die Gemeinde soll nach dem Willen des Innenministeriums mit Rochau fusionieren. Aus Sicht von Gabriele Andert völlig unverständlich. Beide Gemeinden werden jetzt von der B 189 und in absehbarer Zeit durch die A 14 getrennt. "Alle Wege führen von Klein Schwechten nach Goldbeck", so die Bürgermeisterin.

Auch Olaf Schmidt, Bürgermeister von Schwarzholz will seine Gemeinde lieber eigenständig und nicht als ein Teil von Hohenberg-Krusemark sehen. Für Schmidt wird die Gebietsreform "mit der Brechstange durch den Parteisoldaten Hövelmann" durchgesetzt. Die Kommunen drohen zu Schlafdörfern zu verkümmern. Die vom Innnenministerium durchgesetzte Bürgeranhörung in seiner Gemeinde im Oktober 2009 – der kreiseigene Bücherbus musste als Wahllokal herhalten – nannte Schmidt eine Farce. Er forderte, die Zwangseingemeindung bis zur nächsten Kommunalwahl auszusetzen.

Hohenberg-Krusemarks Bürgermeister Ralf Bergmann – selbst Landtagsabgeordnete – warb für die Ehe mit seiner Gemeinde. "Wir sind empfängnisbereit", sagte er vor dem Innenausschuss.

Muss er auch sein. Am Donnerstag hatte der Innenminister gegenüber der Volksstimme erklärt, dass das Gesetz "auf der Zielgerade" sei. Er rechne nur mit einigen "kleinere Änderungen", so Hövelmann. Nur, Gemeinden wie Klein Schwechten und Schwarzholz werden den Klageweg beschreiten, kündigten die Bürgermeister gestern an.