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Roswitha Seeber arbeitet Schulchronik und Protokollbuch auf Schulfrei, als der Kaiser starb

Von Doreen Schulze 30.05.2009, 07:26

Den Wittenmoorern ist ein Stück Alltagsgeschichte erhalten geblieben. Die Gemeinde verfügt neben der ehemaligen Schulglocke auch über eine handschriftlich verfasste Schulchronik der Jahre 1885 bis 1943. Roswitha Seeber arbeitete diese Chronik auf. Während einer Seniorenveranstaltung stellte sie diese vor.

Wittenmoor. Seit 1885 zeichnete der Lehrer Karl-Friedrich Bock die Geschehnisse der Wittenmoorer Schule auf. Handschriftlich sind diese in einem 90-seitigen Manuskript überliefert. Roswitha Seeber arbeitete die Schulchronik von 1885 bis 1943 auf. Da heute nur noch wenige Leser darin geübt sind die altdeutsche Schreibschrift zu entziffern, erhielt Seeber beim Lesen Unterstützung von Gitta Köhn und Irmgard Kismacher.

Auszüge der von Bock angelegten Chronik las Seeber, die seit acht Jahren in Wittenmoor lebt, am Donnerstagnachmittag den Senioren des Ortes vor. Der Einladung zum Seniorentreff folgten die Gäste aus Wittenmoor und Vollenschier sowie die Mitglieder der Volkssolidarität.

Auch wenn heute die Kinder in Börgitz oder Stendal die Schulbank drücken, das Schulhaus in Wittenmoor steht noch. Zu DDR-Zeiten war dort die Konsum-Verkaufsstelle untergebracht. Die Schulglocke befndet sich noch heute im Gebäude. 1885 wurden 73 Wittenmoorer Kinder unterrichtet, 35 Knaben und 38 Mädchen, heißt es in der Aufzeichnung. Die Kinder aus Vollenschier kamen damals nicht ins Wittenmoorer Schulhaus. Vollenschier gehörte kirchenpolitisch zu Staats. Der Unterricht fand für alle in einem Klassenraum statt.

Seeber trug Begebenheiten aus der Chronik vor : So teilte der Lehrer den Kindern mit, dass Friedrich III ., Deutscher Kaiser und König von Preußen, am 9. März 1888 verstarb. " Die Kinder der Klasse ergriff ein großer Schrecken ", beschrieb es Bock. Der Lehrer hielt eine Ansprache und entließ die Kinder. Für die Mädchen und Jungen bedeutete das, den Rest des Tages schulfrei zu haben.

Eine tragische Geschichte verbirgt sich hinter dem Eintrag vom 16. Februar 1911 : Ein Achtjähriger ist im Fenn ( Kesselmoor bei Wittenmoor ) ertrunken. Der Junge ging auf die noch nicht ganz zugefrorenen Flächen. Das Eis brach, er ging unter und ertrank.

Zum Seniorennachmittag brachte Seeber auch ein Protokollbuch der Gemeinde mit. Dieses Buch umfasst 160 Seiten, geschrieben in altdeutscher Handschrift. Auch beim " Übersetzen " dieser Schriften halfen Köhn und Kismacher. " Die beiden Bücher für die heutige Zeit lesbar zu machen, hat ein halbes Jahr gedauert ", erzählt Seeber.

Nach dem Vortrag der Wittenmoorerin hatten die Gäste Gelegenheit sich die alten Dokumente anzuschauen. Silke Jung, stellvertretende Vorsitzende der Wittenmoorer Ortsgruppe, legte auch Chroniken und Fotos der Veranstaltungen der Volkssolidarität aus. Beim Blättern in den Fotoalben erinnerten sich die Senioren an vergangene Aktionen.

Dem Vorlesen der Schulchronik ging am Donnerstag ein Grillnachmittag voraus. Hinter dem Grill standen Bürgitt Feißel und Silke Jung. Die Wittenmoorer Frauen brachten Salate mit.