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Hunderte Bauern protestieren in Stendal und Bismark gegen niedrige Milchpreise / Landwirt Friedrich-Wilhelm Kieselbach : "Was hier passiert, ist aktive Sterbehilfe"

Von Dirk Andres 18.04.2009, 07:31

Deutschlandweit folgten am Donnerstagabend 20 000 Milcherzeuger dem Aufruf des Bundesverbandes der Deutschen Milchbauern ( BDM ), um gegen den niedrigen Milchpreis zu protestieren. Am Molkerei-Aktionstag beteiligten sich auch hunderte Bauern aus der Altmark und protestierten friedlich vor den Toren der Milchverarbeiter in Stendal und Bismark.

Stendal / Bismark. " 1000 Euro verliert ein deutscher Milchbauer momentan pro Kuh und Jahr. Das kann nicht so weitergehen ", sagte Moderator Detlef Braune vom Kreisteam des BDM am Donnerstagabend in Stendal. Seit 19 Jahren führt er in Schönwalde einen Landwirtschaftsbetrieb und ist zu mehr als 60 Prozent von der Milchproduktion abhängig. Die einbrechende Dunkelheit zu Beginn der Kundgebung auf einem Platz gegenüber den Stendaler Milchwerken sei bewusst gewählt und stehe für die schlechte Lage bei den betroffenen Bauern. Laut einer Umfrage unter den deutschen Milcherzeugern seien 60 Prozent der Betriebe in den nächsten zwölf Monaten zur Aufgabe gezwungen, wenn es keine Preiserhöhung pro Liter Milch geben sollte.

Zu dieser Mehrheit gehört auch Friedrich-Wilhelm Kieselbach aus Neuermark-L übars. Seit 1991 ist er als Landwirt tätig und hat derzeit 100 Milchkühe und 50 Hektar. " Was hier passiert, ist aktive Sterbehilfe ", sagte der Milchbauer aufgebracht. Wenn sich bald nichts ändere, müsse er ans Aufgeben denken.

Unter den Gästen in Stendal war auch Landrat Jörg Hellmuth, der seine Verbundenheit mit den Bauern betonte. Die Altmark sei prädestiniert für die Milchwirtschaft, was er mit Zahlen untermauerte. Immerhin befänden sich 40 Prozent aller Milchkühe Sachsen-Anhalts in der Altmark. " Auch wenn ich aus der Landwirtschaft komme, Lösungskonzepte habe ich leider nicht ", erklärte der Landrat.

Sich für die Landwirtschaft einsetzen wolle auch die evangelische Kirche, die vom Vize-Superintendenten Peter Lippelt in Stendal vertreten wurde. " Nächstenliebe fängt bei der Kuh an ", so der Lüderitzer Pfarrer. Zudem produzierten die Bauern der Altmark mehr als nur landwirtschaftliche Güter. " Sie tragen das kulturelle Leben mit und gestalten die Landschaft aktiv mit ", so Lippelt.

Milchangebot muss

reduziert werden

Symbolfigur der deutschlandweiten Kundgebungen war die in den Deutschlandfarben Schwarz, Rot und Gold gehaltene Kuh Veronica, mit der Aufschrift " Die faire Milch ". Davor standen eine kleine und eine große Milchkanne. " Die kleine steht für die Nachfrage und die große für das Angebot ", sagte Detlef Braune. In seinen Augen kann es nur höhere Milchpreise geben, wenn das Angebot reduziert werde. " Im Gegensatz zu anderen Branchen können wir unsere Kühe nicht in Kurzarbeit schicken und brauchen für die Landwirtschaft stabile faire Preise. "

Dass nicht nur die Landwirtschaft in der Krise angekommen sei, sagte Landtagsabgeordneter Detlef Radtke. Er ist selbst Landwirt und befürchtet, dass sich eine nationale Katastrophe anbahnt.

Und dass die Bauern nicht nur protestieren, sondern sich auch gesprächsbereit zeigen, brachte Landwirt Theo Aue aus Rochau zum Ausdruck. Er lud die Molkereien ein, sich gemeinsam mit den Bauern für ein besseres Preisniveau einzusetzen. Nicht nur ein neuer Krisengipfel sei notwendig, sondern die Erzeuger sollten laut Aue auch als gleichwertige Partner behandelt werden. Seine Forderungen übergab der Rochauer an Burkhardt Großmann, der für den Milcheinkauf im Stendaler Werk verantwortlich ist. " Ich habe volles Verständnis für die Bauern, auch wir können mit diesen Preisen nicht so gut leben ", sagte Großmann.

Preiskampf ist

zerstörerisch

In Bismark zeigten knapp 150 Bauern der Region auf Einladung von Dr. Fritz Schumann vom Landesbauernverband und Peter Schuchmann vom BDM gegenüber der Käserei Uelzena Flagge. " Die Bauern dürfen nicht länger Restgeldempfänger sein ", sagte Schumann in seiner Eröffnungsrede. Auch wenn kein Molkereivertreter anwesend war, appellierte er, sich gemeinsam mit den Verarbeitern für eine wirtschaftliche Milchproduktion einzusetzen. Schuld an der Misere habe nach Ansicht von Bürgermeisterin Gudrun Wolter nicht die Käserei, sondern vielmehr die Politik und der Handel. In einer Presseerklärung fordert der Landesbauernverband, den zerstörerischen Preiskampf im Einzelhandel zu stoppen, die Bauern mit geringeren Steuern für Agrardiesel zu entlasten, ein Schulmilchprogramm einzuführen und Verarbeitungshilfen aufrechtzuerhalten.