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Vortrag in Niederndodeleben Tullner: Bismarck mochte die Parteien im Allgemeinen nicht

Von Maik Schulz 25.01.2011, 04:29

Die Bedeutung des "Eisernen Kanzler" Otto Fürst von Bismarck füllte am Sonntagnachmittag den Treff im Niederndodeleber Altenbegegnungszentrum. Der Heimatverein und der Wartbergverein hatten zu einem Vortrag über Bismarck mit dem Geschichtsprofessor Mathias Tullner eingeladen, der mit seinen Zuhörern einen amüsanten und anregenden Ausflug in die deutsche und regionale Geschichte unternahm.

Niederndodeleben. Die nach Leserbriefen in der Volksstimme erwartbare Diskussion über das Verhältnis zwischen der Sozialdemokratie in der Hohen Börde und dem Bismarck-Bild Tullners blieb am Sonntag zwar aus – kontrovers und abwechslungsreich gestaltete sich der Abend dennoch. Denn: Selbst in der Geschichtswissenschaft wird und wurde laut Tullner der "eiserne Kanzler" unterschiedlich bewertet, und das nicht nur zwischen Ost und West. Selbst zwischen der DDR- und der sowjetischen Geschichtsschreibung gab es Tullner zufolge erhebliche Unterschiede. Gleiches gilt für die westdeutsche Geschichtsschreibung, wo beispielsweise der Publizist und Historiker Sebastian Haffner eine Entwicklungslinie von Bismarck bis Hitler herstellte, andere Historiker wie Lothar Gall dies bei der Bewertung einer der bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte nicht so sahen.

Auch für die Identität des Landes Sachsen-Anhalt bleibe Bismarck Tullner zufolge eine der wichtigsten Persönlichkeiten: "Welche Personen würden Sie nennen, wenn Sie nach historischen Persönlichkeiten ihres Landes gefragt werden? Da fallen nur wenige Namen: natürlich Kaiser Otto I, dann Martin Luther und eben Otto von Bismarck, vielleicht noch Hugo Junkers."

Seit dem 12. Jahrhundert waren die Bismarcks in der Altmark ansässig. Große Verdienste hat sich der 1815 in Schönhausen (Altmark) geborene Otto von Bismarck um den Deichbau an der mittleren Elbe erworben. Bis heute sind die Konturen der Bismarckschen Deichlösungen erkennbar. Und sie funktionieren.

Ende der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts begann seine politische Karriere als Abgeordneter der preußischen Provinz Sachsen im Vereinigten Landtag zu Berlin. Obwohl er eigentlich nur der dritte Stellvertreter für diesen Parlamentssitz gewesen war, gelang ihm der Sprung nach Berlin.

"In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf"

Tullner zeichnete ein anschauliches Bild der politischen Situation im damaligen Preußen. Der König hatte die Stände zum Vereinigten Landtag in die Hauptstadt geladen, um eine Zusage für Kredite zu bekommen. Denn: Nur der Vereinigte Landtag durfte nach dem preußischen Staatsschuldengesetz Kredite für den preußischen Staat genehmigen. Die Liberalen wollten dafür eine neue Verfassung mit mehr politischen Rechten. Überliefert ist der bis heute bekannte Ausspruch des liberalen Abgeordneten David Hansemann: "In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf."

Bismarck betrat die politische Bühne, liberale Bestrebungen waren ihm laut Tullner immer suspekt gewesen. "Als späterer Reichskanzler war er nicht dem Reichstag, sondern dem deutschen Kaiser Rechenschaft schuldig. Damit wollte er die Liberalen aushebeln. Dennoch war das Wahlrecht in Deutschland, das auf Bismarck zurückgeht, das modernste seiner Zeit. Das vergessen viele allzu gern."

Auch die Einführung der Sozialgesetzgebung mit der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung für Arbeiter hat Bismarck durchgesetzt. "Meine Damen und Herren, ein Barack Obama droht heute zu scheitern, weil er in den USA das durchsetzen will, was Bismarck vor mehr als 100 Jahren in Deutschland eingeführt hat. Dass Bismarck dieses als Mittel im Kampf gegen die Sozialdemokratie, aber nicht nur gegen sie einsetzte, ist doch unbestritten", betonte Tullner und ergänzte: "Bismarck mochte die Parteien im Allgemeinen nicht. Vor allem aber waren für ihn die Sozialisten und die Katholiken die größten Reichsfeinde. Davon, dass die Katholiken mit einem Papst, der die Unfehlbarkeit für den heiligen Stuhl beanspruchte, von Bismarck als die noch größere Reichsgefahr wahrgenommen wurde, haben doch die Wenigsten gehört. Für unsere protestantische Region war das auch nicht so bedeutend, wie für andere katholische Regionen des damaligen Reiches."

Noch weniger hat man Tullner zufolge zu DDR-Zeiten vermittelt, dass es nicht nur die sozialdemokratische Arbeiterschaft gab, sondern dass fast drei Viertel der Arbeiter in liberal geprägten, aber auch national gesinnten Interessenverbänden zusammenge- schlossen waren. Dazu gehörte auch der "Verband reichstreuer Arbeiter", "der sich im bewussten Gegensatz zur Sozialdemokratie gegründet hatte". Und jene "reichstreuen Arbeiter" aus Magdeburg haben einst die Errichtung der Bismarckwarte zwischen Niederndodeleben und Irxleben vorangetrieben. Nach Bismarcks Tod 1898 im Sachsenwald hatten Studenten zum Bau von "leuchtenden Bismarcktürmen" im ganzen Reich aufgerufen. "Deshalb gibt es auch am Niederndodeleber Turm eine Feuerschale. Einst hat es 420 solcher Türme im deutschen Kaiserreich und seinen Kolonien gegeben. Selbst in Chile, das ja nie eine deutsche Kolonie war, gibt es einen Bismarckturm."

Heute gibt es Tullner zufolge noch 170 Bismarcktürme in Deutschland. In Sachsen-Anhalt stehen von den einst 17 noch 16. Die Niederndodeleber Bismarckwarte ist als eine der letzten, als 14., errichtet worden. "In Magdeburg fehlte schlicht ein Berg als Standort, deshalb ging man ins Umland. Nachdem der Standort am Felsenberg verworfen wurde, sollte der Turm eigentlich auf dem Zackelberg, der höchsten Erhebung der Colbitz-Letzlinger Heide, errichtet werden. Doch Kaiser Wilhelm II. hatte etwas dagegen. So nah an seinem kaiserlichen Jagdgebiet wollte er keine Bismarckwarte stehen haben. So fiel die Wahl auf den Wartberg. Vor allem Magdeburger Industrielle finanzierten den Bau, den örtliche Handwerksbetriebe in ziemlich kurzer Zeit errichteten. Schon zur Grundsteinlegung sollen 10 000 Schaulustige gekommen sein, zur Einweihung 1910 sollen es noch mehr gewesen sein."