Volksstimme-Serie "Süßes Wernigerode" - Heute Teil III: Fabrikgründer Ferdinand Karnatzki Schokolade im Blut

Von Julia Bruns 03.09.2014, 03:18

Hausgemachtes Eis, Honig und Baumkuchen - die Harzer Volksstimme stellt in einer Serie Menschen vor, die für süße Momente in Wernigerode sorgen. Heute: Schokoladenfabrik-Gründer Ferdinand Karnatzki.

Wernigerode l Die Faszination für Naschwerk liegt in der Familie: Der Bremer Wolf Karnatzki ist der Enkelsohn des Schokoladenpioniers Ferdinand Karnatzki, der in Wernigerode eine der bedeutendsten Süßwarenfabriken der Region aufbaute. Beruflich hat Wolf Karnatzki nichts mit der Lebensmittelindustrie am Hut, doch seine Familiengeschichte zieht ihn immer wieder nach Wernigerode. Seit den 1990er Jahren sammelt der Sozialpädagoge alles zur Schokoladenproduktion in Wernigerode und steht in engem Kontakt zu dem Wernigeröder Jürgen Will, der diesen Teil der regionalen Industriehistorie intensiv erforscht hat.

Ferdinand Karnatzki wird am 21. Januar 1888 in Rostock geboren. Der gelernte Kaufmann ist nach Stationen bei einem Kolonialwarengeschäft in Schwerin und bei der Knorr AG in Heilbronn als Vertreter des Kontorchefs bei der Kakao- und Schokoladenfabrik Riquet in Leipzig tätig, wie Jürgen Will schreibt.

Parkvilla ist Familiendomizil

Vom 1.Januar 1913 an ist Karnatzki Vorsteher des kaufmännischen Büros der Kakao- und Schokoladenfabrik "Ludwig Bauermeister Co" in Nöschenrode. Er wohnt im Mönchstieg 17. Vier Jahre später übernimmt er die Geschäftsführung. Damals ist Wernigerode eine der bedeutendsten Schokoladenmetropolen mit mehr als 1500Beschäftigten in der Branche. 1919 scheidet Karnatzki aus der Firma aus.

Bereits im Jahr 1916 erwirbt der Geschäftsmann die alte Burgmühle - ehemals Schokoladenfabrik Wesche in Hasserode. Er beginnt mit dem landesweiten Vertrieb seiner Produkte unter dem Namen "Wernigeröder Kakao- und Schokoladenfabrik Ferdinand Karnatzki".

1920/21 lässt er eine moderne Fabrik mit industrieller Produktionsweise errichten - bis dato wurde in den meisten Schokoladenbetrieben noch vieles per Handarbeit erledigt. In diesem Zuge entsteht die Burgmühlenstraße. 1923 wird das Werk ans Gleisnetz der Nordhausen-Wernigeröder-Eisenbahn angeschlossen. Neben Pralinen produziert die Ferdinand Karnatzki AG - mittlerweile eine Aktiengesellschaft - Tafelschokolade, Katzenzungen, Krokant und Weinbrandbohnen. 1924 wird das Kraftwerk auf dem Gelände erbaut, das das Werk mit selbst erzeugtem Strom versorgt.

Die prächtige Parkvilla in der Burgmühlenstraße ist damals das Zuhause seines Großvaters, berichtet Wolf Karnatzki bei einem Rundgang durch Hasserode. Erbaut worden sei sie 1885 als kleines Landhaus vom Zeitungskönig Alexander Faber, dem Druckerei- und Verlagsbesitzer der Magdeburgischen Zeitung. Ferdinand Karnatzki baut das Gebäude 1920 zur Villa um. "Mein Großvater ließ sich damals auch einen Gang von der Villa zur Fabrik errichten", berichtet Wolf Karnatzki.

Neubeginn in Erfurt

Steigende Rohkakaopreise und der zunehmende Druck der Konkurrenz sorgen ab 1925 für finanzielle Engpässe. Karnatzki muss sich mehrfach Geld von seinem Hauptaktionär, Fürst Christian Ernst zu Stolberg, leihen. Schließlich scheidet Karnatzki 1926 aus dem Unternehmen aus, ein Jahr später zieht er nach Erfurt, wo er Teilhaber einer Schokoladenfabrik wird.

1927 steht die Aktiengesellschaft vor dem Konkurs, 1928 wird der Betrieb zum Verkauf angeboten. Die Karstadt AG erwirbt das Werk im März 1928 für 475000 Reichsmark. Im selben Jahr gründet Karstadt die Burgmühle-Schokoladen GmbH. 1935 geht die mittlerweile von Karstadt gelöste Fabrik in der Argenta Schokoladenwerk AG auf. Unter den Nazis wird die Fabrik für die Rüstungsindustrie genutzt. Russische, polnische, tschechische, französische und deutsche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Steinerne Renne müssen dort arbeiten.

Nach dem Wegzug der Familie Karnatzki befindet sich in der Parkvilla ein Sanatorium. 1945 kommt das Gebäude in den Besitz der evangelischen Kirche, zu DDR-Zeiten eröffnet die Handwerkskammer dort ein Erholungsheim. Seit Ende der 1990er Jahre gehört es einer Berliner Unternehmerin, die Ferienunterkünfte anbietet.

Für Ferdinand Karnatzki bringt der Neubeginn in Erfurt kein Glück. Die Schokoladenfabrik "Erfurt-Erfurt" brennt im Januar 1929 komplett ab, weil das Löschwasser gefroren war. Im Juli 1931 kehrt er nach Wernigerode zurück und gründet die "Ferdinand Karnatzki Schokolade- und Zuckerwaren-Fabrik" auf dem Gelände der ehemaligen Dieckschen Zigarrenfabrik in der Westernstraße37. Er erwirtschaftet sich wieder ein Vermögen.

Flucht nach Hessen

Während des Krieges wird seine Fabrik zum Hilfslazarett umfunktioniert. Nach 1945 produziert er Bonbons und Fondants, die Firma erhält den Zusatz "Nährmittel-Fabrik". Sein Sohn Eberhard flieht 1948 nach West-Berlin. Ferdinand Karnatzki wird daraufhin die Fabrik weggenommen. Unter der Konsumgenossenschaft wird der Betrieb schließlich aufgelöst, das Inventar verkauft. Am 5. Februar 1954 wird das Unternehmen aus dem Handelsregister gelöscht.

1951 flieht Karnatzki mit seiner Frau nach Hessen, wo er einen Versandhandel aufbaut. Er stirbt am 8. Juni 1958 in Schlüchtern im Alter von 70 Jahren, ohne noch einmal seine Heimat Wernigerode gesehen zu haben.

Wolf Karnatzki hütet einen dicken Ordner mit Material über seinen Großvater. Ein Artikel handelt vom 25 Meter hohen "wurzelechten" Weihnachtsbaum, der im Jahr 1924 mit 178Lampen geschmückt und von "vorüberfahrenden Reisenden und Sportsleuten mit Staunen wahrgenommen wurde". Nicht ohne Stolz blickt der Bremer auf diese Fragmente seiner Familiengeschichte. Er verweist auch auf einen Volksstimme-Bericht über die Benennung der Karnatzkistraße. "Sie sollte durch das neue Wohngebiet `Schokoladenfabrik` führen", sagt er. Benannt wurde die Straße im Jahr 2008. Ein Investor hatte ursprünglich vor, in dem Hauptgebäude seniorengerechte Wohnungen zu bauen und Einfamilienhäuser auf dem restlichen Areal zu vermarkten. Heute stehen lediglich eine Handvoll Wohnhäuser rund um das "Argenta"-Gelände. Die Fabrik verfällt.

Der Produktionsleiter der Wergona-Schokoladenfabrik habe ihm vor einigen Jahren noch Fabrikräume gezeigt, bevor das Unternehmen 2003 in den Neustadter Ring gezogen ist - kein Vergleich zum heutigen Zustand, wie Karnatzki feststellt. "Ich habe als Nachfahre natürlich keinerlei Ansprüche", sagt Wolf Karnatzki. "Aber ich würde mir wünschen, dass die Schokoladenfabrik nicht weiter verfällt."