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Interview mit Suchtberater Klaus-Dieter Krebs anlässlich des Weltnichtrauchertags "Raucher vergiften ihren Körper"

30.05.2015, 01:22

Am Sonntag ist Weltnichtrauchertag. Deshalb hat sich Volksstimme-Redakteurin Ivonne Sielaff mit Suchtberater Klaus-Dieter Krebs über die Gefahren des Rauchens und die Tücken beim Aufhören unterhalten.

Volksstimme: 27 Prozent der Deutschen rauchen. Was macht das Rauchen so attraktiv?

Klaus-Dieter Krebs: Nikotin stimuliert das Belohnungssystem. Es wirkt stimmungsaufhellend, löst Hemmungen und macht kommunikativ. Gleichzeitig hat es eine beruhigende Wirkung. Das Rauchen bedient die Urbedürfnisse nach Wärme und Geborgenheit. Mit der Zigarette im Mund fühlt man sich wohl.

Warum ist Rauchen so gefährlich?

Nikotin hat ein starkes psychisches Abhängigkeitspotenzial, ähnlich wie Heroin und stärker als beim Alkohol. Was Menschen zum Rauchen bringt, ist die augenscheinlich positive Wirkung. Die Sucht setzt nicht sofort beim ersten Mal ein. Die erste Zigarette schmeckt nicht, man muss husten. Aber in der Wiederholung entsteht sehr schnell eine seelische Bindung.

Welche Wirkung hat jahrelanges Rauchen auf die Gesundheit?

Zigaretten enthalten 4000 Inhaltsstoffe, viele davon sind schädlich. Durch das Inhalieren gelangen beispielsweise Teer und Kohlenmonoxid über den Mund und die Luftröhre in die Lunge. Im Grunde vergiftet der Raucher seinen Körper. Bei einer Rauchvergiftung durch Feuer wird man schnell ohnmächtig und stirbt. Beim Rauchen dagegen sind die schädlichen Stoffe so dosiert, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen erst nach vielen Jahren eintreten. Die Inhaltsstoffe führen häufig zu Krebserkrankungen an der sogenannten "Raucherstraße" - nämlich Zunge, Mundhöhle, Kehlkopf, Luftröhre, Lunge. Durch das Rauchen wird das gesamte Immunsystem des Menschen geschwächt. In Deutschland kommen täglich mehr als 350 Menschen durch die Folgen des Rauchens ums Leben, durchschnittlich alle vier Minuten stirbt ein Raucher.

Dennoch scheint das Rauchen gesellschaftlich akzeptiert beziehungsweise toleriert zu sein.

Ja, das stimmt. Alkoholabhängigkeit ist mit sozialem Abstieg und zunehmender gesellschaftlicher Isolation verbunden. Die Beziehung scheitert, der Job wird gekündigt. Das ist bei Nikotin anders. Raucher bleiben gesellschaftlich integriert, haben nicht diesen sozialen Abstieg.

Warum fällt es so schwer, mit dem Rauchen aufzuhören?

Immer mehr Menschen wollen ihre Nikotinsucht besiegen. Das Problem ist, dass sie spontan aufhören und unvorbereitet sind. Das ist in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt. Und je öfter ein Mensch einen Misserfolg erlebt, desto stärker resigniert er. Nach dem Motto: Ich schaffe es ja eh nicht. Man beginn sich mit seiner Sucht zu arrangieren und verdrängt die negativen Folgen.

Sie bieten als Suchttherapeut ein Rauchfrei-Programm an. Was geben Sie Ihren Klienten mit auf den Weg?

Im Kurs setzen sich die Teilnehmer mit ihrem Rauchverhalten auseinander. Wann und warum rauche ich? Ist es eine Genuss-, eine Stress - oder eine Suchtzigarette? Zudem beschäftigen wir uns mit den positiven und negativen Seiten des Rauchens. Und langfristig überwiegen die negativen. Als Therapeut versuche ich, den Entschluss aufzuhören zu stärken. Der Rauchstopp selbst erfolgt erst in der fünften Sitzung. Dieser Moment wird detailliert vorbereitet. Wir strukturieren den Tag, erarbeiten Alternativen zum Rauchen - beispielsweise in Stresssituationen.

Wie wirkt sich die Abstinenz auf den Körper aus?

Schon nach 20 Minuten normalisieren sich Blutdruck und Puls. Nach ein bis zwei Tagen ohne Zigarette sinkt das Herzinfarkt-Risiko. Zudem verbessert sich der Geschmacks- und Geruchssinn. Ein bis zwei Wochen später stabilisiert sich der Kreislauf, und die Lungenfunktion verbessert sich. Nach einem Monat gehen Hustenanfälle und Kurzatmigkeit zurück. Nach fünf Jahren Abstinenz hat sich das Risiko, an Lungen-, Mund- oder Speiseröhrenkrebs zu erkranken, halbiert, nach zehn Jahren ist es so hoch wie bei Nichtrauchern.

Trotz der positiven Wirkung werden viele Menschen rückfällig. Was raten Sie ihnen?

Hat sich ein ehemaliger Raucher Zigaretten gekauft, braucht er Krisenmanagement und Motivation. Es gibt Notfalltelefone, wo Betroffene jederzeit Hilfe erhalten. Es geht darum, der Versuchung zu widerstehen. Diese Situation dauert meist nur wenige Minuten und ist schnell überstanden. Ist es einmal geglückt, lernt man durch den Erfolg. Das Risiko, der nächsten Versuchung nachzugeben, wird geringer. Großes Rückfallpotenzial haben Partys und Alkohol. Deshalb rate ich meinen Klienten, vorerst darauf zu verzichten.

Letzte Frage: Was halten Sie vom Nichtraucherschutzgesetz?

In Kombination mit Präventionsarbeit ist es gelungen, die Menschen für das Gefährdungspotenzial des Rauchens zu sensibilisieren. Ich halte die Kampagne für sehr wirksam. Eine positive Tendenz ist spürbar. Nachweislich geben immer mehr Männer über 35 Jahren das Rauchen auf. Dabei hat das Gesetz anfangs polarisiert. Raucher fühlten sich diskriminiert, weil sie in Gaststätten nicht mehr rauchen durften. Leider habe ich das Gefühl, dass das Gesetz oft unterwandert wird - auch in Wernigerode. Es wird zu wenig kontrolliert. Und Verstöße werden zu selten geahndet. Dennoch ist die Verantwortung im Miteinander gewachsen. Oftmals wird dem Partner zuliebe nicht mehr in den gemeinsamen Wohnräumen geraucht. Trotz alledem ist noch viel zu tun. Die Kinder, die heute mit dem Rauchen anfangen, sind immer jünger. Immer öfter greifen schon Mädchen zwischen elf und zwölf Jahren zur Zigarette.