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Brockenöffnung genau vor 20 Jahren / Augenzeugin Liselotte Reinhold : "Wir tanzten und sangen vor dem Stacheldraht der Russen"

Von Ivonne Sielaff 03.12.2009, 05:52

Was als friedlicher Sternmarsch begann, ging als Tag der Brockenöffnung in die Geschichte ein : der 3. Dezember 1989. Tausende Wanderer erklommen an jenem Tag den Harzgipfel – auch Leserin Liselotte Reinhold, die der Volksstimme einige Fotos von damals zur Verfügung stellte.

Wernigerode / Schierke. Am 3. Dezember 1989 – auf den Tag genau vor 20 Jahren – pilgerten tausende Harzer hinauf zum Brocken. " Freie Bürger – freier Brocken " lautete das Motto des friedlichen Sternmarschs. Der Harzgipfel war – 24 Tage nach dem 9. November – immer noch militärisches Sperrgebiet, das Gipfelplateau von einer 3, 60 Meter hohen Mauer umgeben. Russische Soldaten und Stasi-Mitarbeiter waren dort stationiert.

Immer mehr Menschen drängten an jenem kalten Dezembertag vor das Tor an der Mauer. Gegen 12. 45 Uhr gab der Grenzkommandant schließlich nach und ließ die Demonstranten passieren. Nach 28 Jahren hatten die Harzer ihren Brocken wieder.

Auch Volksstimme-Leserin Liselotte Reinhold war an diesem denkwürdigen Tag dabei. " Rückblickend ist es einfach Wahnsinn ". Noch heute erinnert sich die Wernigeröderin an die Augenblicke auf dem Berggipfel. " Ich bin damals mit meinem Mann und mit einer Freundin von Schierke aus zum Brocken hochgelaufen ", berichtet die heute 71-Jährige. Gegen Mittag sei sie oben angekommen. " Da standen bestimmt 3000 Leute vor dem Brockentor – mit Transparenten und Schildern. Immer wieder riefen sie : ‚ Aufmachen, aufmachen ‘. "

Die Grenzer seien unschlüssig gewesen. " Erich sitzt schon in der Schweiz und zählt seine Millionen, was bewacht ihr also noch ?", habe jemand gerufen. " Wir haben eine ganze Weile gewartet. Dann war es so weit. " Erst ließ der Offizier die Menschen immer nur grüppchenweise auf das Plateau. Dann gab es kein Halten mehr. " Wir haben da oben getanzt und gesungen – vor dem Stacheldraht der Russen ", sagt Liselotte Reinhold. " Wir waren einfach nur glücklich. "

Heute erinnert ein Gedenkstein unterhalb des Brockenplateaus an die Ereignisse des 3. Dezembers 1989. Der Harzgipfel ist inzwischen wieder beliebtes Ausflugsziel. Schätzungsweise rund zwei Millionen Wanderer erklimmen den Berg jährlich. Wie auch Liselotte Reinhold. Seit der Öffnung sei sie " bestimmt 100 Mal " oben gewesen. " Und jedes Mal, wenn ich oben auf der Plattform stehe, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Diesen Tag im Dezember werde ich nie vergessen. Einer der bewegendsten Momente meines Lebens. "