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Reitsportabteilung in Wernigerode hat Kündigung für Domizil am Eisenberg erhalten 31. Dezember 2009: Geht nach 60 Jahren eine Ära zu Ende?

Von Rainer Marschel 24.07.2009, 05:02

" Es stinkt zum Himmel ", sagt ein Anwohner frustriert. " Einfach nicht zu f nanzieren ", so die Kreisverwaltung. " Ende einer Ära, die schon 1913 begann ", kontern Reitsportfreunde. Am 31. Dezember macht ihr Pferdestall defnitiv dicht. Bis dahin : Gnadenfrist für 14 Vier- und 120 Zweibeiner ? Aber so lange wird geritten, was Hufe und marode Bausubstanz noch hergeben. Ein Abschied auf Raten. Countdown am Eisenberg.

Wernigerode. Der Investor aus Weimar und die Kreisverwaltung werden ihn wohl als Glücksumstand bewerten. Den Kauf beziehungsweise Verkauf der Immobilie. Selbst bei den unmittelbaren Nachbarn dürfte sich wegen des immer schon da gewesenen " ruhestörenden Lärms " und der Geruchsbelästigung das Bedauern in Grenzen halten. Anders sieht man es naturgemäß bei einem der ältesten Sportvereine der Stadt. Dem Wernigeröder SV wird mit der absehbaren Schließung des Reitstalls zum Jahresende praktisch die Basis für eine Abteilung entzogen, sofern nicht noch ein Wunder geschieht.

1949 : Start mit gerade einmal zwei Pferden

Gerade mal vier Jahre ist die Jüngste beim Voltigieren. Die Wernigeröderin Pia Josephin Hoppe. Doch über das " Hoppe hoppe Reiter " in der Spielegruppe, den ganz Kleinen der Pferdesportanteilung, dürfte sie womöglich nicht hinauskommen. Der Countdown läuft, in gut fünf Monaten werden sich auch ihre Eltern nach Alternativen umsehen müssen. So es sie überhaupt gibt, jedenfalls nicht in Wernigerode.

Die kleine Reiterin ist immerhin eine von 120 Vereinsmitgliedern, die demnächst ihren letzten Ausritt haben werden. Endzeitstimmung im Reiterhof am Eisenberg, auch wenn es der Vierjährigen noch nicht wirklich bewusst sein kann. Mit gerade einmal zwei Pferden hatte man 1949 mit dem Pferdesport beim Wernigeröder Sportverein angefangen. Ab 1956 fand man am Eisenberg sein Domizil – Villa und der Reitstall wurden 1913 von der Familie Hendes gebaut. Das Ganze geschah auf Initiative des Roßschlächters Riegeler ( Grüne Straße ) und auch des Darlingeröders Kurt Jackisch. Und genau Letzterer sollte sich in der Folge nicht nur sportlich große Verdienste in der Dressur erwerben ( die ersten Turniere fanden in der Charlottenlust und auf dem Kuhborn statt ), sondern sehr viel später auch mit einer couragierten Staatsratseingabe. Um ein Haar wäre die zum Pferdehof gehörende Reit- zu einer Volleyballhalle umgenutzt worden. Jackisch konnte das gerade noch so verhindern. Dabei ist der Begriff der Reit-Halle eigentlich schon immer ein schmeichelhafter : statt der üblichen 20 mal 60 Meter misst sie gerade mal 12 mal 24 Meter.

Gebaut wurde der Stall ursprünglich für vier Kutschund drei Sportpferde. In den besten Zeiten waren am Eisenberg 18 Tiere untergebracht, einfach weil man wirklich jeden Quadratmeter nutzen wollte. Mittlerweile sind es nur noch 14 Pferde.

Opfer : Reitplatz weicht drei Neubaublöcken

Anfang der 60-er Jahre wurde zwischen Eisenberg und Kantstraße ein dringend benötigter Reitplatz errichtet. Doch dieser fel dem ehrgeizigen DDR-Wohnungsbauprogramm mit drei Neubaublöcken zum Opfer. Alternative wurde eine schräg abfallende Wiese am Ziegenberg. Aufwändig begradigt, ist sie seit 1980 bis heute der Turnierplatz. Und genau dort wurden auch am Wochenende wieder vor hunderten sportbegeisterten Zuschauern Wettkämpfe ausgetragen ( Volksstimme berichtete ).

Nach der Wende sorgte die Kreisverwaltung Wernigerode als neuer Träger für einen Fortbestand des Reitsports. Weil die Abteilung des SV mit den Unterhaltungskosten schon damals hoffnungslos überfordert gewesen wäre – ein Glücksumstand, der allerdings jetzt absehbar ins Gegenteil verkehrt wird.

Nach wie vor gibt es am Eisenberg täglich zwischen 14 und mindestens 17 Uhr Reitunterricht, so Abteilungsleiter Heinz Jürgen Preller auf Nachfrage der Harzer Volksstimme. Eine Besonderheit : von den drei aktiv an Wettkämpfen teilnehmenden Voltigiergruppen, gibt es zwei, die dieunterschiedlichen Übungen im Galopp beherrschen. Das gelte im Harzkreis als einzigartig, so Preller, dessen Ehefrau Hanna ehrenamtlich seit Anfang der 70-er Jahre den Reitunterricht gibt.

Insgesamt voltigieren gegenwärtig viermal die Woche 40 Kinder. Liebevoll angeleitet und mit ungewöhnlich großem Engagement betreut von der Sportmanagement-Studentin Sabrina Piechullik ( 22 ). Mit der großen Guppe ist der Wernigeröder SV nach zwei Turnieren übrigens Zweiter in der Gesamtwertung im " Nachwuchs-Voltigier-Cup " des Landes Sachsen-Anhalt. Da unterdessen die Altersbegrenzung aufgehoben wurde, sind die Ältesten 21.

Kosten : hoffnungsvoll überfordert

Das Modell, wonach neue vereinseigene Reitanlagen entstehen, ist bundesweit schon lange nicht mehr üblich. Insofern ist damit in Wernigerode als theoretische Alternative auch keinesfalls zu rechnen. " Entweder gibt es private Anbieter weitgehend ohne Vereinsarbeit oder eben gar keinen Reitsport ", so Preller ernüchternd. Auch ohne eigenen Stall müsse das nicht zwangsläufg das Ende der Vereinsabteilung bedeuten. So gilt als wahrscheinlich, dass sich die Mitglieder auf die zumeist privaten Reitsportanlagen im Umland verteilen werden. Silstedt würde sich gegebenenfalls anbieten.

Die Prellers sehen das absehbare Ende des Reitstalls pragmatisch, allein schon aus altersmäßigen Gründen. " Insofern wird uns die ohnehin schwierige Entscheidung auszusteigen, praktisch abgenommen ", sagte der 65-jährige Heinz Jürgen Preller. Der Unterton des Bedauerns nach so vielen Jahrzehnten ist allerdings nicht zu überhören.

Strohhalm : Übernahme für die Voltigierer

Was bleibt, ist nicht viel mehr als ein Strohhalm : Vielleicht fndet sich ja ein Verein, der wenigstens die Voltigiergruppen samt Pferd übernehmen würde. Angefragt wurde das aber noch nirgends, man wolle " keine Pferde scheu machen ". Auch gäbe es zum neuen Investor noch keinen Kontakt. Preller : " Im günstigsten Fall würde er ja sogar den Reitverein zeitlich befristet dulden. " Doch viel mehr als eine Gnadenfrist wäre das auch nicht, zumal die Unterhaltungskosten von der Reitsportabteilung keinesfalls selbst aufzubringen wären.