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Fast 200 Bürger folgten der Podiumsdiskussion zum Hochwasserschutz im Katharinensaal Felder könnten bald Polderflächen werden

Von Gudrun Billowie 19.03.2014, 02:23

Das Thema Hochwasserschutz lockte am Montagabend fast 200 Menschen in den Katharinensaal. Sie erlebten eine informative Veranstaltung und eine sachbezogene Diskussion. Dabei standen Schutzmaßnahmen an Elbe und Ohre gleichermaßen im Mittelpunkt.

Wolmirstedt l Sachsen-Anhalts Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU) ging von Beginn an in die Offensive. "Bis 2020 sollen alle Deiche DIN-gerecht hergerichtet sein", sagte er. Derzeit entsprechen die Hälfte der Deiche der Norm und auch das sei laut Aeikens schon eine gewaltige Leistung gewesen. "2002 waren das lediglich fünf Prozent." Seither seien 500Millionen Euro in den Deichbau geflossen. Nach dem Hochwasser 2013 wurden die Maßstäbe noch einmal neu gesetzt. "Wir wollen nicht nur Deiche erhöhen, sondern mehr Polderflächen ausweisen, den Flüssen mehr Raum geben", sagte der Umweltminister. Bei der Deichpflege sieht Aeikens künftig "am liebsten Schafe auf dem Deich".

Geländemodell simuliert Überflutungsszenarien

Die Hochwasserproblematik wird überregional betrachtet. Dennoch, großes Sorgenkind der Region ist der Elbdeich zwischen Glindenberg und Heinrichsberg. Von Kilometer 3,55 bis 7,8 war die Befestigung mit einer Spundwand geplant, letztlich war das Geld gestrichen worden. "Mit der Erfahrung des Hochwassers 2013 sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass wir die Bürger mit der ursprünglich geplanten Variante nicht dauerhaft schützen können", stellte Aeikens klar.

Das sei inzwischen auch wissenschaftlich untermauert. "Wir haben ein hochauflösendes digitales Geländemodell erstellt", erklärte Burkhard Henning, Direktor des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW). Auf der Grundlage dieses Modells können Überflutungsszenarien für hochwassergefährdete Gebiete simuliert werden. Mit diesen neuen Erkenntnissen sollen noch 2014 die Planungen für einen DIN-gerechten Deichbau in diesem Abschnitt abgeschlossen sein, sodass 2015 mit dem Bau begonnen werden kann. "Wenn keine Klagen kommen", fügte Hermann Onko Aeikens an.

Die Sache mit den Klagen hatten die Bürger innerhalb des Aktionsbündnisses "Hochwasserschutz an Elbe und Ohre" bereits im Vorfeld als Befürchtung formuliert und dabei den Naturschutz im Blick gehabt. "Uns ist bewusst, dass der Naturschutz durch den Deichbau betroffen ist", stellte Burkhard Henning klar. Dennoch werde am Ziel des Deichbaus ab 2015 festgehalten.

Ein weiterer Brennpunkt im Juni 2013 war die Überflutung des Handwerkerrings. Das Wasser war am alten Schacht in Zielitz über den linken Ohredeich gelaufen. Das war so vorher noch nie passiert und tangiert unter anderem die Zukunft der Zielitzerin Julia Rütze. "Bedeutet das unsere Umsiedlung? War die Hilfe, die wir für den Wiederaufbau bekommen haben, umsonst?"

Wie die Zukunft dieser Region aussieht, vermochte keiner der Experten zu sagen. Der Hochwasserschutz für dieses Gebiet bis zum östlichen Teil Wolmirstedts wird komplett neu geplant. "Es kann durchaus sein, dass wir Teile als Polderflächen vorhalten", setzte der Umweltminister in den Raum. Das brachte Carsten Friedrich auf die Palme, der zwischen Wolmirstedt und Glindenberg eine Landwirtschaft betreibt. "2013 waren 50 Prozent unserer Flächen überflutet", sagte er, "wenn unsere Felder Polderflächen werden, ist das existenzbedrohend." Carsten Friedrich forderte eine Entschädigung, wenn er seine Ernte dafür opfere, "dass die Stadt nicht absäuft."

Manche Felder stehen das ganze Jahr unter Wasser

Annedore Pflaumbaum von der Agrar GmbH berichtete von der zunehmenden Vernässung. "Manche Felder stehen inzwischen das ganze Jahr unter Wasser. Fünf Hektar haben wir gar nicht abernten können." Sie plädierte für die Wiederaufnahme von Entwässerung und Grabenpflege.

LHW-Chef Burkhard Henning versprach, die betroffenen Bürger in die Planungen mit einzubeziehen, machte jedoch auch deutlich, dass künftige Hochwasserkatastrophen ohne genügend Rückhalteflächen nicht zu bewältigen seien.

Die Ohre tritt auch in Wolmirstedt immer öfter über die Ufer. Sabine Böttcher wohnt am Küchenhorn und weiß, wovon sie spricht. "Die Ohre lief im Juni rückwärts und in mein Haus hinein." Mehrere Bürger erinnerten am Montagabend daran, dass die Ohre zu DDR-Zeiten regelmäßig ausgebaggert wurde und forderten, dass das wieder geschehen soll.

Die Thematik ist LHW-Chef Burkhard Henning lange bekannt. Gegen das Ausbaggern stehe europäisches Recht, erläuterte er, die Ohre ist FFH-Gebiet, Flora-Fauna-Habitat. In FFH-Gebieten können Eingriffe erst erfolgen, wenn nachgewiesen ist, dass sie FFH-verträglich sind. Dennoch werde derzeit ein Unterhaltungsrahmenplan erstellt, der den Hochwasserschutz des gesamten Gebietes betrachtet.

Dieser Unterhaltungsrahmenplan berücksichtigt alle Aspekte der Vernässung. "Zu DDR-Zeiten wurden etliche Millionen Kubikmeter Grundwasser und Ohrewasser mehr benötigt als heute", erklärte Henning und erinnerte an das Bahnbetriebswasserwerk und das Wasserwerk in Elbeu, das Trinkwasserwerk in Wolmirstedt sowie das Ohrewasser, dass in die Heide und in Versickerungsbecken geleitet wurde. Inzwischen ist der Wasserbedarf erheblich zurückgegangen, die Wasserwerke sind geschlossen. "Damit stellt sich langsam der natürliche Grundwasserpegel wieder ein", erklärte Henning.

Der Gesprächsfaden zwischen Bürgern und Behörden soll nicht abreißen. Im April werden die Pläne für die Deichsanierung in Glindenberg vorgestellt. Im Sommer schaut sich der Umweltminister die Ohre an und in einem Jahr soll es eine Folgeveranstaltung im Katharinensaal geben. Wolmirstedts Bürgermeister Martin Stichnoth (CDU) möchte auf Verwaltungsebene mit dem Aktionsbündnis "Hochwasserschutz an Elbe und Ohre" weiter zusammenarbeiten.

Die Veranstaltung im Katharinensaal war auf Initiative des Aktionsbündnisses zustande gekommen und brachte viele Betroffene zueinander. "Wir haben gesehen, wie immens das Informationsbedürfnis der Bürger ist", fasste Initiatorin und Sprecherin Gisela Gerling-Koehler (FDP) am Ende zusammen, "und wie sachlich die Interessen gegenüber der Politik vertreten werden." Jürgen Bednorz, ebenfalls Bündnis-Sprecher, zeigte sich froh, dass die Ohre stärker ins Bewusstsein der Verantwortlichen gerückt werden konnte.