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Staatssekretär André Schröder sprach im Katharinensaal über Merkmale und Folgen des demografischen Wandels Die Stadt nicht (aus)sterben lassen

Von Claudia Labude 26.02.2011, 04:29

Immer öfter sieht man in den Wolmirstedter Schaufenstern das Schild "Räumungsverkauf". Kein Wunder, dass sich die Interessengemeinschaft Innenstadt sorgt, ob der eigentlich als städtische "Lebensader" gedachte Boulevard schon seinen letzten Atemzug gemacht hat oder gerade im Sterben liegt. Staatssekretär André Schröder beschäftigt sich schon länger mit dem demografischen Wandel und dessen Folgen. Er kann zwar keine Entwarnung geben, aber Ermutigung.

Wolmirstedt. Die Faktenlage ist klar – und teilweise erschreckend. So wird im Jahr 2025 jeder dritte Einwohner Sachsen-Anhalts 65 Jahre oder älter sein. Der Landkreis Börde verliert im Zeitraum von 2008 bis 2025 19,4 Prozent seiner Bevölkerung. "Frauen bekommen hier im Land zwar wieder mehr Kinder, aber wir haben insgesamt zu wenig Frauen, um die Nachwuchszahlen von früher zu erreichen", nannte André Schröder weitere Details aus den Statistiken zum demografischen Wandel.

"Wir sind kein Kaninchen, und die Statistik ist keine Schlange"

Das Thema hat Konjunktur. Und weitreichende Konsequenzen. "Sie werden kaum noch eine Förderung für den Umbau einer Kita bekommen, wenn sie keine Idee haben, wie man das Gebäude einmal nachnutzen kann", erklärte der Staatssekretär aus dem Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr, wie sich die Zahlen auf politische Entscheidungen auswirken.

Schröder war auf Einladung der Interessengemeinschaft Innenstadt in den Schlosskeller gekommen. Mehr als 30 Zuhörer hatten sich dort am Donnerstagabend versammelt. Darunter interessierte Bürger, aber vor allem Stadträte, Vereinsvorsitzende, die Geschäftsführer der Wohnungsunternehmen und einer der Vorstände der größten kommunalen Behinderteinrichtung. Sie alle haben in ihrem täglichen Leben oder in ehrenamtlicher Tätigkeit Erfahrungen mit dem demografischen Wandel gemacht. Oder haben diese zu befürchten. "Dennoch sind wir kein Kaninchen, und die Statistik ist keine Schlange", warnte Schröder, mit Schockstarre auf die Zahlen zu reagieren.

Dass die Bevölkerung zurückgeht, ist kein Geheimnis. Dass der Staat nicht allein dagegen ankämpfen kann, wird auch nicht verwundern. Laut Meinung des Staatssekretärs sollte man das von Seiten der Kommune auch nicht erwarten.

"Die Zahlen sind gesetzt, jetzt muss man Hebel in den Köpfen umlegen"

Es brauche vielmehr starke und ideenreiche Vertreter in den Städten und Gemeinden, die gemeinsam Lösungsansätze suchen, damit die Heimat bleibt. Und nicht, wie in manchen Medien oder sogar in Büchern prognostiziert, schon im Sterben liegt.

"Nehmen sie die Zahlen als gesetzt. Jetzt müssen wir umdenken und in den Köpfen die entscheidenden Hebel umlegen", versuchte sich Schröder als Motivator. Sachsen-Anhalt hätte, was die Strukturpolitik betrifft, sogar bundesweit Vorbildwirkung. "Wir haben in fast allen Bereichen die rote Laterne abgegeben, nur bei den Schulabbrechern sind wir auf dem letzten Platz", nannte der Staatssekretär ein Untersuchungsergebnis, das in den Reihen der Zuhörer für Bestürzung sorgte.

Nicht nur an diesem Punkt müsse man aktiv gegensteuern. Das Thema Bildung sei elementar, wenn es darum geht, junge Menschen im Land zu halten. "Deswegen halten wir auch an der Universität als Jungbrunnen fest, obwohl die Zahlen der studienfähigen Jugendlichen aus Sachsen-Anhalt selbst das nicht rechtfertigen", nannte Schröder Hintergründe. Deshalb setze man verstärkt darauf, junge Menschen aus der ganzen Republik nach Magdeburg zu holen.

Gerade in dieser Altersschicht hätte man allerdings gegen ein Imageproblem zu kämpfen. "Früher hieß es: ¿Wer gut leben will, muss wegziehen‘. Das war gelebte Wirklichkeit für eine ganze Generation von Eltern und Geschwistern", versuchte sich der Vortragende in Ursachenforschung. Jetzt seien die Jugendlichen allerdings damit konfrontiert, dass sich die Situation geändert hat. Wer gut ausgebildet ist, könne auch hier gut leben. Sei doch der vielbeschworene Fachkräftemangel mehr als nur eine Floskel.

Demografie-Experte Schröder hatte mehrere Lösungsansätze im Gepäck. Er riet den Verantwortlichen, sich bei den Zukunftsentscheidungen nicht auf eine Altergruppe zu fixieren. "Machen Sie Wolmirstedt zu einer Stadt für alle Generationen", forderte er auf. Wichtig sei, die Schullandschaft nicht auszudünnen.

"Die neuen Alten hören eher die Rolling Stones als Volksmusik"

Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse gefördert werden, flexibilisierte Kinderbetreuung sollte mehr als nur ein Ideal sein. Auch Wohneigentumsförderung wäre ein Ansatz, Menschen am Ort zu halten. Kleine und mittlere Städte sind künftig Ankerpunkte der Daseinsvorsorge. "Wir bauen gut 20 Jahre nach der Wende keinen Idealfall West mehr nach. Wir stehen vor einer Entwicklung, für die wir noch keinen Idealfall haben", erklärte Schröder, warum man auf dem Gebiet der Strukturpolitik noch Pionierarbeit leiste.

Nicht genug, dass die Verantwortlichen einer Kommune strategisch denken müssten. Man sollte auch das Bild der Generationen überdenken. "Wenn sie jetzt bei der Volkssolidarität vorbeigehen, tönt aus dem Festern Heino und Volksmusik. In ein paar Jahren hört man da stattdessen vielleicht die Rolling Stones", machte der Politiker auf ein Phänomen aufmerksam. Da immer mehr Menschen aktiv älter werden, müsste man für diese starke Bevölkerungsgruppe auch Angebote vorhalten.

Welche das sein könnten, darüber sprach der Staatssekretär im Anschluss an seinen Vortrag noch mit den Anwesenden. Verlauf und Ergebnisse der Diskussion lesen Sie in der kommenden Woche im Lokalteil der Volksstimme.