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Heinz-Peter Bertram will ein "Wohlfühlhaus" für Depressionspatienten gründen "Ich verstehe Dich" – dieser Satz kann schon ganz viel helfen

Von Claudia Labude 25.03.2011, 04:34

Probleme im Privatleben und im Beruf, Alkoholsucht, Suizidversuche – das Leben von Heinz-Peter Bertram war in den vergangenen Jahrzehnten alles andere als unbeschwert. Doch der Wolmirstedter hat es geschafft, führt mittlerweile eine glückliche Beziehung, ist seit vielen Jahren trockener Alkoholiker und hat seine Depressionen in den Griff bekommen. Nun blickt er nach vorn – und will ein "Wohlfühlhaus" eröffnen, in dem andere Betroffene Hilfe und offene Ohren für ihre Probleme finden.

Wolmirstedt. Eines hat Heinz-Peter Betram vielen seiner Leidensgenossen voraus: Er spricht offen über die zahlreichen dunklen Momente in seinem Leben. Macht kein Geheimnis aus seiner Alkoholabhängigkeit, der Verschuldung und dem finanziellen Ruin, zwei Suizidversuchen und den stationären Therapien.

Aus seinem eigenen Erleben weiß der Wolmirstedter, wie schwer der Weg für Betroffene mit Depressionen, Angstzuständen, Panik, Sucht und chronischer Müdigkeit ist. "Die haben meist eine Odyssee bei Ärzten hinter sich, bis überhaupt erst einmal die richtige Diagnose gestellt wird. Und dann dauert es Monate, bis man einen Therapieplatz bekommt."

Für das "Davor, Dazwischen und Danach" hat sich Bertram etwas ausgedacht. Er will ein "Wohlfühlhaus" schaffen, eine Anlaufstelle für Menschen, die nicht wissen, wohin; sich nicht trauen, einen Therapeuten aufzusuchen. Die medizinischen Angebote will der 54-Jährige keinesfalls ersetzen, sondern ergänzen. Für ihn selbst waren es besonders die Traditionelle Chinesische Medizin und fernöstliche Entspannungstechniken, die ihm neben dem therapeutischen Angebot halfen, Stress zu bewältigen, wieder lebens- und arbeitsfähig zu werden.

Seit 2007 betreibt Bertram Tai Chi, hat eine Schulung in Fußreflexzonenmassage absolviert, eine Weiterbildung als Kräuterfachmann und den 1. Grad des Reiki nach Mikaomi Usui abgelegt.

Das, was ihm geholfen hat, will er nun auch anderen Betroffenen weitergeben. Nach der ersten Idee für die Begegnungsstätte machte sich Bertram an die Umsetzung, wollte sich Partner für das Projekt suchen. Die hat er auch gefunden. Geplant war, mit vier bis fünf anderen, teilweise professionellen Trainern für Entspannungstechniken, eine Gemeinschaftspraxis aufzumachen. "Als es konkret wurde, sprang einer nach dem anderen ab", erinnert sich der gelernte Koch an die bisher erlebten Rückschläge. Seine Vision will er trotzdem wahr werden lassen. "Das Projekt ist mir so wichtig, das muss ich umsetzen", sagt er bestimmt.

Man merkt, wieviel Kraft er aus dem Vorhaben zieht. Unterstützt wird Heinz-Peter Bertram von seiner Lebensgefährtin Heike Pessel. In jeder freien Minute hilft sie mit. Denn mittlerweile wurden Räumlichkeiten gefunden, die nun hergerichtet werden müssen. In der Friedensstraße 8 soll die Anlaufstelle entstehen.

Die Finanzierung gestaltet sich schwierig. Weder von den Krankenkassen noch von Sponsoren hätte Bertram bisher großartig Hilfe bekommen. "Dabei müssten mir die Kassen dankbar sein, weil ich ihre Arbeit ergänze. Das sagen sie auch, wenn ich meine Idee vorstelle. Doch Geld gibt es trotzdem keins." Zwar könne er wohl eine Anschubfinanzierung beantragen, doch die Frist für 2012 ist seit Februar vorbei. Bertram hofft, dass er die zwei Jahre bis zu einer möglichen Finanzspritze im Jahr 2013 überbrücken kann. Ein bisschen ideelle Starthilfe hat er zumindest im Gespräch mit der Selbsthilfekontaktstelle in Haldensleben erfahren.

Seit er fast täglich in seinen künftigen Räumen anzutreffen ist, hätten auch schon einige Betroffene an die Fensterscheiben geklopft, um das Gespräch zu suchen. "Die Leute kommen hier verschämt und mit gesenktem Kopf rein. Ein tolles Gefühl ist es, wenn sie schon etwas aufrechter herausgehen", freut sich der engagierte Mann, dass sein Angebot tatsächlich gebraucht wird.

Oftmals fühlen sich depressive Menschen von den Therapeuten auch nicht richtig verstanden. "Der Satz ¿ich verstehe Dich‘ kann manchmal schon ganz viel helfen", weiß auch Heike Pessel die Vorteile eines Gespräches auf Augenhöhe zu schätzen.

Ein Gespräch hilft oft mehr als 1000 Pillen

In der zweiten Aprilwoche möchte Heinz-Peter Bertram sein Wohlfühlhaus eröffnen. Dort soll man dann lesen oder Musik hören, Bücher und CDs auch ausleihen können. Den Eingangsbereich will er wie ein gemütliches Wohnzimmer gestalten. In einem lichtdurchfluteten Raum in Richtung des Hofes soll künftig die Massageliege für Wellnessangebote stehen, die kostenpflichtig angeboten werden.

Das offene Ohr stellt Bertram kostenlos zur Verfügung. Montags zwischen 17 und 19 Uhr, dienstags und donnerstags von 10 bis 11 und 18 bis 19 sowie freitags von 10 bis 11 Uhr oder nach Vereinbarung will er Gesprächsrunden innerhalb einer Selbsthilfegruppe anbieten. Mittwochs kommt am Abend aller zwei Wochen eine professionelle Reiki- und Tai Chi-Trainerin.

Als eine der ersten Inneneinrichtungsmaßnahmen hat Bertram die großen Fenster in Richtung der Friedensstraße mit einer Gardinenleiste versehen. Wenn es seine Besucher möchten, wird der Raum für die Öffentlichkeit uneinsichtig gemacht. Denn obwohl Bertram den Menschen helfen will, sich zu öffnen und am Ende offensiv mit ihrer Erkrankung umzugehen, so weiß er doch, dass der erste Schritt der schwerste ist. Und man sich hinter einem Vorhang nicht ganz so schutzlos fühlt, wenn man sein Innerstes nach außen kehrt.

Informationen gibt es auch unter der Telefonnummer (0172) 3 85 32 37 oder (039 201) 2 14 88.