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Diskussion um Harbker Flüchtlingswohnheim / Integrationsbeauftragte Susi Möbbeck : "Situation ist unzumutbar!"

Von Michael Pieper und Ivar Lüthe 02.12.2009, 07:46

In einer ehemaligen Kaserne der Nationalen Volksarmee bei Harbke sind Flüchtlinge und Asylbewerber teilweise unter den unzumutbaren Zuständen untergebracht. Neben den gesundheitsschädlichen Zuständen der Räumlichkeiten fühlen sich die Bewohner nicht sicher. In der Vergangenheit sind sie immer wieder Opfer rechtsextremer Anschläge geworden. Diese Situation soll nun ein Ende haben. Der Landkreis will die Familien in Wohnungen unterbringen.

Harbke. " Ich wohne seit sechs Jahren hier und weiß gar nicht, wie ich die Zeit hier überlebt habe ", erklärt Hussein Mohammed Rasul. Der junge Iraker kam mit großen Hoffnungen vor nunmehr acht Jahren aus seiner Heimat nach Deutschland. Im Gepäck den Traum von einem bodenständigen Leben mit Job, Haus und Familie.

Doch was er in Deutschland fand, " war die Hölle ", wie er seine Situation selbst beschreibt. Nachdem seine Einbürgerung als 16-Jähriger nicht bewilligt wurde, lebte er zwei Jahre in einem Asylbewerberheim in Hötensleben, bevor er nach Harbke umzog. " Also eigentlich bei Harbke ", wie er hinzufügt.

Sechs Jahre wohnt er nun gemeinsam mit etwa 150 weiteren Flüchtlingen aus allen Teilen der Welt in der ehemaligen NVA-Kaserne im Harbker Ortsteil Autobahn. Verschiedene Medienvertreter lernte er in dieser Zeit kennen, führte sie über das Gelände, sprach mit ihnen über die Zustände vor Ort. " Die Zimmer sind von Schimmel befallen, überall rieselt der Putz von der Decke ", erzählt Hussein ruhig. Woher er die Ruhe nimmt ? " Ich wohne hier seit sechs Jahren – mich schreckt gar nichts mehr ab ".

" Hier muss sich etwas ändern "

Viel schlimmer für die Bewohnerdes " Dschungelheimes ", wie die alte Kaserne von der mobilen Opferberatung aufgrund der isolierten Lage im Wald bezeichnet wird, sei aber die Unsicherheit, die alle befällt. Schließlich kam es allein in den vergangenen zwölf Monaten zu drei Anschlägen Rechtsextremer, der letzte davon erst Anfang November. " Die haben uns nachts überfallen, haben uns beschimpft und bedroht, sind in die Häuser eingebrochen und haben die Feuerlöscher entleert in den Fluren. Der Rauch stieg in alle Etagen. Das war fürchterlich für uns ", berichtet der 23-Jährige.

Die jüngsten Vorkommnisse und auch der bauliche Zustand des Heims sorgten denn auch überregional für negative Schlagzeilen und Berichte in den Medien.

" Die Situation ist unzumutbar ", erklärte die Landesintegrationsbeauftragte Susi Möbbeck und forderte die verantwortlichen Entscheidungsträger auf, sich vor Ort ein Bild von den Zuständen zu verschaffen. So trafen sich jetzt die Verantwortlichen von Kreisund Landespolitik gemeinsam mit Vertretern des Ordnungsamtes, der Polizei und dem privaten Gebäudeverwalter Wolfgang Herrel. Unter ihnen auch der Sozialdezernent des Landkreises Börde, Joachim Hoeft, der gegenüber Volksstimme zugab, " dass sich hier was ändern muss ".

" Wir hatten gute Gespräche. Beschlossen wurde vorläufig, dass die Familien mit Kindern in Wohnungen im Landkreis vermittelt werden. Und das so schnell wie möglich ", zog Susi Möbbeck ein erstes Fazit nach dem Gespräch. Sozialdezernent Joachim Hoeft hatte bereits vor dem Treffen im jüngsten Kreistag in einer Stellungnahme zu den Vorkommnissen und Medienberichten erklärt, dass man sich um eine schnelle Unterbringung der Familien in Wohnungen bemühe. Im Landkreis gebe es die Festlegung, dass Familien mit Bleiberecht nicht in Heimen, sondern in Wohnungen untergebracht werden. Das werde auch schon seit längerem praktiziert. Bei den in Harbke wohnenden Familien handele es sich um Personen ohne Bleiberecht.

Die Entscheidung hatte Innenminister Holger Hövelmann begrüßt. " Es ist gut, dass der Landkreis jetzt auf die Situation reagiert und unsere Empfehlung umsetzt, dass Familien besser in Wohnungen leben sollen als in Gemeinschaftsunterkünften ", sagte der Minister nach einem Telefonat mit Landrat Thomas Webel. " Das ist im Sinne eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen eine gute Entscheidung. Ich gehe davon aus, dass der Landkreis weiter sehr genau prüfen wird, ob der Betreiber der Unterkunft Harbke seine Verpflichtungen erfüllt hat und erfüllen kann. "

Auf die Frage, ob eine Schließung der gesamten Anlage an der Autobahn A 2 in Betracht käme, agierte die Integrationsbeauftragte beim vor-Ort-Termin vorsichtig : " Der Landkreis hat aus den Vorfällen der jüngeren Vergangenheit seine Konsequenzen gezogen und will in Absprache mit der Polizei die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Gelände erhöhen. "

Dabei werden zunächst das Haupteingangstor und die Haustüren zu den Wohngebäuden mit Schlössern versehen, damit es rechtsextremen Kräften zukünftig nicht mehr so einfach gemacht wird, das Gelände zu betreten. Auch wird in Betracht gezogen, den Geländeeingangsbereich mit Überwachungskameras auszustatten. " Es ist wichtig, den Bewohnern das Gefühl der Sicherheit wiederzubringen ", erklärte Möbbeck.

Immer noch nicht geklärt werden konnte, ob das Heim vielleicht bald ganz aufgelöst wird. " Wir haben mit dem Verwalter, der BSI GmbH, einen Vertrag bis nächsten August. Nun muss in den nächsten Monaten genau geprüft werden, ob und inwieweit der Gebäudeverwalter die Mängel an den sanitären Anlagen beseitigen kann. Daraus muss die Politik dann ihre Schlüsse ziehen und reagieren ", so Möbbeck zu den Planungen für die kommenden Schritte.

Sollte eine Kündigung des Vertrages mit der BSI erfolgen, das " Dschungelheim " in Harbke endgültig seine Tore schließen, bleibt für die Entscheidungsträger noch die Frage zu klären, was mit den Bewohnern geschehen soll. Sozialdezernent Joachim Hoeft : " Wir werden uns anschauen, wie andere Landkreise verfahren, und uns dann ein Konzept überlegen, die Alternativen abwägen ".