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19 Zusteller sind sechs Nächte pro Woche in Wolmirstedt und den vier Ortsteilen unterwegs Gerd Heute: "Das Austragen der Zeitung ist für mich mein täglicher Frühsport"

Von Claudia Labude 20.07.2009, 05:03

Jede Nacht machen sich 19 Männer und Frauen in Wolmirstedt und den vier Ortsteilen auf den Weg, damit Sie, liebe Leser, pünktlich um sechs Uhr Ihre Zeitung im Kasten haben. Doch wie ist das so, bei Wind und Wetter und in der Dunkelheit seine Runden zu drehen ? Die Volksstimme hat sich mit auf den Weg gemacht.

Wolmirstedt. Um 3. 15 Uhr ist es gespenstisch still. Die Stadt schläft. Lediglich in einer Garage in der Julius-Bremer-Straße herrscht rege Betriebsamkeit.

Mit einem freundlichen " Guten Morgen " springt Gerd Heute von seinem Fahrrad. Er packt gleich mit an. Vor der Garage steht ein Transporter, aus dem seine zwei Zustellerkollegen schon die Zeitungsrollen ausladen und auf verschiedene Tische in der Garage verteilen. Die Handgriffe funktionieren automatisch, jeder Mitarbeiter hat seine Nummer. Gerd Heute trägt seit acht Jahren die Volksstimme aus, immer im Gebiet 350840. " Das ist alles, was hinter den Bahnschienen in Richtung Glindenberg liegt ", erklärt der 66-Jährige.

Sonnabends, wenn die Zeitungen dicker sind, haben die Zusteller ordentlich zu schleppen. Heute, an einem normalen Montag, sind es gut 125 Volksstimme-Exemplare und die Marktplatz-Sonderausgaben,

die von Gerd Heute zu verteilen sind. Dafür reichen die zwei Körbe, die vorn und hinten an seinem Damenrad befestigt sind. " Ein Fahrrad mit Stange kann ich nicht nehmen, ich hab zwei künstliche Hüftgelenke ", erklärt der Rentner.

Bevor er sich um kurz vor halb vier Uhr nachts auf den Weg macht, wirft Heute noch einen kurzen Blick auf die Informationszettel aus seinen Rollen. Darauf steht vermerkt, wer sein Abo für den Urlaub unterbrochen hat, wer neu- oder abbestellt hat und wo jemand verstorben ist. Gerd Heute kennt sein Gebiet wie seine Westentasche, jedes Schlagloch auf der Straße, jeden Gullydeckel. Wenn er zu seiner täglichen Runde startet, ist es stockduster. Nur der Mond und zwei Sterne leuchten am Himmel.

Hinter den Bahnschienen spenden die Straßenlaternen noch ausreichend Licht. Das Austeilen funktioniert größtenteils, ohne dass Gerd Heute von seinem Rad absteigen muss. An den Briefkasten heranfahren, ein Griff in den vorderen oder hinteren Korb, Zeitung knicken, einwerfen, fertig.

" Mit Hunden hab ich hier wenig zu tun "

In den Wohngebieten wechselt der Zusteller immer wieder die Straßenseite. Dass sein Job ein einsamer ist, stört Gerd Heute nicht. Er ist ein Arbeiter, den keiner sieht. " Aber die Leute kennen mich. Ich hab selbst lange Jahre in der Angerstraße gewohnt, da kennt man seine Nachbarschaft. " Zu jedem Haus und den Bewohnern hat er etwas zu erzählen. Viel wichtiger ist aber, dass der Zusteller genau weiß, wo sich die Briefkästen befinden und wo vielleicht ein Hund das Grundstück bewacht. " Doch damit habe ich in meinem Gebiet wenig zu tun. "

Vor acht Jahren hat er angefangen, nachts die Zeitungen auszutragen. Vorher hat der Wolmirstedter als Maler und Planierraupenfahrer gearbeitet. Das frühe Aufstehen macht ihm nichts aus. Gegen zehn Uhr abends geht es ins Bett, um 2.30 Uhr klingelt der Wecker. " Wobei ich den eigentlich nicht mehr brauche. "

Nicht mal zwanzig Minuten nach dem Start an der Garage erreicht Heute den Handwerkerring. Menschen trifft er fast nie auf seiner Tour. Dafür Tiere. " Hier im Gewerbegebiet hat mich mal ein Fuchs verfolgt, da war mir etwas mulmig ", erinnert er sich. Im Wohngebiet Am Obstgarten brennt in einem Haus schon Licht. Ansonsten schlafen die Menschen überall noch, weswegen Gerd Heute leise arbeitet. " Für die Röhren werden die Zeitungen gerollt, für die Briefkästen einmal in der Mitte geknickt. " Die Technik funktioniert. Nur die Bewegungsmelder an den Häusern zeigen an, dass er wie jeden Tag pünktlich da ist.

Sollte er auf seiner Tour mal vom Regen überrascht werden, weiß Gerd Heute genau, wo er sich unterstellen kann, nutzt dazu auch mal einen Carport an einem Grundstück, um abzuwarten, bis ein Regen oder ein Gewitter vorübergezogen ist. Die tägliche, gut acht Kilometer lange Radtour, sieht der 66-Jährige als seinen Frühsport. Die klare Luft, das Zwitschern der Vögel, er genießt die Runde. Nur im Winter, wenn Schnee und Eis des Nachts noch nicht beräumt sind, wird das Austragen schwieriger. " Da werden schnell die Finger kalt. "

Mittlerweile ist die Angerstraße erreicht. Die digitale Uhr an einem Gebäude des Bodelschwingh-Hauses zeigt 4.07 Uhr. " Ich bin gut im Rennen ", erklärt Heute, der sich täglich an dieser Uhr orientiert. Zweieinhalb Wochen hat er gebraucht, bis er sein Gebiet aus dem Effeff kannte. " Man kann mich nachts wecken und ich kann die Reihenfolge der Häuser, Briefkästen und Zeitungen sagen, die die Bewohner lesen ", erklärt er nicht ohne Stolz.

In Richtung Vereinsheim der Schützen zieht der Nebel über die Wiesen. Drei Pferde stehen auf einer Koppel, eines davon außerhalb des Zauns. " Da würde man jetzt eh keinen Besitzer erreichen, das Pferd büxt sicher nicht aus ", mutmaßt Heute. Er meldet immer, wenn etwas auf der Strecke passiert, beispielsweise eine Straßenlampe nicht funktioniert. Zwei Tage würde es meist dauern, bis der Defekt behoben wird.

" Auf Geschenke sind wir Zusteller nicht aus "

In der Seniorenwohnanlange Angerstraße muss Heute das erste Mal einen Schlüssel benutzen, die Briefkästen sind dort in den Häusern. Für seine Vertretung, falls er mal krank wird oder in den Urlaub fährt, hat der Zusteller die Briefkästen, in die eine Volksstimme kommt, mit einem " VS " -Aufkleber verziert. Manch einer wartet aber auch persönlich auf die Zeitung. Alfred Eichel zum Beispiel steht schon am Hauseingang. Die Männer kennen sich, plaudern gerne kurz. Für Eichel ist die Nacht halb vier Uhr vorbei, gut eine Stunde später wartet er auf den Zusteller, um mit der Zeitung in den Tag zu starten. " Wenn er mich nicht sieht, dann darf ich auch klingeln, damit er weiß, dass ich da bin ", erklärt Gerd Heute.

Immer zu Weihnachten bastelt der Zusteller mit Hilfe seiner Tochter eine kleine Karte am Computer, wünscht den Bürgern aus seinem Gebiet darauf ein frohes Fest und einen guten Jahreswechsel. " Klar, es gibt auch mal ein Päckchen Kaffee oder einen Umschlag mit ein bisschen Geld. Aber darauf sind wir Zusteller nicht aus. Ich freue mich, wenn sich die Leute über die Zeitung im Kasten freuen. " Und dazu gehört manchmal auch ein besonderer Service. " Halt, hier keine Zeitung in den Briefkasten ", mahnt Heute. " Hier wohnt mein Kumpel, der kriegt sie immer direkt auf den Balkon. " Sagts, holt ein Gummiband aus der Tasche und wirft die zusammengerollte Zeitung auf den Balkon im 1. Stock. " Die Gummibänder gibt er mir dann immer mal gesammelt wieder ", erklärt Gerd Heute lachend.

Punkt 4. 46 Uhr ist die letzte Zeitung zugestellt. Am Bahnübergang Gartenstraße muss Heute warten. Während zwei Züge über die Schienen rattern, ist Zeit für die erste Zigarette des Tages. Mit leeren Fahrradkörben geht es jetzt heim, Frühstückmachen für die Tochter, einen Kaffee trinken und selbst die Zeitung lesen. Dann schläft der Zusteller nochmal ein paar Stunden. Die frische Luft hat müde gemacht. Den Sonnenaufgang sieht der Frühaufsteher nie. Denn dafür müsste er seine Tour in die entgegengesetzte Richtung fahren. Aber das ist unpraktisch. Denn ranfahren, rausholen, knicken und einwerfen – das hat sich für Gerd Heute bewährt. Und so wird er es auch morgen früh wieder handhaben.