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Neue Außenberatungsstelle im Wolmirstedter Rathaus Jürgen Soisson: "Blindheit ist nicht automatisch nur schwarz"

Von Claudia Labude 10.03.2009, 05:06

" Es ist jetzt zehn Uhr. " Die Stimme aus seiner Funkuhr sagt Jürgen Soisson die Zeit. Sehen kann er sie nicht. Nach einem Unfall während der Ausübung seiner Wehrpf icht ist Soisson blind. Das war 1972. Statt zu resignieren, fing er an, anderen Blinden und Sehbehinderten zu helfen, wurde Leiter der Beratungsstelle des Blindenverbandes in Stendal und ehrenamtlicher Leiter der Bezirksgruppe Nord. Gestern wurde in Wolmirstedt eine Außenberatungsstelle eröffnet.

Wolmirstedt. " Als ich damals als 22-Jähriger die erste Beratungsstelle aufsuchte, saßen da vier alte Männer in einer Wohnstube – ich kam mir vor, als stünde ich vor einer Jury. " Seit er selbst Blinden und Sehbehinderten hilft, hat sich die Form der Beratungen verändert. Unter vier Augen oder mit maximal zwei Beratern gegenüber wird Ratsuchenden in der Beratungsstelle Stendal geholfen. Seit gestern gibt es eine Außenberatungsstelle in Wolmirstedt. Jeden zweiten Montag im Monat finden Blinde und Sehbehinderte künftig einen Ansprechpartner im Zimmer 2. 13 des Rathauses.

Die Betreuung von Behinderten hätte sich seit der Wende sehr verbessert. Nicht nur der medizinische, auch der technische Fortschritt erhöht die Lebensqualität. " Aber kaum einer in der Verwaltung wird freiwillig sagen, was einem zusteht, man muss sich selbst informieren ", weiß Holger Boenigk, der in leitender Position bei der Bezirksgruppe tätig ist und ab nächstem Monat die Beratungen zusammen mit Siegfried Krüger anbieten wird. Die Sprechstunden sind für alle da, also auch für die Betroffenen, die noch nicht in einer Selbsthilfegruppe organisiert sind. Denn auch dort erfahren Blinde und Sehbehinderte unter anderem, welche Hilfsmittel es für den Alltag gibt und was bei der Antragstellung für so genannte Nachteilsausgleiche – zum Beispiel Behindertenausweise und die GEZ-Gebührenbefreiung – zu beachten ist.

" Blindheit ist nicht automatisch immer nur schwarz, also so, dass man gar nichts mehr sieht. Wir haben in letzter Zeit immer mehr Menschen, die im zunehmenden Alter mit Sehbehinderungen leben lernen müssen ", erklärt Jürgen Soisson. " Bei einer Sehkraft von einem Zwanzigstel spricht man von hochgradiger Sehbehinderung, ab einer Restsehstärke von einem Fünfzigstel spricht man von Blindheit ", ergänzt er.

Viele würden sich nicht trauen, den weißen Stock zu benutzen, der einerseits durch die Entlangführung an Borden der Orientierung dient, aber auch für andere Menschen ein sichtbares Zeichen für Hilfsbedürftigkeit ist. " Die Blinden denken oft, wenn sie den Stock benutzen, dann schauen alle auf sie. Deshalb trägt auch fast niemand mehr die gelbe Armbinde mit den drei Punkten ", weiß Jürgen Soisson aus Erfahrung. Die neue Außenberatungsstelle in Wolmirstedt ist eine von zwölf, auch in Haldensleben wird demnächst eine Sprechzeit angeboten. " Wir wissen, dass wir geduldig sein müssen. Auch wenn in der Anfangszeit vielleicht mal keiner kommt ", erklärte Jürgen Soisson. Er ist sich sicher – das Angebot wird sich rumsprechen. Gestern konnten die drei Männer schon einem Ratsuchenden helfen. Die nächste Sprechstunde fndet – durch Ostern ausnahmsweise nicht am zweiten Montag des Monats – am 20. April im Raum 2.13 des Rathauses statt.