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Hilfen zur Erziehung in der Region Zerbst/Köthen Drei Jugendhilfe-Einrichtungen feiern Geburtstag

Drei nach der Wende im Altkreis Zerbst etablierte Einrichtungen der
ambulanten Jugendhilfe in freier Trägerschaft haben auch 20 Jahre später
ihre Berechtigung. Die Leiterinnen der drei "Zweige" der Hilfen zur
Erziehung sind von Beginn an dabei.

Von Thomas Drechsel 20.01.2014, 01:26

Zerbst. Es ist unmöglich feststellbar, wievielen Kindern, Jugendlichen und Familien aus dem Raum Zerbst dauerhaft Halt, Orientierung und familiärer Zusammenhalt gegeben werden konnte. Wievielen Kindern eine kriminelle Karriere erspart blieb, wieviele Familien ein echtes Familienleben einrichten konnten, wieviele Scheidungen vermieden wurden. Fest steht: Die im Raum Zerbst seit Ende 1993 unter dem Dach des heutigen "Paritätischen Sozialwerks Kinder- und Jugendhilfe" angebotenen Hilfen haben gewirkt. Seit nunmehr 20 Jahren sind Susann Böckel, Sylvia Pannicke und Melitta Ferchland die guten Geister, wenn schulische Probleme, Trennungs- oder Scheidungssituationen, Hyperaktivität, körperliche Störungen, Entwicklungsverzögerungen oder soziale Probleme das Familienleben einschränken oder gar unterbinden.

Die Erziehungs- und Familienberatung legt die Schwächen des heutigen Alltags mit seinen häufig negativen Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Familien offen. "Wir erleben, dass sich die Formen des Zusammenlebens gerade auch in den Familien ändern. Die klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellation wird seltener, Patchworkfamilien nehmen zu, auch die alleinerziehenden Haushalte. Das war vor 20 Jahren so nicht der Fall", sagt Susann Böckel. Es sei nicht verwunderlich, dass bundesweit jedes vierte Kind miterlebt, wie sich die Eltern trennen. "Das führt zu neuen Formen von Familie."

Zugleich haben es die drei Frauen längst mit der zweiten Generation gescheiterter Familien zu tun. "Wir erleben, dass bei Eltern, die Trennungen der Eltern miterlebten, eine höhere Erziehungsunsicherheit entstanden ist. Die psychische Belastung durch familiäre Erziehung ist gestiegen, auch das schlägt auf den familiären Alltag durch."

Und sie haben es mit gänzlich anderen Verhaltens- und Modeerscheinungen zu tun als vor 20 Jahren. "Es gab weder Internet noch Handy. Heutzutage kommt es wirklich vor, dass eine Mutter ihre im Kinderzimmer schlafenden Sohn mit dem Handy weckt. Die Kommunikation hat sich grundlegend gewandelt, nicht immer zu Gunsten der Harmonie in den Familien."

Ein weiteres Kriterium ist die immens gestiegene Leistungsorientierung. "Die Eltern fokussieren auf Resultate, auf Leistung. Und das setzt sich auch in den Kitas fort. Deren Bildungsprogramme beschleunigen die Leistungsanforderungen. Dies ist der Tribut an die gesellschaftlichen Verhältnisse, der nötig ist, um im Leben vorwärts zu kommen, der anderseits zu schwierigen Situationen in der Familie führen kann." Und selbst dies reicht nicht.

Trotz gestiegener Leistungsanforderungen bleibt vielen Familien zuwenig Einkommen für ein auskömmliches Leben. "Der Armutsbericht des Landkreises erklärt viele der Hintergründe der zunehmenden Kinderarmut." Ein Teufelskreis, denn in den Beratungsstellen tauchen nun Fälle auf, in denen sich die Hilfesuchenden eine Fahrt zur Beratung nicht mehr leisten können. "Es hilft auch nicht, auf Zuschüsse vom Amt zu verweisen. Dies setzt voraus, dass man seine Vermögensverhältnisse offen darlegt.

Das wird natürlich zu vermeiden versucht." Die Summe dieser Trends überlagert permanent die üblichen Situationen der Schul- und Entwicklungslaufbahn der Kinder. Muss einem vor der Zukunft bange werden? "Wir sind keinesfalls zukunftspessimistisch. Jede Generation hat ihre eigenen Anforderungen und Aufgaben aus der gesellschaftlichen Entwicklung. Und immer passen sich die Menschen an. Man muss sich den jungen Trends stellen, muss versuchen, sie zu akzeptieren, selbst wenn sie einem aus moralischen oder geschmacklichen Erwägungen heraus falsch vorkommen.

Die Freizügigkeit in der eigenen körperlichen Präsentation in der Öffentlichkeit hat sich sehr geändert." Wer hätte sich früher erlaubt, als Knirps mit einer Bierflasche durch die Stadt zu ziehen? "Die junge Generation will sich abgrenzen. Das war auch früher so. Was war das für ein Aufschrei, als der Minirock aufkam! Dieselbe Entwicklung, vielleicht schriller als im eigenen jugendlichen Erleben, vollzieht sich ständig. Manche Moralvorstellung hat sich drastisch gewandelt. Das ist nicht aufzuhalten. Unsere Aufgabe ist, Konflikte zu entschärfen, Familien zu stabilisieren und natürlich die Entwicklung der Kinder positiv zu beeinflussen."