1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Rußlanddeutsche auf Katharinas Spuren

Vorfahren siedelten ins Zarenreich um, wurden seßhaft, aber nie integriert Rußlanddeutsche auf Katharinas Spuren

Von Thomas Drechsel 17.03.2014, 01:28

Eine 75-köpfige Besuchergruppe der Evangelischen Landeskirchen Baden, Pfalz und Württemberg besuchte am Wochenende Zerbst. Die vornehmlich Rußlanddeutschen interessierten sich für Katharina II.: Deren Ruf waren ihre Vorfahren nach Rußland gefolgt.

Zerbst l Wie muss sich das angefühlt haben: Mit Sack und Pack, Kind und Kegel in ein fremdes Land aufzubrechen. Nichts zu wissen von den Zuständen, den künftigen Nachbarn, den Lebensumständen. Katharina II. hatte viel Platz in ihrem riesigen Reich für Fleiß, Sitten- und Tugendhaftigkeit ihrer Landsmänner. Es kamen Tausende, auch im 19. Jahrhundert noch. Die Deutschen in Rußand hatten anfangs Autonomie, Wehrdienst- und Glaubensfreiheit. Doch den Jahren des Aufbaus einer neuen familiären und gesellschaftlichen Existenz folgte häufig die Ächtung. Wer nicht in russische oder dortige Nationalitäten einheiratete, blieb fremd.

Die Rußlanddeutschen hatten viel zu ertragen. 1941 beispielseise, als nach Kriegsausbruch ihre "neue Heimat" plötzlich deutsch wurde, machten sich einige Familien zu Fuß auf, wollten "richtig" zurück. Doch die Sowjet-Armee folgte nach. Sie mussten zurück, wie Katharina Gauerhof erzählte. "Die Familie wurde in einen Transportwaggon verladen, und es ging zurück. Nicht an die ukrainische Grenze, wo sie sich unter Katharina ansiedelte, sondern in die kasachische Steppe." Wieder neu beginnen. Seit 1989 ist ihre Familie zurück in Deutschland.

Auch Frieda Michel ist seither in Deutschland zuhause. Bei Karaganda hatte sie gelebt. Sowjetunion - das hieß vor allem, anders, eben "deutsch" zu sein. Manchmal "der Nazi", stets separiert. Der evangelische Glaube war verboten, Russisch Amtssprache. "Wir haben trotzdem deutsche Weihnachten gefeiert. Mit Liedern. Mit unseren Sitten."

Gorbatschow und Kohl - die beiden lösten 1986 eine massive Rückwanderwelle aus, obgleich bereits 1953 mit dem Bundesvertriebenengesetz eine gesetzliche Grundlage für die Aufnahme zurückkehrender Deutschstämmiger bestand. Ihre einstige Heimat, das 8000-Einwohner-Dorf "Engels", war beginnend ab 1986 binnen weniger Jahre völlig leer, erzählte Frau Gauerhof. Und jetzt, ist sie jetzt zuhause? "Deutschland war immer unsere Heimat. Die deutschen Sitten und Bräuche sind trotz aller Verbote weitergegeben worden. Ein Neuanfang ist überall schwer. Ich bin immer aber positiv denkend eingestellt. Jeder kleine Fortschritt ist eine Freude. Und wir hatten in der Kirche und in vielen lieben Deutschen eine Stütze", erzählt Frau Gauerhof.

Was sie wohl über die aktuellen Vorgänge in der Ukraine denkt? "Wissen Sie, alle diese Völker, die früher die Sowjetunion ausmachten, sind dennoch individuelle Nationalitäten. Ob Tschetschenien, Kasachstan, Usbekistan - nationalistische Bestrebungen hat es immer gegeben und sie haben oft zu Konflikten geführt. Die Deutschen sollten raus, also wir, und die Russen auch. Doch mal ehrlich: Das ist doch unvorstellbar! Die Völker sind längst verwoben, die Menschen haben sich geheiratet. Weshalb trennen? Es muss gelingen, dass die Menschen eines Landes sich als solche und als Einheit begreifen und gemeinsam gut miteinander auskommen."