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Kampf gegen Vorurteile: Nutzer und ehrenamtliche Mitarbeiter erzählen über den Alltag bei der Zerbster Tafel "Die Tafel hat mich gerettet"

Von Katrin Wurm 27.02.2015, 01:27

Nutzer der Zerbster Tafel haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen: Viele werden als Sozialschmarotzer oder schlichtweg als faul beschimpft. Ein Blick hinter die Kulissen soll mit diesen Vorurteilen aufräumen.

Zerbst l Es ist Mittwochmorgen, 10 Uhr. Im Essensraum der Zerbster Tafel hat sich die sogenannte Mittwochstruppe versammelt. Die Männer und Frauen gemischten Alters trinken Kaffee und schwatzen. Die Stimmung ist gut - wie unter Freunden. "Die Mittwochstruppe ist eine von drei Gruppen der Zerbster Tafel. Andere Gruppen treffen sich jeweils montags und freitags und werden von uns eingeteilt", erklärt Ute van Tulden, Leiterin der Zerbster Tafel. Sie sitzt mit den Nutzern der Tafel am Tisch. Es wird über Probleme geredet und es werden auch Witze gemacht.

Bei allen Mitgliedern der Gruppe wurde eine Bedürftigkeit nachgewiesen. Diese Bedürftigkeit wird im Rathaus festgestellt. Dazu genügt das Vorlegen des Renten- oder Hartz-IV-Bescheides. Mit dem dazu ausgestellten Berechtigungsschein kann dann das Angebot der Tafel genutzt werden.

Viele sind Hartz-IV-Empfänger. Einige aber auch Rentner, die trotz eines Lebens voller Arbeit in die Altersarmut gerutscht sind. "Man kann doch nur das ausgeben, was man hat", erklärt sich Regina Schlaak. Die Rentnerin kommt jede Woche zur Tafel. Trinkt erst mit den anderen Mitgliedern der Mittwochstruppe Kaffee, dann wird gemeinsam gekocht und anschließend werden die Lebensmittelspenden ausgeteilt. "Am Anfang war es mir unangenehm. Aber jetzt schäme ich mich nicht mehr, wenn ich mit dem Rad und den gespendeten Lebensmitteln im Korb durch die Stadt fahre. Viele Bekannte fragen mich dann schmunzelnd: `Na, Regina, warst du wieder einkaufen?`", berichtet sie selbstbewusst.

Die Tafel als Lebensretter und Seelsorger

Dass man sich nicht schämen muss, zur Tafel zu gehen, bekräftigt auch Ute van Tulden: "Es ist keine Schande und ich kann nicht akzeptieren, dass Menschen deswegen diskriminiert werden."

Ottomar Genski hat, wie er selbst sagt, der Tafel seinen Sprung zurück ins Leben zu verdanken. 2004 wurde der heute 54-Jährige obdachlos. "Die Sauferei hat alles zerstört. Job weg, Familie weg, Wohnung weg", sagt er wehmütig. "Ich habe mich so geschämt. Dann kam die Tafel auf mich zu. Sie haben mit mir geredet und mich aufgefangen", berichtet er. Nach einem halben Jahr auf der Straße hatte er wieder eine Wohnung und sah einen Sinn im Leben: die Zerbster Tafel. "Anfangs hatte ich ein schlechtes Gewissen, die Hilfen entgegenzunehmen. Jetzt engagiere ich mich auch ehrenamtlich bei der Tafel, um etwas zurückzugeben", sagt Genski. Ein Leben ohne die regelmäßigen Treffen könne er sich nicht mehr vorstellen. Sogar die Liebe ist Dank der Tafel in sein Leben zurückgekehrt. "Ich habe meine Partnerin hier kennengelernt. Und nun sind wir sogar verlobt", sagt er und zeigt stolz seinen Verlobungsring. Heiraten wolle er allerdings nicht mehr: "Wir wissen auch so, dass wir zusammengehören. Sie ist einfach meine Frau", sagt Ottomar Genski lächelnd. Genski hat sechs Enkelkinder. Dass ihr Opa arm sei, sei für diese kein Problem. "Mehr als zehn Euro kann ich jedem Kind nicht zu Weihnachten geben", sagt er.

Händeringend wird nach Sponsoren gesucht

Auch Frank Thöne ist vom Schicksal gezeichnet. Der 50-Jährige kommt schon viele Jahre zur Zerbster Tafel. Durch einen Schlaganfall geriet sein ganzes Leben ins Wanken. Plötzlich war der Beruf weg und die Armut ganz nah. "Erst war ich bei der Tafel in Roßlau. Nun bin ich schon viele Jahre hier in Zerbst und sehr glücklich", erzählt er, während er gemeinsam mit Ottomar Genski das Mittagessen zubereitet. Sauerkraut, Bratwürste, Erbsen und Kartoffeln stehen auf der Speisekarte. Alles wird aus gespendeten Lebensmitteln zubereitet. "Leider werden die Spenden immer weniger und vor allem haben wir immer weniger Sponsoren", bedauert Ute van Tulden . Klinkenputzen sei bei ihr zurzeit angesagt, um die Spendenbereitschaft für die Tafel voranzubringen.

Auch Kleiderspenden nimmt die Tafel entgegen. Frank Thöne präsentiert stolz seine beige Jacke: "Dafür habe ich hier fünf Euro bezahlt. Im Laden kostet so eine Jacke mindestens 60 Euro." Im Gespräch mit der Mittwochstruppe stellt sich deutlich heraus, dass viele sich durch ihren Besuch in der Tafel von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen. Eine Nutzerin sagt: "Man wird als Penner angesehen." Ute van Tulden bedauert: "Diese Diskriminierung ist ganz schlimm."

120 Nutzer sind bei der Tafel registriert. Dass in Zerbst und dem Umland faktisch viel mehr Leute das Angebot der Tafel nutzen könnten, weiß Ute van Tulden. Sie hofft, dass in Zukunft mehr Menschen sich ein Herz fassen und die Hilfe in Anspruch nehmen.

In diesem Jahr feiert die Tafel zehnjähriges Bestehen. Ein großes Fest ist geplant, Näheres wird zeitnah bekanntgegeben. "Dieser Termin ist dafür da, um über die Tafel aufzuklären und eventuelle Vorurteile beiseite zu schaffen", hofft Ute van Tulden. Auch die Teilnahme am Spargelfest steht im Kalender der Tafel - sie planen einen Kuchenbasar. Um die Hygienevorschriften einhalten zu können, benötigt die Tafel noch Mundschützer.

Wer spenden und helfen möchte, kann sich bei der Tafel melden, unter 0152/53 24 90 87 oder per E-Mail unter zerbstertafel@diakonie-zerbst.de.