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Im Gespräch mit Dietrich Landmann, Leiter des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Zerbst Dienste unter schwierigen Bedingungen

24.02.2012, 04:28

Das Jahr 2011 stand für das Diakonische Werk im Kirchenkreis Zerbst im Zeichen des 20-jährigen Bestehens. Einer der Schwerpunkte im neuen Jahr ist die weitere Absicherung der verschiedenen Dienste. Mit Dietrich Landmann, Leiter des Werkes, sprach Antje Rohm für die Volksstimme.

Volksstimme: 2011 war ein Jubiläumsjahr. Lassen Sie uns noch einmal zurückblicken.

Dietrich Landmann: 1991 gründeten sich in den Kirchenkreisen der ostdeutschen Landeskirchen viele diakonische Einrichtungen und Dienste. Damals musste der Zusammenbruch des staatlichen Gesundheits- und Sozialwesens aufgefangen werden. 20 Jahre später - am 8. Juli 2011 - feierten wir auch in Zerbst 20 Jahre Diakonie-Sozialstation.

Volksstimme: Welche Struktur hat sie heute?

Landmann: Aus den 1991 eingeweihten Sozialstationen in Zerbst und Roßlau ist inzwischen unter gemeinsamer Pflegedienstleitung die Diakonie-Sozialstation Zerbst/Roßlau mit 42 hauptamtlich tätigen Mitarbeitenden geworden. Eine hohe Fachkraftquote von 70 Prozent zeichnet die Sozialstation aus. In "Bezugspflege" arbeiten Mitarbeiterteams in Personalkontinuität in sechs Pflegebereichen von Gommern bis Coswig und von Loburg bis Roßlau.

Volksstimme: Haben sich die Aufgaben verändert?

Landmann: Der Fokus lag und liegt darauf, den Bedürfnissen der Hilfeempfänger ganzheitlich in Pflege und Betreuung zu entsprechen und die Dienstleistungsqualität ständig weiter zu entwickeln. Neben Pflege und hauswirtschaftlicher Versorgung bieten wir nunmehr auch demenzkranken Patienten häusliche Vor-Ort-Betreuung an. Seit Langem sind das Bemühen um Verankerung von Pflegestandards im Dienstvollzug, sind ständige Weiterbildung der Mitarbeiter und Kontrollen der Pflegedokumentationen, Qualitätszirkel und ein stringentes Beschwerdemanagement eingeführte Instrumente der Qualitätssicherung. Dieses Bemühen zahlt sich aus. Zwei unangemeldete Kontrollen des Medizinischen Dienstes der Pflegekas- sen erbrachten beide Male Bestnoten.

Volksstimme: Weitere Bereiche des Diakonischen Werkes sind jetzt ebenfalls im 21. Jahr.

Landmann: Dazu gehört die Schwangerschaftsberatungsstelle. In unserer Zerbster Beratungsstelle arbeiten heute Annett Berger und Irene Singer. Nach der Überwindung einer Stellenvakanz im Jahr 2010 war es uns möglich, den Schulen wieder regelmäßig Sexualpädagogik anzubieten. Im Jahr 2011 wurden 94 Schulveranstaltungen durchgeführt. Im November startete unsere Eltern-Kind-Gruppe, die vor allem von Alleinerziehenden zum Erfahrungsaustausch genutzt wird.

"Mitteldeutschland braucht Zuwanderung"

Volksstimme: Ein anderer Dienst ist die Beratung von Ausländern ...

Landmann: ..., die ebenfalls vor 20 Jahren ihren Anfang nahm. Damals waren die ersten Asylbewerber in Übergangswohnheime in Zerbst eingezogen. Es waren Familien aus dem Iran, dem Irak und aus Afghanistan. Wir übernahmen die Betreuung der Kinder. Daraus ist später unsere Familienhilfe erwachsen. Die Migrationshilfe in der Schloßfreiheit 7 und der Jugendmigrationsdienst auf dem Zerbster Markt kümmern sich heute darum, dass Zuwanderer bei uns heimisch werden. Und Mitteldeutschland braucht Zuwanderung.

Volksstimme: Macht sich das in der Migrantenbetreuung bemerkbar?

Landmann: Wo die nach 1990 drastisch rückläufige Geburtenrate und die starke Abwanderung in den Nachwendejahren einerseits ein Problem für den Arbeitsmarkt sind, hat diese insgesamt wenig zukunftsweisende Entwicklung für junge Migranten eher einen positiven Effekt. Ihre Chancen sind spürbar gestiegen, ihren Wunschberuf ergreifen zu können. Sprachdefizite, kulturell bedingte Mentalitätshemmnisse und auch unausgesprochene Vorbehalte treten immer stärker in den Hintergrund. Zu Beginn des Ausbildungsjahres 2005/2006 waren noch elf von unseren vom Jugendmigrationsdienst begleiteten Jugendlichen ohne Lehrvertrag. 2010 waren es nur noch zwei. Und auch die konnten zeitnah in eine Ausbildung vermittelt werden. Aktuell ist nur noch eine Jugendliche ohne Lehrvertrag. Der erleichterte Zugang zum Ausbildungsmarkt ist für die jungen Leute erfreulich, wenngleich die kausalen Zusammenhänge eher bedenklich sind.

Volksstimme: Weniger erfreulich steht es um die "Hilfe für sozial gefährdete Personen".

Landmann: Sie ist selbst gefährdet. Die meisten ihrer Klienten betreut unsere "Hilfe für sozial gefährdete Personen" über viele Jahre hinweg. Diffuse Persönlichkeitsstrukturen und komplexe Problemlagen erfordern eine langfristige psychosoziale Begleitung, damit prekäre Lebensumstände nicht zur dauerhaften Ausgrenzung führen. Langzeitarbeitlose erhielten Hilfe, die auf sich allein gestellt nicht ausreichend in der Lage sind, ihren Alltagsanforderungen gerecht zu werden und die aufgrund unstrukturierter Lebensführung kaum in den Arbeitsmarkt oder in Arbeitsfördermaßnahmen integriert wurden. Als Bestandteil ihrer mit der Kommunalen Beschäftigungsagentur Anhalt-Bitterfeld zu treffenden Eingliederungsvereinbarung konnte ihnen psychosoziale Betreuung durch einen Sozialarbeiter zuteil werden.

Volksstimme: Konnte?

Landmann: Ende 2011 teilte die KomBa dem Diakonischen Werk in einem knappen Schreiben mit, dass die "Vereinbarung zur Erbringung psychosozialer Betreuung gemäß Paragraf 16 a SGB II" ab Januar 2012 nicht fortgesetzt werden kann. Künftig solle an allen Standorten der KomBa einheitlich verfahren werden, hieß es. Da an den anderen KomBa-Standorten ein vergleichbares Angebot nach unserer Kenntnis nicht existiert, stand bisher zu befürchten, dass dieser Ansatz armutsvermeidender Sozialarbeit dem "Rotstift" zum Opfer fallen soll. Inzwischen hatte ich noch ein Gespräch mit dem KomBa-Vorstand. Vor dem Hintergrund sich ändernder gesetzlicher Rahmenbedingungen sollen noch mal die Möglichkeiten für uns geprüft werden. Die Empfehlung des im vorigen Jahr auch mit maßgeblicher Beteiligung des Diakonischen Werkes erarbeiteten Armutsberichtes, kommunalpolitisches Handeln müsse die Sicherung des Beratungs- und Betreuungsangebotes für "sozialgefährdete Personen" zum Schwerpunkt haben, bliebe anderenfalls ohne erkennbare Resonanz.

"Kein Engpass dank Bürgerarbeit"

Volksstimme: Ein anderes Feld, um das sich die Diakonie kümmert, sind Menschen mit seelischer Behinderung.

Landmann: Die gesellschaftliche Integration von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen zu stärken ist Anliegen unserer Arbeit. Mit 115 Prozent war unsere Zerbster Einrichtung im vergangenen Jahr erneut mehr als ausgelastet. Die Roßlauer Tagesstätte erreichte eine Belegungsquote von 102 Prozent. Beide Einrichtungen haben jeweils 15 Betreuungsplätze. Die Intensität der Inanspruchnahme zeigt die gute Verankerung unserer psychotherapeutischen Angebote im psychiatrischen Hilfesystem sowohl im Landkreis Anhalt-Bitterfeld als auch in der Stadt Dessau-Roßlau. Dabei beschränken sich die Aktivitäten nicht nur auf den inneren Bereich der Tagesstätten, sondern sind auch nach außen auf den öffentlichen Raum gerichtet. Dazu zählen der regelmäßige Schwimmbadbesuch oder die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Besonders wichtig ist für die Tagesstätten-Besucher das Erleben, nützlich zu sein. In der Beschäftigungstherapie wurden zum Beispiel Spiele für die Bartholomäischule hergestellt.

Volksstimme: Wie hat sich die Abschaffung des Zivildienstes ausgewirkt?

Landmann: Mit Kevin Röschke verabschiedeten wir im August 2011 unseren allerletzten "Zivi". Im Oktober konnten wir mit Christian Schmidt den ersten "Bufdi" (Bundesfreiwilligendienstler - d.A.) begrüßen. Dass der Wechsel vom "Zivi" zum "Bufdi" bei uns zu keinem Engpass geführt hat, verdanken wir dem Programm Bürgerarbeit. Seit Juli 2011 verstärken Bürgerarbeiter unsere Mitarbeiterteams in der Diakonie-Sozialstation, in der Zerbster Tagesstätte für Menschen mit seelischer Behinderung und in der Zerbster Kinder-Tafel.

Volksstimme: Das Stichwort Bartholomäischule fiel bereits - das jüngste Betätigungsfeld des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Zerbst.

Landmann: Nachdem die Evangelische Landeskirche Anhalts die Rechtsträgerschaft über die Schule übernommen hatte, übertrug sie die Hortträgerschaft per "Geschäftsbesorgungsvertrag" auf das Diakonische Werk. Die ortsansässigen Kirchgemeinden ließen sich in einen Schul- und Hortverwaltungsausschuss einbinden und machten so die Schule auch zu ihrer Sache. Im ersten Schuljahr wurden 15 Kinder beschult, jetzt sind es 29 Kinder, im kommenden Schuljahr könnten es über 40 sein. Die Evangelische Grundschule in Zerbst so zu etablieren, dass sie sich trotz Schulgeldpflicht behaupten kann, bleibt eine Herausforderung für Lehr- und Hortpersonal, aber auch für die Schul- und Hortträger und für alle, die diese Schule in Zerbst wollen. Die bisher gemachten Erfahrungen stimmen allerdings sehr zuversichtlich.

Volksstimme: Neben allem Genannten, welche Schwerpunkte gibt es in der Arbeit des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Zerbst in diesem Jahr?

Landmann: Wir sind dabei, in Roßlau ein betreutes Wohnen für Menschen mit seelischer Behinderung einzurichten. In unserer Zerbster Dienststelle in der Dessauer Straße waren wir im Winter 2010/2011 so stark von Grundwasserproblemen betroffen, dass wir unsere Physiotherapie im Keller evakuieren und dort alles in den Rohbauzustand zurücksetzen mussten. Die Räumlichkeiten sollen 2012 wieder hergerichtet werden. Eine ständige Herausforderung bleibt darüber hinaus, unsere Dienste unter den sich weiter verschärfenden finanziellen Rahmenbedingungen weiter abzusichern.