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Streit bei Enercon Windradbauer bitten Politiker um Hilfe

Mitarbeiter eines Tochterunternehmens von Enercon protestieren gegen die fristlose Kündigung ihres Betriebsratschefs.

06.10.2014, 09:49

Altstadt l "Wir sind ein junger Betriebsrat. Wir bitten Sie um Unterstützung." Mit ernster Miene und bebender Stimme trat Nils-Holger Böttger zur Bürgerfragestunde der jüngsten Ratssitzung ans Mikrofon. Der 35-jährige Elektromonteur wartet seit 2009 Windräder bei der Enercon-Tochter WEA Service Ost. 2013 setzte er sich für die Gründung eines Betriebsrates ein, 2014 wurde er dessen Vorsitzender. Jetzt ist Böttger fristlos gekündigt. Sein Fall sorgt bundesweit für Schlagzeilen und war bereits im September Thema einer aktuellen Debatte im Landtag. Selbst Enthüllungsjournalist Günter Wallraff meldete sich in der Sache zu Wort. Er zollt Böttger seinen "größten Respekt". Die Unternehmensleitung wirft dem Mann Kompetenzüberschreitung vor (Volksstimme berichtete), weil er sich auch für die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern einsetzte. Die IG Metall und viele Kollegen sehen in Böttgers Kündigung aber nur einen von zahlreichen Fällen des Versuchs der Einschüchterung und der Untergrabung rechtlich verbriefter Mitbestimmungsrechte von Mitarbeitern.

Im Stadtrat liegt Anspannung in der Luft als Böttger im Protesttrikot "Betroffen ist einer - gemeint sind alle!" ans Mikrofon tritt; hinter ihm läuft sein Kollege Thomas Ahrend auf - einen kiloschweren Stapel Unterschriftenlisten in der Hand; 14000 sollen es sein, alle pro Böttger, respektive pro Mitbestimmung. Oben auf den Besucherrängen hat ein knappes Dutzend weiterer Kollegen Platz genommen. Sie tragen alle das gleiche T-Shirt - Protest.

Böttger macht nicht viel mehr Worte als die eingangs zitierten. Dann liegt Stille überm Ratssaal. Schweigen. Der Ratsvorsitzende Andreas Schumann (CDU) nimmt den schweren Listenstapel entgegen und ringt sich folgendes Statement ab: "14000 Unterschriften sind nicht zu vernachlässigen. Die müssen Gehör finden." Wieder Schweigen bis sich der Grüne Alfred Westphal zu Wort meldet und konstatiert: "Das ist nicht allein ein betriebliches Problem in Magdeburg, sondern ein soziales. Damit müssen wir uns doch befassen!" Linke-Fraktionschef Frank Theile fordert ein Wort vom Oberbürgermeister: "Wir haben zum Thema bereits eine Anfrage an Sie gestellt; Ihre Stellungnahme liegt vor. Zitieren Sie doch daraus." In besagter Stellungnahme hatte sich Lutz Trümper (SPD) sehr zurückhaltend geäußert und den Vorgang nicht werten wollen. Dabei blieb er ungeachtet der bereits zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema und der Wortmeldung zahlreicher Landespolitiker zur Sache. Trümper: "Mir liegt der konkrete Vorgang nicht vor." Grundsätzlich aber sei die Arbeit von Betriebsräten wichtig und zu unterstützen.

Weiter wollte sich Trümper nicht äußern. Enercon bzw. die zahlreichen Tochterfirmen des Unternehmens gilt als einer der wenigen industriellen Leuchttürme der Region und beschäftigt hier rund 5000 Mitarbeiter; allerdings ohne Tarifbindung. Ein ausgelernter Enercon-Facharbeiter soll monatlich rund 700 Euro weniger verdienen als ein Mitarbeiter in tarifgebundenen Konkurrenzunternehmen. Gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter von Enercon-Tochterfirmen berichten aus ganz Deutschland von Einschüchterungsversuchen durch Vorgesetze, Abmahnungen, Degradierungen, Mobbing. Der Fall Böttger sei nur die Spitze eines Eisberges.

Dass der Oberbürgermeister der Angelegenheit wohl doch einige Bedeutung beimisst, belegt sein Verhalten nach Böttgers kurzem Auftritt im Stadtrat. Trümper fing den Mann im Ratshausflur ab und bat ihn zum persönlichen Gespräch in sein Büro. Bötters Kündigung beschäftigt derweil das Gericht. Ein Gütetermin scheiterte; ein Termin zur Hauptverhandlung steht noch aus.