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Magdeburger Autor Dirk Heidicke "Ein Roman ist mir zu einsam"

Dirk Heidicke ist ein Mann des gesprochenen Wortes, auch wenn er sich
selbst gerade nicht ums Sprechen reißt. Heidicke lässt lieber andere
sprechen, gelegentlich auch singen. Seit einem Vierteljahrhundert
schreibt der Magdeburger Texte für die Bühne.

Von Katja Tessnow 10.11.2014, 02:33

Magdeburg l 58 Uraufführungen an 28 Theatern, 7 Hörspiele (rund 50 Mal gesendet), 2 Drehbücher, 2 Libretti, 3 Liederzyklen und mehr als 300 Songtexte - des Autors Bilanz kann sich sehen lassen. Auch wenn sie ihn sichtlich stolz macht, ungefragt käme die Aufzählung einem wie Heidicke kaum über die Lippen. Nach außen getragene Eitelkeiten sind dem Mann fremd, auch wenn Heidicke andererseits alles andere als ein Schriftsteller vom Schlage derer ist, die sich über Gebühr im stillen Kämmerlein vergraben. Heidicke braucht die Bühne, wenn auch nicht für sich selbst, so doch für sein geistiges Produkt. Auf die Frage, ob er mit 50 Lenzen nicht reif genug für einen Roman wäre, sagt er: "Das wäre mir zu einsam."

Geschrieben habe er "eigentlich schon immer" oder genauer, eben seit ein Menschenkind des Schreibens einigermaßen flüssig kundig ist. "Es fing in der 4. Klasse an mit Indianergeschichten." Der Indianer war Heidicke meist selbst. "Später tauchten die Mädchen in den Geschichten auf, in die ich gerade verliebt war. Nur blöd, wenn sich das änderte und man eine neue Figur in die Geschichte einführen musste." Die ersten Manuskripte sandte der junge Heidicke auch gleich selbstbewusst beim Verlag Neues Leben ein. "Die haben mir geschrieben, dass man das jetzt so nicht drucken kann, aber mich ermuntert, weiterzumachen." So geschah es.

Sprungbrett Poetenseminar

Das DDR-Poetenseminar lernt Dirk aus Magdeburg als einen seiner jüngsten Aktiven kennen. "Dort ging es erstaunlich offen zu. Man hat uns nicht motiviert, über gesellschaftliche Vorgänge zu schreiben, sondern über uns selbst." Andreas Kriegenburg und Tobias Wellemeyer hat Heidicke als jugendliche Weggefährten bei den Seminaren kennengelernt; der eine heute international geachteter Schauspielregisseur, der andere machte als Intendant Karriere. "Die beiden haben es am Theater weit gebracht, aber als Autoren können sie nicht leben", sagt Heidicke mit einem gehörigen Schuss Selbstironie in der Stimme und lacht.

Wie Kriegenburg und Wellemeyer begann Heidicke seine Bühnenkarriere hinter den Kulissen. Der gelernte Elektromonteur wurde 1986 Beleuchter am Theater in Magdeburg. Bis 1992 machte er das Licht an und aus und daneben eine Menge mehr - schreibend. Dann wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit als freier Autor. Heidicke räumt ein, dass es auch schlechte Zeiten für ihn gab, "aber seit 20 Jahren schreibe ich eigentlich nichts mehr, von dem ich nicht weiß, dass es aufgeführt wird".

Mit "Apfel des Eris" und "Die Hand der Prinzessin" werden 1989 am Maxim-Gorki-Theater erstmals zwei Heidicke-Stücke aufgeführt, fürs Erste als szenische Lesungen auf der Podiumbühne.

Von König Honecker und Gottvater Kohl

Heidicke kleidet zeitgemäße Handlungen in ein mythologisches oder märchenhaftes Gewand und bewahrt sich diese zweite Erzählebene bis heute als doppelten Boden. In "Die Hand der Prinzessin" beschreibt er 1988 ein marodes Königreich auf der Suche nach dem rettenden Prinzen. Die Bewerber müssen vor einer Kommission, sozusagen den staatlichen Organen, bestehen; ein Rahmen für Heidickes Spott auf die real-existierenden Verhältnisse.

1992 wird Heidickes Hörspiel "Ganymed" erstmals im Deutschlandradio ausgestrahlt und ein Riesenerfolg. "Das ist meine Wendegeschichte", sagt Heidicke und dichtete den Mythos vom "Schönsten der Sterblichen", von Zeus geliebt und entführt sozusagen auf den Ossi um; der Zeus ist Helmut Kohl.

Heidickes Erfolgsgeschichte nimmt ihren Lauf mit zahlreichen Bühnen- und Hörspielproduktionen und mündet in Magdeburg in einen Kult, der 1998 an den Freien Kammerspielen begründet wird und bis heute Bestand hat. Die Theaterserie "Olvenstedt probierts!" begeistert schon 20 Folgen oder besser "Versuche" lang das hiesige Publikum; der 21. Versuch feiert im Dezember Premiere.

Heidickes 25. Werkgeburtstag auf der Bühne bedeutet für den Mann und einige seiner Wegbegleiter einen Neubeginn - die "Kammerspiele Magdeburg" sind wieder- oder besser neugeboren als ein freies Kontrukt ohne eigenes Haus, aber mit früheren Akteuren wie den Schauspielern Susanne Bard und Michael Günther. Die Gästeliste beeindruckt: Neben Ex-Intendant Wolf Bunge und Ex-Oberspielleiter Jörg Richter sind bekannte Gesichter wie Jörg Schüttauf, Thomas Rühmann, Eckhard Doblies und Christian Friedel an Bord.

Hausautor der neuen Kammerspiele ist Heidicke. Der schreibt sich die Finger wund. Die besten Ideen kommen ihm nach dem Aufstehen ohne Frühstück, dafür mit gefühlten "fünf Liter Kaffee" (Susanne Bard). Und Zigaretten. Ohne geht nichts bei Heidicke. Übrigens auch nicht ohne den 1. FCM. Der Schriftsteller gehört zu den treuesten Fans des Clubs.