1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Archäologen holen Mittelalter ans Licht

Grabung am Breiten Weg Archäologen holen Mittelalter ans Licht

Menschenknochen, Metall, Keramik - die Fundstücke aus der Tiefe des Breiten Wegs erzählen Geschichte. Archäologen untersuchen die Grube, die vom Plattenbau geblieben ist.

Von Martin Rieß 12.11.2014, 02:11

Magdeburg l Ein kleines Stück des Breiten Wegs gibt derzeit jahrhundertealte Geheimnisse frei: Archäologen untersuchen die Grube, die vom Breiten Weg 261 bis 264 gegenüber dem Bürgerbüro Mitte übrig geblieben ist. Die Fachleute mit Schaufel und Spitzkelle sind inzwischen auf die Ostseite des Geländes gewechselt - und berichten in der Volksstimme von den Funden zum Breiten Weg hin.

Grabungsleiter Dr. Gösta Ditmar-Trauth sagt: "Einer der interessantesten Funde ist eine abgestufte Terrasse. Dort dürfte sich eine Werkstatt befunden haben." Ganz sicher ist nicht, welches Gewerk hier beheimatet war. Aber die Vermutung liegt nahe, dass es sich um einen Schmied handelte. Ein Ofen hätte beispielsweise auch bei einem Töpfer gestanden - rostige Eisenknollen deuten aber auf das Handwerk am Schmiedefeuer hin.

Ebenfalls ans Tageslicht gekommen sind Knochenflöten. Grabungstechniker Frank Besener erklärt: "Eines unserer Fundstücke ist wohl aus irgendeinem Grund nicht fertiggestellt worden. Von dem anderen fehlt ein Stück - aber so blank, wie der Knochen ist, dürfte dieses Stück tatsächlich in Benutzung gewesen sein." Grabungsarbeiter Matthias Weißbrenner vermutet: "Vielleicht war es ja auch einfach eine Pfeife, wie sie Kinder im Mittelalter möglicherweise benutzt haben."

Eine ganze Reihe von Scherben erinnert an den Alltag der Menschen: Zwei Spinnwirtel - eines nicht wie viele andere aus hellem Ton, sondern aus einem dunklen Material - haben die Archäologen freigelegt, sorgfältig kartiert und in Sicherheit gebracht. Solche Funde erinnern an den hohen Rohstoffbedarf der Gewandmacher und Schneider im Mittelalter.

Eine größere Ofenkachel ist zeitlich noch nicht eingeordnet. "Und dann haben wir hier ein wenig Luxus", sagt der Grabungsleiter. Aus einem Plastetütchen hat er eine gelbe Scherbe geholt. "So etwas gab es in allen wohlhabenden Städten des Mittelalters", sagt er. Mit einer gelben Glasur unterscheidet sich diese Scherbe deutlich von den Scherben der Alltagskeramik. Ob die luxuriöse Keramik hier auch produziert wurde. "Das wäre durchaus wahrscheinlich angesichts der Bedeutung Magdeburgs im Mittelalter. Aber sicher können wir uns da natürlich erst sein, wenn wir eine entsprechende Werkstatt finden."

Frank Besener hat eine kleine Metallscheibe neben ein Maßband gelegt. Eine Münze? Er sagt: "Nein, ein Zahlungsmittel war das sicher nicht. Vielleicht ein Jeton, der als Essensmarke genutzt worden sein könnte." Zu sehen ist auf dem Fundstück mit rund anderthalb Zentimetern Durchmesser auf der einen Seite ein Geweih und ein Pfeil, auf der anderen Seite ein Kirchenbau. Das könnte der Dom sein - sicher ist das aber keineswegs, sind sich die Archäologen vor Ort einig.

Zurück aus dem Büro der Archäologen an die Grabungsstätte. Grabungstechniker Frank Besener zeigt auf ein Stück Straßenpflaster, das in einem Hohlraum in Richtung Hauptstraße deutlich zu erkennen ist. "Interessant wäre sicher, die Spurrillen der Wagen zu finden. Dann könnten wir auch mehr über den Verlauf dieser Straße oder Zufahrt sagen", erklärt er.

Zwischen den Steinen und Tierknochen, die vielleicht die Überreste einer deftigen Mahlzeit der mittelalterlichen Handwerker waren, auch andere Knochen. An der einen Stelle zeichnet sich eine menschliche Schädeldeckeab, an der anderen ein Schenkelknochen. Gösta Ditmar-Trauth: "Dabei handelt es sich aber nicht um intakte Gräber." Vielleicht hat es hier einmal einen Friedhof gegeben, der spätestens beim Festungsbau aufgegeben und nicht weiter beachtet worden war. Oder es handelt sich um Kriegstote, die unter Schutt begraben wurden.

Ein weiteres Fundstück lässt ebenfalls schaudern - ebenso wie vor geraumer Zeit freigelegte geschmolzene Lampenreste erinnert ein größerer Bombensplitter an die Bombardierung der Altstadt am 16. Januar 1945.

Wie geht es weiter? Bis Ende November geht es um Gruben und Grubenhäuser, die sich an der Ostseite des alten Fundaments andeuten. Nach Abschluss der Arbeiten werden die Archäologen die Ergebnisse auswerten. Das wird einige Monate in Anspruch nehmen.

Wenn es dann an weitere Vorbereitungen für die Neubebauung des Areals geht, werden die Archäologen wieder zur Stelle sein: Während sie bislang an einem Schnitt entlang der Fundamentmauer des Plattenbaus aus den 1960er Jahren in die Historie der Magdeburger Vorstadt eingetaucht sind, wird es dann in der Fläche in die Tiefe gehen. "Davon versprechen wir uns noch viel mehr Informationen zur Siedlungsstruktur des Gebiets ab dem 12. Jahrhundert", sagt der Grabungsleiter. Auch in Richtung Süden könnte es interessante Einblicke in das geben, was sich in der Sudenburg, vor den Mauern des mittelalterlichen Magdeburgs also, abgespielt hat: Inzwischen ist auch der Plattenbau Breiter Weg 257 bis 260 der Wobau fast komplett leer. Nachdem die ersten Entkernungsarbeiten laufen, wird auch hier der Abriss nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die archäologischen Ausgrabungen erfolgen unter dem Dach des Anhaltischen Fördervereins für Naturkunde und Geschichte im Auftrag des Landesamts für Denkmalschutz und Archäologie in Halle.