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Kulturhistorisches Museum Das Rätsel um die hölzernen Grafen

Die Volksstimme stellt gemeinsam mit dem
Kulturhistorischen Museum besondere Exponate der Ausstellung "Am
Vorabend der Reformation" im Kulturhistorischen Museum vor. Heute: die
hölzernen Grafen.

Von Fatima Wollgast, M. A. 08.01.2015, 01:12

Magdeburg l Ein gedruckter Magdeburger Domführer von 1689 erwähnt im Kirchenraum zwei Figuren, die beim heutigen Leser Verwunderung hervorrufen dürften: Ein Paar "aus Holtz geschnitzte Manns-Bilder mit eisern Ketten und Banden am Halse / Leibe / Händen und Füssen sehr hart eingeschlossen". Der Text berichtet weiter, sie seien am nordwestlichen Vierungspfeiler direkt gegenüber der Paradiespforte angebracht. Eine Darstellung zeigt zwei sitzende männliche Figuren, die an eine Säule gekettet sind.

Diese Holzbilder sind aus dem heutigen Dom verschwunden, doch wird eine der Figuren aktuell in der Ausstellung "Am Vorabend der Reformation" im Kulturhistorischen Museum Magdeburg gezeigt. Das "Manns-Bild" trägt noch Reste einstiger Bemalung, Gesicht und Haarpracht sind hingegen nicht erhalten. Auch eine schmiedeeiserne Kette samt Fessel ist bewahrt geblieben und wird in der Ausstellung präsentiert. Im alten Führer heißt es zu den zwei Figuren im Dom, dies seien die Abbilder der "Grafen von Gleichen", die im Jahr 1278 in der Schlacht von Frohse gegen ein Magdeburger Heer kämpften und in Gefangenschaft gerieten. Ein im 19. Jahrhundert verfasster Bericht schlussfolgerte daher, die Figuren müssten Spottbilder der angeketteten Feinde sein. Belege für eine Beteiligung der Grafen an der historisch verbürgten Schlacht konnten jedoch nie erbracht werden.

Wahrscheinlich ist, dass es sich bei den angeketteten Holzfiguren um sogenannte Gefangenenvotive handelte. Ein Votiv ist eine Weihegabe, die als Dank für oder Bitte um göttliche Unterstützung in verschiedensten Belangen dargebracht wurde. Der Wunsch nach Genesung, nach einer guten Ernte oder eben die Befreiung aus Gefangenschaft waren gängige Anlässe, um jenseitige Hilfe zu erbitten. Die in Kirchen und Kapellen dargebrachten Votive drückten oft in bildlicher oder figürlicher Form das Anliegen der Gläubigen aus - so wie es vermutlich auch bei den Magdeburger Bildnissen geschehen ist. Die Tatsache, dass die Figuren gegenüber dem südwestlichen Vierungspfeiler angekettet waren, scheint diese Deutung zu untermauern: In besagtem Pfeiler war im späten Mittelalter eine als wundertätig erachtete Reliquie des Blutes Christi eingeschlossen. Noch heute zeugt ein prunkvolles Türchen im Pfeiler von der einstigen Reliquie.