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Polte über erste freie Volkskammerwahl "Die Arbeiter vom Sket wollten unsere Flugblätter nicht haben"

18.03.2015, 05:17

Magdeburg l Zwei Frauen und sechs Männer zogen vor 25 Jahren aus dem Wahlkreis Magdeburg in die erste frei gewählte Volkskammer der DDR ein. Der Ingenieur Willi Polte gehörte zu jenen, die später politisch Karriere machten. Nur zwei Monate nach seiner Wahl zum Volkskammer-Abgeordneten, im Mai 1990, bestellte die erste frei gewählte Stadtverordnetenversammlung in Magdeburg den damals 52-Jährigen zum Oberbürgermeister. Das Amt übt Polte, 1994 vom Volk in freier Personenwahl bestätigt, bis 2001 aus. Bis 2009 regiert er als ehrenamtlicher Bürgermeister seinen Geburtsort Niegripp weiter. Heute ist Willi Polte 77 Jahre alt und ein politisch aktiver Ruheständler. An die Zeit vor 25 Jahren erinnert er sich wie an gestern.

Im Oktober 1989 gehört Willi Polte zu den Mitgründern der SDP, zu den Sozialdemokraten der ersten Stunde in der DDR. "Wir waren in Magdeburg eine Handvoll Leute. Wir kannten uns nicht. Wir hatten politisch in der Tat von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich hatte nicht den Ehrgeiz, politisch was zu werden, aber ich hatte den Traum, die bestehende Gesellschaftsordnung zu überwinden." Im Frühjahr 1990 - SDP und SPD sind inzwischen vereint - ziehen Polte und seine neuen Parteifreunde zum ersten Mal in einen Wahlkampf. "Wir mussten lernen, für eine Partei Werbung zu machen. Das war nicht einfach. Wir hatten keine Basis, kein Büro. Die Blockparteien waren in der Vorhand." Die CDU hatte obendrein mehr Rückenwind aus Bonn. "Wir hatten Flugblätter gedruckt und stellten uns damit morgens um 6 Uhr vor das Sket-Tor. Die Arbeiter kamen aus der Nachtschicht und wollten die nicht. Einer sagte: Wir wählen sowieso den Dicken. Der hat das Geld. Das lässt mich bis heute nicht los." Helmut Kohl versprach die D-Mark. "Lafontaine sprach vom langen Weg zur Einheit. Das wollten die Leute nicht hören. Die SPD hat die Quittung bekommen." Die CDU dominiert die letzte DDR-Volkskammer. Der SPD-Abgeordnete Polte ist entschiedener Befürworter der Einheit und wirbt unter den Genossen für die Koalition mit der CDU. "Der Zug fuhr Richtung Einheit. Das mussten wir mitgestalten."

Ende Juni 1990 legt Polte sein Volkskammer-Mandat nieder, um sich ganz und gar Magdeburg zu widmen. Mit mancher Folge des Einigungsvertrages hat er als Oberbürgermeister zu kämpfen, zum Beispiel mit der Regel Rückgabe vor Entschädigung. "Die hat uns zwei Jahre in der Entwicklung gekostet. Dann kam das Investitionsvorranggesetz." Alles in allem ist Polte glücklich über den Lauf der Dinge von 1990 bis heute. "Schauen Sie sich Magdeburg heute an! Toll! Ich bin ganz mit mir eins und freue mich jeden Tag auf`s Neue darüber."