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Hochschule Magdeburg-Stendal Josefine Heusinger: "Rassismus gibt es auf allen Ebenen"

19.05.2015, 01:17

Hat Deutschland ein Rassismus-Problem? Diese und weitere kontroverse Fragen werden derzeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal bei der öffentlichen Ringvorlesung "Von der Mitte bis zum braunen Rand" diskutiert. Volksstimme-Redakteur Alexander Dinger sprach mit der Organisatorin der Veranstaltung Josefine Heusinger.

Volksstimme: Wie sind Sie auf die Idee für die Ringvorlesung "Von der Mitte bis zum braunen Rand" gekommen?
Josefine Heusinger: Die Idee ist schon vor längerer Zeit entstanden, als der sogenannte "Trauermarsch" der Nazis vor drei Jahren am 16. Januar zum ersten Mal direkt an der Hochschule vorbeigehen sollte. Wir haben damals diskutiert, was wir machen können. Dabei entstand die Idee, sich stärker auf der wissenschaftlichen Basis damit zu beschäftigen, woher der Rechtsextremismus eigentlich kommt. Geht es hier um ein paar Nazis, die für ihre Ziele agitieren wollen, oder geht es hier um ein breiteres Phänomen? Von dieser Einschätzung hängt ja auch ab, wie man damit umgeht.

Damals gab es Pegida und Magida noch nicht. In gewisser Weise sind Sie von den aktuellen Entwicklungen überholt worden.
Was heißt überholt? Das passt perfekt. Mit den Themen und Referenten der Ringvorlesung können wir uns fundiert mit dem Problem auseinandersetzen.

Sie sind Soziologin und Ihr Schwerpunkt ist eigentlich die alternde Gesellschaft.
Interessant ist, dass rechtsextreme Einstellungen unter Älteren weiter verbreitet sind. Sie tragen es zwar nicht auf die Straße, aber sie erzählen es ihren Kindern und sie erzählen es ihren Enkeln.

Reichen rechte Ansichten also bis in die Mitte der Gesellschaft?
Ich würde es anders formulieren. Sie wirken nicht in die Mitte der Gesellschaft hinein, sondern sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Es ist ganz offensichtlich für mich, dass es die Menschen, die zu Pegida und Magida gehen, schon vorher gegeben hat. Auch wenn inzwischen deutlich weniger auf die Straße gehen, ist damit die Geisteshaltung nicht verschwunden.

Ein Spruch bei Pegida ist der Wendeslogan "Wir sind das Volk".
Es wird in der Tat sehr stark auf die Montagsdemonstrationen angespielt. Ich habe bei Magida mit Leuten gesprochen, die bereits damals auf der Straße waren und die mit dieser Erfahrung im Rücken heute demonstrieren gehen und sich sagen: "Wenn wir nur lang genug auf die Straße gehen, dann fegen wir diese Politiker aus dem Amt." Zusammen mit teils kruden Verschwörungstheorien nährt das das Gefühl von "Wir gegen die da oben". Nur so kann ich mir die Mobilisierungskraft in den neuen Bundesländern erklären. Sprüche wie "Lügenpresse" sind außerdem Originalton der Nazis. Schon in der Weimarer Zeit war die Lügenpresse an allem schuld und es gab Verschwörungstheorien. Kurz: Ich finde es nicht schwierig zu erkennen, wes Geistes Kind sie sind. Aber ich finde es schwierig herauszufinden, warum sich diese Geisteshaltung gerade jetzt Bahn bricht und was da mitschwingt.

Was bedeutet das für unsere Gesellschaft und die Demokratie?
Demokratie braucht gesellschaftliche Integration. Man muss den Menschen eine Perspektive für die Zukunft geben. Wenn viele Menschen aber das Gefühl haben, dass ihnen das Leben aus der Hand gleitet und sich keiner für ihre Probleme interessiert, entsteht eine Situation, die antidemokratische Haltungen befördert.

Aber warum jetzt und warum hier?
Das ist schwierig zu beantworten. Ich finde die Frage spannender, was man daraus für eine Lehre ziehen kann. Wir müssen aufmerksamer werden und auch die kleinen Hinweise wahrnehmen. Ich freue mich zum Beispiel sehr darüber, dass es unter unseren Studierenden aktuell eine große Bereitschaft gibt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, Flüchtlingen zu helfen, sich einzusetzen für Menschenrechte. Gerade aus meiner Erfahrung mit älteren Leuten würde ich sagen, dass insgesamt noch zu oft die Auseinandersetzung mit rechtsextremen und rassistischen Positionen vermieden wird - an der heimischen Kaffeetafel, im Seniorenzentrum, in privaten und öffentlichen Diskussionen. Bekenntnisse zur Weltoffenheit und Humanität sind halt noch wichtiger als wir dachten. Außerdem korrespondiert das Gefühl des Abgehängtseins ganz häufig mit rechtsextremen Haltungen.

Gerade in Dresden sind aber sehr viele bei Pegida mitgelaufen, die mitten im Leben stehen, die Kinder haben, gesund sind und Arbeit haben. Woher kommt also diese Unzufriedenheit?
Das Gefühl des Abgehängt- oder Benachteiligtseins muss ja nicht mit den objektiven Lebensbedingungen übereinstimmen. Aber es ist eine Erfahrung, die bei manchen zu rechtsextremen Haltungen führt. Dass Unmut sich so äußert, ist außerdem oft eine Schwäche der alternativen Möglichkeiten. Die Antwort kann deshalb nur darin liegen, dass man Angebote gelebter Demokratie macht. Den radikalen Bodensatz muss man beiseite drängen und organisierte Nazis in die Schranken weisen. Ich glaube, dass es nötig ist, Gestaltungsräume im Alltag weiter aufzumachen. Aber dafür müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Es gibt ja zum Beispiel kleinere Kommunen, die Bürgerhaushalte haben, wo die Bevölkerung direkt über Mittelvergaben mit entscheiden kann. In Berlin-Lichtenberg funktioniert das ganz gut. Wir müssen insgesamt mehr versuchen, den Menschen Gestaltungsspielräume und Kontrolle über ihr Leben zu geben.

Wo fängt für Sie eigentlich Rassismus an?
Rassismus gibt es auf unterschiedlichen Ebenen. Rassismus beginnt für mich dann, wenn es um Abwertung und Stereotype geht, sei es in Ausländergesetzen oder im Alltag. Wenn man sagt, dass die einen besser sind als die anderen. Mir ist allerdings auch klar, dass wir alle Vorurteile haben und uns Schubladen anlegen, weil die Welt einfach zu kompliziert ist. Aber wenn diese Schubladen mit Höherwertigkeit und Abwertung zu tun haben, ist das für mich Rassismus.