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Mit Hilfe von acht Jungs im Team fliegen die Mädels der "Guardian Angels" meterhoch durch die Lüfte Cheerleader: Muckispiel statt Mädchensport

Von Elisa Sowieja 03.04.2013, 03:15

Magdeburg. Acht Cheerleader bei den Magdeburger "Guardian Angels" rasieren sich nicht die Beine. Das sähe auch komisch aus - denn sie sind Männer. Ab und zu werden sie für ihre Sportart belächelt. Dabei braucht man mächtig Muckis, um Mädels meterhoch zu werfen.

So, wo haben die denn jetzt ihre Pompons? Müssen Männer hier etwa nicht diese bunten Wuscheldinger herumschleudern? "Nee, das dürfen wir gar nicht! Ist für Männer verboten - das sagen die Wettkampfregeln." Achso. Marcus Reckler grinst souverän, dann witzelt er: "Röcke dürfen wir übrigens auch nicht tragen."

Puschel und Röcke sind für männliche Cheerleader tabu - das sagen die Wettkampfregeln.

Dabei würden die doch so schön sein graues Wadentattoo zur Geltung bringen. Marcus ist nämlich alles andere als das feminine Bübchen, das man sich bei einem männlichen Cheerleader vorstellen mag. Ein Blick auf den muskulösen Oberkörper des 26-Jährigen genügt und man nimmt ihm prompt ab, dass er früher einmal Thaiboxer war.

Seit einem Jahr gehört er zu den "Guardian Angels" - auf deutsch "Schutzengel". Das Team ist nicht irgendeins. Fünf der Mädels dürfen sich Vize-Europameister nennen. Und die gesamte Mannschaft ist im Februar Landesmeister geworden. Wenn sie sich nicht bei Wettbewerben herumtreiben, feuern sie die Basketball-Regionalligisten Solarto Eagles an.

Die Mannschaft besteht aus acht Männern und zwölf Frauen - eine Luxussituation. "Wenn wir bei Wettkämpfen aus dem Bus steigen, ernten wir oft neidische Blicke. So viele Männer wie wir haben die anderen nicht", erzählt Holger Fröhlich. Der 22-Jährige kam wie Marcus vor einem Jahr zum Cheerleading. Davor war er Karateka.

Der Vorteil von Marcus, Holger und den anderen ist augenscheinlich: mächtige Muckis. Die brauchen sie, um ihre Mädels bei den Choreografien in die Luft zu werfen. Um die fünf Meter hoch fliegen die Damen mit ihrer Hilfe. Manchmal werden sie sogar gestapelt. Das geht zum Beispiel so: Dame eins rauf auf die starken Männer-Schultern, dann Dame zwei hinterher auf den Oberschenkel von Dame eins. Und dabei ja keine fallenlassen!

Mit Muskelspielen allein ist es für die Jungs aber nicht getan. Genauso gefragt sind Qualitäten eines Gummimanns. Mühelos muss es aussehen, wenn sie bei Anfeuerungsrufen à la "Go, angels, fight!" mit gestreckten Beinen nach oben springen. So hoch, dass ihre Hände die Füße erwischen. Da dürfte manch Möchtegern-Ballerina vor Neid erblassen.

Nur ums Popowackeln dürfen sich die Männer drücken. Während die Ladys in den Tanzteilen Choreografien elegant ihre Hüften schwingen, posieren die Herren meist mit lässig verschränkten Armen dahinter. "Ein bisschen wie Türsteher", flachst Riccardo Koch. Auch er ist vor einem Jahr zu den Guardian Angels gekommen. Und auch er war davor Leistungssportler, und zwar im Handball.

Bereut hat den Wechsel zum Cheerleading keiner der drei, erzählen sie. Schließlich bringt ihnen diese Art von Training eine "perfekte Mischung aus Kraft, Fitness und Kondition." Den Ansporn gibt es inklusive, erklärt Marcus Reckler: "Beim Kickboxen ist jeder für sich. Aber hier kannst du nicht einfach fehlen. Die anderen brauchen dich für die Choreografie."

Widerstand zwecklos: Mädels karrten Männer aus dem Freundeskreis zum Probetraining an.

Totzdem nussten die Männer im Team zu ihrem Glück ein Stück weit gezwungen werden. Frauen sind darin ja bekanntlich Meister. Und so karrten die Mädels der Guardian Angels vor einem Jahr - damals gab es in ihren Reihen gerade mal drei Herren - Partner und Bekannte zum Probetraining an. Widerstand zwecklos.

"Eine Freundin hat mich auf einer Party so lange getriezt, bis ich zugesagt habe", erinnert sich Holger Fröhlich. "Obwohl ich dachte, das wäre ein Mädchensport." Auch Riccardo und Marcus konnten den Überredungskünsten der Damen nicht widerstehen.

Als die Jungs ein paar Tage später mit einer kräftigen Portion Skepsis auf die Trainingsmatte stapften, schauten sie sich ganz schön um: Nichts mit Mädchensport. Stattdessen gab es Rückwärts-Salti nach einer Erwärmung, die sich gewaschen hatte. "Am nächsten Tag hatten wir ordentlich Muskelkater", gesteht Riccardo.

Seitdem kassieren die Männer nicht nur manch dicke Lippe von herumfliegenden Frauenfüßen, sondern ab und zu auch spöttische Sprüche. Doch bei Letzterem hat jeder seine Strategie entwickelt. Marcus zum Beispiel spielt gern Erklärbär: "Wenn ich jemandem sage, dass ich Cheerleader bin, schiebe ich immer gleich hinterher: ¿Aber ich habe keine Puschel in der Hand!\'" Und Holger gibt Kritikern im Zweifel einfach eine Kostprobe - einmal sogar vor seinen Kollegen an der Polizeifachhochschule. "Da gingen ihre Münder erstmal auf!", erzählt er mit einem breiten Grinsen.

Jeder hat seine eigene Strategie, um mit spöttischen Sprüchen umzugehen.

Einen Gleichstellungsbeauftragten braucht die Männer-Minderheit bei den Guardian Angels übrigens nicht. "Hier gibt es weder Machogehabe noch Zickenkrieg. Sonst würde das nicht funktionieren", erklärt der 22-jährige Riccardo.

Im Moment bereiten sich Männer und Frauen gemeinsam auf die deutschen Meisterschaften im hessischen Hanau vor.

Mindestens dreimal die Woche steht deshalb Training auf dem Plan. Schließlich soll die Choreografie am 20. April sitzen. Und nein: Wenn die Magdeburger gewinnen, trinken die Jungs keinen Prosecco mit. Dann gibt\'s natürlich ein schönes Bierchen.