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Im südlichen Elbe-Havel-Land kehren Evakuierte zurück / Bundesstraßen noch nicht befahrbar Flutwelle wirkte wie eine Panzerkolonne

Von Thomas Pusch 19.06.2013, 03:17

Tangermünde. Im südlichen Teil der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land entspannt sich die Situation langsam. Von Normalität kann aber noch lange keine Rede sein.

Auf der Tangermünder Brücke herrscht Betrieb. Nicht wie zu normalen Zeiten, wenn hunderte Autos die Elbe auf der B 188 überqueren. Aber für eine gesperrte Brücke kann sich der Verkehr sehen lassen. Andrea Werner ist gerade aus Tangermünde angekommen, mit einer Tüte unter dem Arm. "Meine Mutter ist in Schönhausen, ihr Freund kann handwerklich viel helfen, deswegen sind sie dageblieben", erzählt sie. Putzzeug hat sie dabei, auch ein paar Süßigkeiten.

Aus Richtung Fischbeck bahnt sich eine kleine Gruppe in Gummistiefeln den Weg über die teilweise überflutete Brücke. Andrea Werner winkt, Mathias Brey winkt zurück. "Soweit ist alles in Ordnung", sagt er. Dabei ist in seinem Haus "Land unter bis zum Bauchnabel" gewesen. Wohnung weg, Büro weg. "Aber ich bin noch nicht verzweifelt, da gibt es noch viel zu viel zu tun", sagt er beherrscht.

Bedarf vom Dachdecker bis zum Klempner

Aus Richtung Tangermünde ist die ersehnte Fracht für Brey angekommen, unter anderem ein Notstromaggregat. "Wir sind zahlreiche Stendaler, die sich auf Initiative der Privilegierten Schützengilde und einiger Geschäftsleute zusammengefunden haben, um zu helfen", sagt Magnus Urban, während er das Objekt der Begierde auslädt. Vom Dachdecker bis zum Klempner könne man alle Berufsgruppen beim Aufräumen gebrauchen, ruft er zum Mitmachen auf.

Benno Heis ist auch auf dem Weg ans ostelbische Ufer. Er stammt aus Fischbeck. In der Nacht des Deichbruchs ist er mit seiner Frau nach Tangermünde gefahren. "Jetzt muss ich unbedingt zu Hause nachsehen", meint er. Er wolle seine elektrischen Geräte sichern, den Rasenmäher, den Kompressor, das E-Bike. Es sei ja nur noch Alarmstufe 2, da könne er über den Deich gehen. Dem widerspricht Edgar Kraul vom Landkreis. "Es gilt immer noch Alarmstufe 4, auch wenn der Pegel gesunken ist, das Betreten der Deiche ist strengstens verboten", mahnt er.

Vorsichtig steuert David Eckhardt den Unimog der Straßenmeisterei des Landkreises auf der B 188. Auf der Ladefläche sind Kanister mit Diesel und Benzin, Treibstoff für Notstromaggregate, der unter anderem nach Fischbeck transportiert wird.

Verendetes Wildschwein am Deich

Für einen Moment hält Wolfgang Radtke inne. Tränen schießen ihm in die Augen. Noch am Sonntag vor dem Deichbruch ist er überzeugt gewesen, sich nicht evakuieren zu lassen. "Ich wohne schon so viele Jahrzehnte in Fischbeck, da gehe ich nicht weg, außerdem muss ich mich um meine Enten und Gänse kümmern", hat er gedacht. Doch dann ergriff er doch die Flucht vor den Fluten. "Das hörte sich an wie eine Kolonne Panzer, ich weiß das, ich war in der NVA bei den Panzern", beschreibt er.

Um 2 Uhr morgens ist er dann mit seiner Lebenspartnerin raus aus Fischbeck, Richtung Westufer. Am Dienstag ist er wieder zurückgekehrt. "Im Keller stand das Wasser, die Öltanks waren 30 Zentimeter aufgeflutet, aber anderen geht es schlechter als mir", umreißt er seine Situation. Nun werde gepumpt, er will dableiben, auch wenn das Wasser noch auf der B 107 im Ort steht.

Lars Risse bleibt auch. Er nimmt die Kanister von Eckhardt entgegen, gibt leere zum Füllen mit, wird später den Treibstoff verteilen. Risse selbst wurde auch von der Flut erwischt. "In meinem Keller steht das Wasser, die Heizung ist hin", sagt er. Auch seine Souterrain-Wohnung im Haus der Eltern wurde erwischt, Heizung und Solaranlage sind hin.

Nächster Auftrag für Eckhardt ist die Erkundung der alten B 188 in Richtung Elbdeich. Sie ist zwar überflutet, aber befahrbar. Endstation ist erst an einem verendeten Wildschwein, das quer über der Fahrbahn liegt. Eckhardt organisiert den Abtransport und dreht um.

Tierkadaver werden auch weiter nördlich von der Klietzer Feuerwehr gefunden, die sich mit einem Schlauchboot der Bundeswehr auf den Weg gemacht hat. Zwei Rehkitze und einen kapitalen Hirsch hat sie bislang in einen Tiercontainer nach Scharlibbe gebracht.

Eckhardt steht derweil auf der Fahrt nach Wust vor einem Problem. Ein Stück B 188 ist völlig weggebrochen. Doch es gibt eine Alternative, er umfährt das Loch über den nebenan gelegenen Parkplatz. Die Fahrt kann weitergehen. "In acht Wochen", schätzt Kraul, "kann der Verkehr hier wieder ganz normal rollen."