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Jerichower Land: Landrat nutzt persönliche und berufliche Verbindungen zum politischen Überleben Machtpolitik: Das System Finzelberg

06.08.2013, 01:14

Magdeburg | Lothar Finzelberg muss sich am Mittwoch erneut vor Gericht verantworten. Trotz Verurteilung und laufender Ermittlungsverfahren hält der Kreistag an ihm fest. Wer sind die Kommunalpolitiker, die nicht mehr über eine Suspendierung sprechen wollen? Viele scheinen von der Gunst des Landrats abhängig zu sein.

Sein Platz am Schreibtisch im Landratsamt in Burg wird Mittwochvormittag unbesetzt bleiben. Der Arbeitstag für Lothar Finzelberg beginnt in Stendal. Raum 218, Landgericht. Dort wird er auf der Anklagebank Platz nehmen - und erneut um sein politisches Überleben kämpfen.

Zu 14 Monaten Haft auf Bewährung hat ihn das Amtsgericht Burg im November verurteilt. Damit ist der Landrat des Jerichower Landes ein Kandidat für den "Beamtentod": Wäre das Urteil rechtskräftig, würde er seinen Posten und sämtliche Pensionsansprüche verlieren. Doch Finzelberg hat Berufung eingelegt. Nun muss das Landgericht klären, ob er im Untersuchungsausschuss des Landtages zum Müllskandal falsch ausgesagt hat.

Im Amt ist Lothar Finzelberg (parteilos) weiterhin. Mit einer Zweidrittelmehrheit könnte ihn der Kreistag suspendieren. Die Mehrheit hat jedoch beschlossen, keine Personaldebatte zu führen - solange, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Unabhängig von der Verurteilung durch das Amtsgericht. Unabhängig von den anderen Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Bestechlichkeit. Die Mitglieder haben sich einen Maulkorb verpasst. Die persönlichen und beruflichen Verbindungen des Landrats zu den 47 Kreistagsmitgliedern könnten dafür entscheidend sein.

Die Bürgermeister: Mit Jörg Rehbaum (Burg, SPD), Kay Gericke (Biederitz, SPD), Harald Bothe (Jerichow, parteilos), Bernd Köppen (Möser, FDP), Hartmut Dehne (Möser, CDU) und Wolfgang Bernicke (Genthin, parteilos) sitzen im Kreistag sechs Bürgermeister, Vize-Bürgermeister oder ehemalige Bürgermeister - eine hohe Zahl.

Bürgermeister sind an einem guten Verhältnis zum Landrat interessiert. Schließlich ist es der Landkreis, der über die Sanierung von Kreisstraßen oder Sekundarschulen und Zuschüsse für Jugendeinrichtungen in ihren Gemeinden entscheidet. Auch die Haushalte der Gemeinden muss der Landkreis absegnen. Eine öffentliche Positionierung der Stadtchefs gegen Finzelberg wäre wenig klug.

Mit FDP-Fraktionschef Bernd Köppen war es auch ein Bürgermeister, der im Juni den Antrag auf das Ende der Personaldebatte im Kreistag gestellt hat. Der ehemalige Genthiner Bürgermeister Wolfgang Bernicke hat im Landkreis großen Einfluss. Dem alten Weggefährten Finzelbergs folgen viele Kommunalpolitiker.

Die "Angestellten": Mit Frank-Michael Ruth (DRK-Geschäftsführer), Matthias Fickel (DRK) und Gabriele Herrmann (Kreisbibliothek) arbeiten drei Kreistagsmitglieder in Einrichtungen des Kreises bzw. Einrichtungen, die von der Förderung des Landkreises abhängig sind. Das DRK gewinnt im Jerichower Land seit Jahren die Ausschreibung für den Rettungsdienst.

Gabriele Herrmann ist neben ihrer Tätigkeit in der Bibliothek zugleich einflussreiche Fraktionschefin der Linken. Beobachter behaupten, dass an ihrer Meinung die sieben weiteren Stimmen der Fraktion hängen. Einige der Linken-Politiker waren wie Finzelberg Mitglied der SED. "Die hören noch wie damals auf ihn", meint ein langjähriges Kreistagsmitglied.

Matthias Fickel (CDU) ist ein Duzfreund Finzelbergs. "Die sind wie Vater und Sohn. Finzelberg sagt, wo es langgeht, Fickel ist hörig", sagt der Kommunalpolitiker. Pikant: Fickel ist zugleich der Vorsitzende des Kreistages, der eigentlich unparteiisch sein sollte, und stellvertretender Fraktionsvorsitzender, von dem besondere Parteilichkeit erwartet wird. Ruth, Fickel, Herrmann - alle halten sich in der Debatte um den Landrat auffällig stark zurück.

Freunde und Mitläufer: Lothar Finzelberg versteht es, Beziehungen zu pflegen. Ein Beispiel: Mechthild (SPD) und Christoph Kaatz (Grüne), die Gründer des Storchenhofes in Loburg, sind dauerhaft auf Spenden angewiesen. Jedes Jahr geht es finanziell ums Überleben. Auf dem Neujahrsempfang der Sparkasse haben sie 2013 Euro erhalten. Chef des Verwaltungsrates der Sparkasse ist: Lothar Finzelberg. Ein Politiker aus der SPD-Fraktion sagt: "Es ist doch völlig klar, dass sich Frau Kaatz nicht gegen Herrn Finzelberg stellt."

Darüber hinaus sitzen im Kreistag Rentner, die früher in Einrichtungen des Landkreises tätig waren. Mit Mitgliedern der CDU und SPD verbindet den Landrat eine jahrzehntelange Freundschaft, einige sind wie er im Kreissportbund aktiv. Man kennt und hilft sich.

Fazit: Mehr als ein Viertel der Kreistagsmitglieder können von der Gunst Finzelbergs profitieren. Zählt man die freundschaftlichen Verbindungen und die Linke-Fraktion hinzu, erklärt sich die Mehrheit seiner Befürworter.

"Bestimmte Abhängigkeiten liegen innerhalb einer Kommune in der Natur der Sache", sagt der Magdeburger Politologe Wolfgang Renzsch. "Gerade in ländlichen Regionen gibt es nicht so viele, die sich ehrenamtlich engagieren. Aber das Ausmaß der Abhängigkeiten im Jerichower Land ist nicht normal", sagt er. "Je größer die Abhängigkeiten, desto schwerer die politische Kontrolle." So entstehe beim Wähler der Eindruck von Verfilzung. "Das führt zu Politikverdrossenheit."

Gerd Mangelsdorf kann das bestätigen. Der CDU-Kreischef ist einer der wenigen, die sich kritisch zum Landrat äußern: "Da sind in der Vergangenheit viele Dinge schief gelaufen." Er fordert einen "Akt der politischen Hygiene": "Lothar Finzelberg sollte sein Amt ruhen lassen, bis die Verfahren abgeschlossen sind." Das strafrechtlich Relevante sei eine Dimension, das öffentlich und politisch Relevante eine andere. "Ich war viele Jahre Berufsschullehrer. Was soll ich den Jugendlichen über Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit erzählen, wenn solche Menschen mit ihrem Handeln in der Öffentlichkeit stehen?"

Gerd Mangelsdorf steht mit seiner Meinung auf verlorenem Posten. Die CDU ist neben der Linken und der FDP eine der maßgeblichen Stützen des Landrates.

Mangelsdorfs Parteifreund, CDU-Fraktionschef Markus Kurze, äußert sich zu Lothar Finzelberg ausweichend. Er wolle keine "Vorverurteilung". Wenn es ernst wird, duckt sich Kurze weg. Als es im September 2012 im Kreistag um das Disziplinarverfahren gegen den Landrat ging, verließ er den Saal - zum Telefonieren. Flucht vor der Abstimmung? "Jeder Abgeordnete ist frei in seinen Entscheidungen", sagt Kurze, der auch stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag ist und einst beim DRK angestellt war. "Wäre es nicht wichtig gewesen, wäre ich nicht rangegangen."

Lothar Finzelberg versteht es, sein dicht geknüpftes Netzwerk aus Abhängigkeiten zu nutzen. Elke Fenger-Schwindack (SPD) hat er mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes gedroht.

Die Burgerin sitzt im Kreistag und war bis 2010 Leiterin des DRK-Frauenhauses - das der Landkreis finanziell unterstützt. Ende 2009 gab es Streit: Finzelberg wollte die letzten Anteile des Kreises am Burger Krankenhaus veräußern. Der Landkreis sollte dafür eine Sporthalle für die Geistigbehinderten- und Lernbehindertenschule erhalten. "Ich war dagegen", erinnert sich die SPD-Politikerin.

Auf dem Neujahrsempfang 2010 hat Lothar Finzelberg sie beiseitegenommen. "Er hat mich unter Druck gesetzt und gesagt, dass ich mir meine Entscheidung überlegen soll. Schließlich wüsste ich ja, wo ich arbeiten und mein tägliches Brot herbekommen würde", sagt sie.

Erst heute spricht die SPD-Politikerin darüber. Sie hat das DRK verlassen. Obwohl alle in ihrer Fraktion von dem Gespräch wissen, erhält Elke Fenger-Schwindack keine breite Unterstützung. Vorsitzender Matthias Graner kämpft seit Jahren dafür, dass sich die SPD einheitlich gegen den Landrat positioniert. Es gelingt ihm nicht.

Elke Fenger-Schwindack ist nicht das einzige kritische Kreistagsmitglied, das Lothar Finzelberg auf Linie bringen wollte. Auch Frank Endert (Freie Wähler/Endert JL) erlebte ein Vier-Augen-Gespräch. Im Jahr 2007 stand sein Sohn beim kreiseigenen Nahverkehr vor der Entlassung.

"Herr Finzelberg hat mir gegenüber behauptet, es gebe eine Möglichkeit, seine Entlassung zu verhindern", sagt Endert. Dafür hätte er sich auf Gespräche zur Zusammenlegung seiner Fraktion mit einer anderen einlassen sollen. Endert lehnte ab. "Mein Sohn wurde entlassen. So ist das im Jerichower Land mit Menschen, die ihrer politischen Arbeit nachgehen."

Ähnlich autoritär agiert der Landrat auch in der Kreisverwaltung. Wenn Mitarbeiter mit Mitgliedern des Kreistages sprechen wollen, muss das vorher bei ihm "angemeldet" werden. "Lothar Finzelberg schürt Angst. Es ist klar, dass keiner Entscheidungen gegen ihn treffen will", sagt Elke Fenger-Schwindack.

Lothar Finzelberg sagt zu den Vorwürfen: nichts. Er beantwortet keine Fragen. In einer E-Mail an die Redaktion schreibt er: "Warum sollte ich?"