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Neunmonatige Bewährungsstrafe ermöglicht Lothar Finzelberg den Verbleib im Amt Landrat: Knapp dem "Beamtentod" entkommen

Nach Ansicht des Landgerichts Stendal hat Lothar Finzelberg vor dem
Untersuchungsausschuss des Landtages zum Müllskandal gelogen. Dass er
sein Amt als Landrat verlieren soll, empfindet das Gericht trotzdem als
unverhältnismäßig. Seine Antworten hätten den Ausschuss nicht in die
falsche Richtung gelenkt.

Von Franziska Ellrich und Christopher Kissmann 23.01.2014, 01:24

Magdeburg/Stendal l Die ersten Sätze ihres Plädoyers hat Oberstaatsanwältin Verena Borstel bereits gesprochen. Lothar Finzelberg steht auf, um hinter sich aus seiner Jacke am Garderobenhaken einen kleinen Block zu ziehen. Der Vorsitzende Richter Gundolf Rüge unterbricht die Verhandlung. "Warten Sie Frau Borstel, bis der Angeklagte wieder aufmerksam zuhören kann." "Ich höre aufmerksam zu. Sehr aufmerksam." Der Landrat des Jerichower Landes sitzt bereits wieder auf seinem Stuhl.

Ab jetzt hebt er nicht mehr den Kopf. Konzentriert notiert sich der 60-Jährige jedes Detail der Plädoyers. 20 Verhandlungstage hat es gebraucht, bis ein Urteil im Berufungsprozess des Landrates gesprochen wird. Am Mittwoch bekommt Lothar Finzelberg noch einmal die Chance, sich zu den Vorwürfen im ersten Urteil des Burger Amtsgerichtes zu äußern. Im Dezember 2012 wurde er zu 14 Monaten Haft auf Bewährung wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Müllskandal veruteilt.

"Der Vorwurf der Falschaussagen bezieht sich auf Antworten, die mit dem eigentlichen Untersuchungsauftrag nur indirekt zu tun haben und auf die ich nicht vorbereitet war", erklärte Finzelberg gegenüber dem Stendaler Landgericht. Trotz seiner Bedenken habe er unter dem Druck der zahlreichen Fragen der Ausschussmitglieder geantwortet. Das seien persönliche Einschätzungen gewesen - keine falschen Tatsachenbehauptungen.

Oberstaatsanwältin Verena Borstel kritisiert in ihrem Plädoyer genau das. "Der Angeklagte wurde als Zeuge wie alle anderen belehrt und hätte in dem Moment, an dem er sich einer Strafverfolgung ausgesetzt sah, nicht antworten müssen." Statt seine persönlichen Eindrücke zu schildern, habe er gelogen. Für Borstel steht fest: Finzelberg war entgegen seiner Aussage auf dem Gelände der Müll-Anlage in Rietzel. Das haben sowohl die Vernehmung seines persönlichen Fahrers als auch die Fahrtenbücher bewiesen.

"Das hätten Sie so sagen können und müssen." Oberstaatsanwältin Verena Borstel

Auch, dass der Landrat mit den Sachverhalten rund um die Tongruben befasst war, ist für Borstel unbestritten. "Der Landrat hat Vorgaben gemacht, die nicht mit dem Bundesbodenschutzgesetz in Einklang gebracht werden konnten", zitiert die Oberstaatsanwältin die Aussagen der Mitarbeiter aus der Kreisverwaltung.

Dass der Landrat seinen Mitarbeiter Eberhard Neumann mit dem Bereich der Müllverfüllung beauftragt hatte, will er bei seiner Vernehmung im Landtag im Mai 2009 nicht mehr gewusst haben. "Dabei war er wiederholt ihr Ansprechpartner in diesen Angelegenheiten und ihnen als fachlicher Begleiter wichtig", wirft Borstel in ihrem Plädoyer vor. Lothar Finzelberg murmelt leise: "Richtig." Das ist der Moment, in dem die Oberstaatsanwältin ihre Stimme erhebt: "Das hätten sie doch so sagen können und sogar müssen."

Was er ihrer Meinung nach noch hätte zugeben müssen? Dass er die Protokolle der Vernehmungen seiner Mitarbeiter erhalten hat. Sowie seine Kontakte mit den Verantwortlichen der Sporkenbach Ziegelei - die er schon lange vor der Einsetzung des Ausschusses im Jahr 2008 pflegte.

Geht es nach Finzelbergs Verteidigern, hätte er diese Fragen nicht wahrheitsgemäß beantworten müssen. Rechtsanwalt Andreas Meschkat macht in seinem Plädoyer eines ganz klar deutlich: "In einem Untersuchungsausschuss können nicht die gleichen Regeln gelten wie vor einem Gericht." Und wenn der Gesetzgeber eine Falschaussage vor dem Ausschuss möglich mache, so liege genau da der Fehler. "Gesetze können falsch sein - sonst hätte mit dem ehemaligen Homosexuellen-Paragraf ein Außenminister bestraft werden müssen", vergleicht Meschkat.

"Das Ziel ist, mich aus dem Amt zu kriegen." Lothar Finzelberg, Landrat

Der Verteidiger zitiert einen Vorsitzenden Richter des Bundesgerichtshof: "Ein Untersuchungsausschuss ist nicht gerichts-ähnlich, da in ihm partei-taktische Erwägungen eine Rolle spielen." Meschkat hat keinen Zweifel daran, dass der Landrat als Betroffener vor den Abgeordneten vernommen wurde. "Er hatte damit die Möglichkeit, straflos falsche Angaben zu machen." Der SPD-Abgeordnete Matthias Graner soll ganz sicher "von angeblich strafbaren Handlungen" des Angeklagten gewusst haben. Graner verweigerte im Berufungsprozess die Aussage.

Für Staatsanwalt Thomas Kramer gibt es bei der Vernehmung im Landtag keine Beschuldigten. "Ein Zeuge hört nicht auf, ein Zeuge zu sein", zitiert er in seinem Plädoyer. Deswegen sein gefordertes Strafmaß: Ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung, zwei Monatsgehälter (12 000 Euro) für die Landeskasse und die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. "Es wurden im Jerichower Land massive Fehler gemacht, mit deren Folgen die Bürger Sachsen-Anhalts noch lange leben müssen", sagt Kramer. Einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag hätten die Sicherungsmaßnahmen gekostet, so der Staatsanwalt.

Thomas Kramer zur Bedeutung des Urteils: "Das ist ein Verfahren, auf das ganz Sachsen-Anhalt guckt." In Stendal werde am Mittwoch die Frage beantwortet: Wie darf sich ein Verantwortlicher gegenüber dem Untersuchungsausschuss äußern?

Die Antwort des Vorsitzenden Richters Gundolf Rüge: "Er muss die Wahrheit sagen." Das unterstreiche das Landgericht mit seinem Urteil. Neun Monate Haft auf Bewährung, 12 000 Euro für die Landeskasse sowie die Hälfte der Prozesskosten. Drei der fünf Vorwürfe seien bewiesen.

Finzelberg bekommt fünf Monate weniger als im Urteil der ersten Instanz. "Der Angeklagte war Ersttäter und seine falschen Antworten bezogen sich auf Nebengesichtspunkte, sie führten damit den Ausschuss nicht zu falschen Endfeststellungen", begründet Rüge das abgemilderte Strafmaß.

Mit Blick auf die "beträchtliche dienstliche Lebensleistung" Finzelbergs als Landrat seit über 14 Jahren, sei die Entfernung aus dem Amt unverhältnismäßig. Finzelberg entgeht damit also knapp dem "Beamtentod": Ab einer Freiheitsstrafe von einem Jahr hätte er den Posten als Landrat und seine Versorgungsansprüche verloren.

Zu Beginn des Berufungsprozesses hatte ihm Richter Gundolf Rüge im Fall eines Geständnisses eine Strafe von maximal zehn Monaten in Aussicht gestellt. Doch Finzelberg lehnte ab: "Das wäre ein Schuldeingeständnis. Ich will einen Freispruch erreichen." Gestern vor Gericht behauptete der Landrat: "Es ist von Anfang an das Ziel, mich aus dem Amt zu kriegen".

Seine Verteidigung will jetzt in Revision gehen - vor das Oberlandesgericht Naumburg. Dabei wird allerdings keine neue Tatsachenbewertung vorgenommen. Sondern das Urteil auf rechtliche Fehler geprüft.