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Prozessbeginn Staatsanwaltschaft soll rassistische Motive ausgeblendet haben

Von Matthias Fricke 12.02.2014, 02:13

Bernburg/Magdeburg l Nach dem Angriff auf einen türkischen Imbissbesitzer im Bernburger Bahnhof im Salzlandkreis am 21. September vergangenen Jahres soll nächsten Dienstag vor dem Magdeburger Landgericht der Prozess beginnen. Die Staatsanwaltschaft hat neun zum Teil als Rechtsradikale bekannte Schönebecker im Alter zwischen 24 und 33 Jahren wegen versuchten Totschlags, gemeinschaftlicher Körperverletzung in drei Fällen sowie Beleidigung angeklagt.

Nicht jedoch wegen versuchten Mordes aus rassistischen Beweggründen. Das Landgericht gab mit dem Eröffnungsbeschluss deshalb den rechtlichen Hinweis, dass auch versuchter Mord in Frage kommt, so Gerichtssprecher Christian Löffler. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe sei über den Fall informiert. Er habe das Verfahren aber nicht an sich gezogen. Der Anwalt des Opfers Sebastian Scharmer aus Berlin wirft indes der Staatsanwaltschaft vor: "Dass rassistische Parolen den Angriff begleiteten, wird von der Staatsanwaltschaft ausgeblendet. Stattdessen wird die Dimension der Tat verharmlost."

Imbiss-Besitzer nur durch Notoperation gerettet

Bisher ist bekannt, dass der 31-jährige Angeklagte Maik R. an jenem Abend gegen 21 Uhr zunächst die 27-jährige Freundin des türkischen Imbissbetreibers beschimpft habe. Der seit fast 14 Jahren in Bernburg lebende Türke war in diesem Moment dazugekommen, verteidigte seine Freundin und wurde mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen.

Danach mischten sich die in unmittelbarer Nähe stehenden weiteren betrunkenen Angeklagten in das Geschehen ein und schlugen das 34-jährige Opfer zu Boden. Mindestens vier Angreifer sollen dann auf Kopf und Oberkörper des Mannes eingetreten haben, bis er bewusstlos am Boden liegenblieb. Als seine Freundin helfen wollte, wurde auch sie angegriffen und mit ausländerfeindlichen Inhalten beschimpft. Ein Mann mit indischem Migrationshintergrund, der zur Hilfe eilen wollte, sei ebenfalls niedergeschlagen worden.

Der Imbissbetreiber konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden und lag zwei Wochen lang im Koma. "Seine Sehkraft wird wohl unwiderruflich beeinträchtigt sein", erklärt Antje Arndt von der Mobilen Opferberatungsstelle rechter Gewalt.

Die Polizei nahm nur kurze Zeit nach dem Überfall neun Beschuldigte fest. Drei wurden bereits einen Tag nach dem Angriff in Untersuchungshaft genommen. Ein weiterer folgte im November. Auch ein bereits wegen rassistischer Übergriffe einschlägig bekannter 28-Jähriger gehört zu den in Haft sitzenden Männern.

Täter war schon vorbestraft

Der Schönebecker Francesco L. war bereits im Jahr 2006 unter anderem als einer der Haupttäter nach Misshandlungen an einem zwölfjährigen dunkelhäutigen Jungen in Pömmelte zu einer dreieinhalbjährigen Jugendstrafe verurteilt worden. Er hatte unter anderem eine glühende Zigarette auf dem Augenlid des Opfers ausgedrückt. Das Opfer musste auf Fragen mit Nazisprüchen antworten. Nach frühzeitiger Haftentlassung machte der Neonazi offenbar so weiter.

2009 wurde er wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Symbole zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt und seine Bewährungszeit verlängert. Im März 2012 überfiel er mit Komplizen zwei alternative junge Männer, darunter einer mit Migrationshintergrund in einer S-Bahn in Magdeburg. Nach Berufung verurteilte ihn das Landgericht zu neun Monaten Haft ohne Bewährung. Die Strafe wurde drei Wochen vor dem Überfall in Bernburg rechtskräftig. Die Ladungsfrist zum Haftantritt überschnitt sich aber offenbar mit der Tatzeit.

Am Sonnabend soll es am Magdeburger Hauptbahnhof gegen 15 Uhr eine Demonstration anlässlich des Prozesses von einer antifaschistischen Gruppe geben. Es liege eine Anmeldung vor, bestätigt die Polizei.