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Ladendetektive in Sachsen-Anhalt Stille Jäger zwischen den Regalen

Von Matthias Fricke 18.02.2014, 02:30

Magdeburg l Sachsen-Anhalts Polizeidienststellen registrieren durchschnittlich 40 Anzeigen wegen Ladendiebstahls am Tag. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass mehr als 90 Prozent der Diebstähle unentdeckt bleiben. Nur wenige Läden leisten sich Detektive.

Unbemerkt zoomt die Überwachungskamera das Bild eines Jugendlichen am CD-Regal heran. Ungeduldig geht dieser in einem Gang eines Magdeburger Elektronikfachmarktes auf und ab. Er sieht zu den Verkäufern und greift nach einer der Hüllen im Regal. Es geht alles ganz schnell, die Ware verschwindet in der Jackentasche.

Kaufhausdetektiv Heribert Wolf ist schon unterwegs, um den Jugendlichen hinter dem Kassenbereich abzupassen. Höflich spricht er den Kunden an und konfrontiert ihn mit seiner Beobachtung aus der Überwachungskamera. "Ich würde Sie bitten mit ins Büro zu kommen, um den Fall zu klären", sagt Wolf. Er ist ein erfahrener "Jäger", wie er sich selbst bezeichnet. Seit 15 Jahren arbeitet er mit seiner Kaufhausdetektei in ganz Deutschland.

Der Jugendliche folgt der Bitte mitzukommen. Er hätte auch nein sagen können, doch dann müssten beide an Ort und Stelle auf das Eintreffen der Polizisten warten. Das erspart er aber sich und dem Privatermittler. Im Büro nehmen Wolfs Kollegen die Personalien auf und schreiben eine Anzeige, die später der Polizei zugeschickt wird. Der Jugendliche hat inzwischen den Diebstahl der CD eingeräumt und diese freiwillig herausgegeben.

"Die Aggression ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen." - Heribert Wolf, Kaufhausdetektiv seit etwa 15 Jahren

Nicht immer verläuft der Job des Kaufhausermittlers so glatt. "Wir müssen schon einiges ertragen. Die Aggression ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen", erklärt er. Erst vor zwei Jahren brach ihm ein Ladendieb die Schulter. Blessuren gehören schon fast zum Alltag.

Dabei sind nicht die professionellen Ganoven besonders rabiat, sondern eher die Gelegenheitstäter. Wolf: "Der erfahrene Dieb weiß, dass beim Anwenden von Gewalt das Strafmaß enorm steigt. Er gibt deshalb eher auf, als der Gelegenheitstäter." Auch Bestechungsversuche seien an der Tagesordnung. Der 46-Jährige meint: "Von dem Geld hätte ich mir schon ein Einfamilienhaus kaufen können."

Es gibt auch Ladendiebe, die ihrer schauspielerischen Ader gerne freien Lauf lassen. So habe eine junge Frau, kurz nachdem sie erwischt wurde, begonnen, sich am ganzen Körper Kratzwunden zuzufügen. "Als die Beamten eintrafen, schrie sie laut los und behauptete, dass ich sie angegriffen hätte. Die Polizisten ahnten zum Glück, was los ist. Ich sagte den Beamten, sie müssten nur mal unter den Fingernägeln der jungen Frau nachsehen", erzählt Wolf. In diesem Moment habe die junge Frau dann alles zugegeben und eine Anzeige wegen falscher Verdächtigung kassiert.

Aus diesem Grund arbeiten die Kaufhausermittler in ihrem kleinen Büro nur noch mit Kamera und zu zweit, um solchen Verdächtigungen aus dem Weg zu gehen.

"Wir stehen ohnehin immer mit einem Bein im Knast, schon wegen der Vorwürfe der Freiheitsberaubung. Auch wenn diese nicht stimmen, stehen sie erst einmal im Raum und müssen entkräftet werden" erklärt der Detektiv. 90 Prozent der gerade überführten Ladendiebe wollen "die Sache immer irgendwie anders regeln".

Doch die Männer lassen sich nicht erweichen. Die Ankündigung am Eingang "Bei uns wird jeder Ladendiebstahl angezeigt!" ist Gesetz.

Wolfs Kollege hat inzwischen einen jungen Mann mit einer Aktentasche im Visier. "Die präparierten Taschen nehmen langsam überhand", sagt er und lässt den Blick nicht von der Tasche. Die Ganoven präparieren diese oft mit einer Aluminiumfolie und Klebeband so, dass die Alarmanlage beim passieren des Ausgangs nicht mehr anschlägt.

Doch dieses Mal scheint alles in Ordnung zu sein. Der Mann verlässt den Markt, ohne seine Tasche geöffnet zu haben.

Wolfs Job habe mit Logik zu tun. "Eine Frau, die sich die ganze Zeit BHs ansieht und plötzlich nach zwei Jeans greift, so etwas ist verdächtig. Das würde keine Frau machen", sagt er.

"Die Statistik gibt nur darüber Auskunft, wie viele Diebstähle angezeigt wurden." - Knut Bernsen, Landesgeschäftsführer vom Handelsverband Sachsen-Anhalt

Ansonsten können seine Kollegen und er weder nach Alter oder Aussehen gehen. Kürzlich haben die Magdeburger Detektive einen 93-jährigen Mann erwischt, der dreimal hintereinander ein Fernglas gestohlen hat. Das heißt, eigentlich war es nur die Leerverpackung. Offenbar bemerkte der Mann jedes Mal erst vor der Tür, dass die Schachtel leer war.

Durchschnittlich einen Dieb entdeckt das Team pro Tag, nach Wolfs Hochrechnung entwischen dafür zehn. "Dass, obwohl wir eigentlich sehr effektiv sind. Es bleibt aber für uns immer ein Fischen im Trüben", erklärt Wolf. Gemessen wird sein Erfolg an der Inventur-Differenz. Um so niedriger sie ist, umso besser die Arbeit.

Landesgeschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen-Anhalt Knut Bernsen: "Die Dunkelziffer ist sehr hoch. Deshalb kann man auch nicht sagen, ob eine Stadt besonders kriminell ist. Die Statistik gibt nur darüber Auskunft, wie viele Diebstähle angezeigt wurden."

Nach Erkenntnissen des IHI-Retail Forschungsinstituts in Köln bleiben etwa 30 Millionen Ladendiebstähle in Deutschland unentdeckt. Rechnerisch sind das etwa 98 Prozent. Es verschwinden täglich bundesweit Waren im Wert von über sechs Millionen Euro bei Ladendiebstählen. Statistisch gesehen stehle nach der Studie jeder deutsche Haushalt jährlich Waren im Wert von 50 Euro im Einzelhandel. Der investiert 1,2 Milliarden Euro im Jahr in Präventiv- und Sicherungsmaßnahmen, um seine Waren besser zu schützen.