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Sprachverwirrung in Sachsen-Anhalt Blaume, Blome, Blume?

In Sachsen-Anhalt gibt es eine Grenze, sagen Sprachwissenschaftler. Die
so genannte Ick-/Ich-Linie teilt das Land in zwei Bereiche. Da kann es
schon mal passieren, dass sich Menschen nur schwer verstehen.

12.03.2014, 01:21

Magdeburg l In Sachsen-Anhalt tut sich einiges zur Erhaltung der Dialekte, weiß Saskia Luther vom Institut für Germanistik an der Universität Magdeburg. Als Referentin der "Arbeitsstelle Niederdeutsch" ist sie Expertin auf dem Gebiet der Mundarten und weist auf die große Besonderheit der sachsen-anhaltischen Dialekte hin: die Sprachgrenze, oder, wie sie von Sprachwissenschaftlern genannt wird: die Ick-/Ich-Linie.

Diese teile das Land in eine niederdeutsche Nord- und mitteldeutsche Südhälfte. Sie verlaufe quer durch Sachsen-Anhalt von Benneckenstein über Hasselfelde, Gernrode, Aschersleben, Brumby, Calbe/Saale bis nach Coswig und Wittenberg.

Oberhalb dieser Grenze können sprachliche Eigenheiten wie "ick", "Appel" und "dat" in bestimmten Mundartgebieten zum Vorschein kommen. Unterhalb dieser Grenze sei eben immer noch vom "Apfel" die Rede. "So eine Sprachgrenze gibt es in kaum einem Bundesland. Eventuell noch in Nordrhein-Westfalen, aber das müsste ich noch überprüfen", sagt Luther.

Die Sprachgrenze in Sachsen-Anhalt hat auch ganz praktische Auswirkungen: Es gibt Verständigungsprobleme. Kaum ist man "im Grenzbereich" zehn Kilometer gefahren, versteht man im wahrsten Sinne des Wortes die Welt nicht mehr, wenn von nervenden "Ütschen" gesprochen, die einem nachts den "Slap" rauben. Nicken und lächeln kann zwar darüber hinwegtäuschen, dass man sein Gegenüber nicht versteht, hilft auf Dauer aber nicht weiter.

"Das ist auch nicht einfach", erklärt Ute Bierotte aus Wernigerode. Die Harzerin spricht fließend Platt, Harzer Platt natürlich und das auch nur, wenn sie auf der Bühne steht. Sie ist Mitglied des Rezitations- und Schauspieltrios "Harzgeister Wernigerode". Zusammen mit Tochter Christin und Freundin Doris Skauraschun unterhält sie ihr Publikum auf Platt. Das kommt gut an, "aber man muss das schon sehr dosieren, weil es sehr schwer zu verstehen ist", erzählt sie.

Ihr Hauptpublikum sind Menschen zwischen 60 und 70 Jahren, weil "die die Sprache noch aus ihrer Kindheit kennen", erzählt Bierotte. "Die Jüngeren haben damit oft Probleme, weil das in der Umgangssprache gar nicht mehr gesprochen wird." Das weiß auch die Magdeburger Sprachwissenschaftlerin Saskia Luther.

Aus diesem Grund organisiert sie zusammen mit dem Kultusministerium Sachsen-Anhalts jährlich einen Schüler-Vorlesewettbewerb in plattdeutscher Sprache. Daran nimmt auch die Grundschule in Flessau/Altmark teil. Hier unterrichtet Heike Kurtze 14 Schüler in einer Arbeitsgruppe in der plattdeutschen Sprache.

"Wir machen das, damit die Tradition weiterlebt", erzählt die Grundschullehrerin. Sie kenne die Sprache noch von zu Hause und wolle sie an die nächste Generation weitergeben. Aber nur in traditionellem Ost-Altmärkisch, darauf legt sie viel Wert.

"Dieser Dialekt ist moderner als der Westaltmärkische", erklärt Sprachwissenschaftlerin Saskia Luther. Viele Wörter ähnelten englischen Vokabeln. Das Wort "Unkle" ähnelt dem englischen Pendant "uncle" und meint den "Onkel". Auch in der Satzstellung sei der Ostaltmärkische Dialekt dem Englischen ähnlich. "Ick mag dat nicht, gahn rut bi Regen" kommt dem englischen "I dont`t like to go out in the rain" sehr nah und meint, dass jemand bei Regen nicht gerne rausgeht.

Dialekte werden weniger, sterben aber nicht aus

"Das macht das Erlernen der Sprache ein bisschen einfacher", erklärt Heike Kurtze. Sie findet, dass Plattdeutsch zu lernen mindestens genauso aufwändig ist, wie eine Fremdsprache zu lernen. Aber es lohnt sich, "weil es eine wunderschöne, alte Sprache ist".

Übrigens: Die Westaltmärker mögen es sprachlich eher konservativ. Sie benutzten Wörter, die schon mehrere hundert Jahre alt sind", erklärt Saskia Luther. Und während der eine oder andere wahrscheinlich Ohrenschmerzen bekommt, weil er niemals "An wecken Wochendach deist du Dütsch hämm?" (wörtliche Übersetzung: An welchem Wochentag tust du Deutsch haben) fragen würde, erklärt Luther, dass es keine falsche Sprechweise ist, sondern nur der Gebrauch einer alten, traditionellen Sprache.

Und wie steht es um die Zukunft der Dialekte? "Sie werden weniger werden", sagt Luther. Ganz aussterben werden sie nicht, da ist sie sich sicher. "Das hat man dem Plattdeutschen schon vor über 200 Jahren vorhergesagt, dass es das eines Tages nicht mehr geben wird. Aber es ist immer noch da und wird es auch bleiben."