1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Rainer Eppelmann: "Es war krankhaft zu denken, alle müssten einer Meinung sein"

Kommunalwahl 1989 Rainer Eppelmann: "Es war krankhaft zu denken, alle müssten einer Meinung sein"

07.05.2014, 01:20

Wer im Mai 1989 in der DDR Wahlergebnisse überprüfen wollte, musste Mut haben. Der frühere Bürgerrechtler und heutige Vorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Rainer Eppelmann, hat als Pfarrer im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain die Auszählung der Kommunalwahl selbst verfolgt. Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa spricht er über enttäuschte Bürger, die abgehobene DDR-Führung - und über Angst.

Wie haben Sie die Auszählung der Kommunalwahl kontrolliert?
Rainer Eppelmann: Wir haben nicht mehr gemacht als die Zahlen aufzuschreiben, die die Wahlhelfer im Wahllokal vor unseren Augen und Ohren genannt haben. Das waren keine errechneten oder erdachten Fantasiezahlen, die wir zusammengeschrieben haben.

Was haben Sie gedacht, als Sie das Ergebnis gehört haben, das DDR-Wahlleiter Egon Krenz am Ende verkündete?
Wir haben uns bestätigt gefühlt. Wir sahen, die haben das gemacht, was sie offensichtlich all die Jahre auch schon gemacht haben: betrogen.

Wie wären die Wahlen ohne die Fälschungen ausgegangen?
Unter den konkreten Bedingungen hätten bestimmt 60 bis 70 Prozent der DDR-Bürger den Zettel nur gefaltet und in die Urne geschmissen, schon um sich selber nicht in Gefahr zu bringen. Da wäre Angela Merkel - sie kam bei der vergangenen Bundestagswahl auf über 40 Prozent - 14 Tage vor Glück betrunken gewesen. Das reichte aber diesen Männern nicht, sie wollten 99,9 Prozent. Und hatten auch noch die Traute, das öffentlich zu erklären.

"Wahlfälschung war auch in der DDR verboten"

Wie erklären Sie sich die Manipulation durch die DDR-Oberen?
Alle waren der Meinung, wir sind die Größten, wir sind die Besten, wir sind die Klügsten, wir sind wahrhaft die Avantgarde dieses Volkes. Und sie wagten das zu behaupten, obwohl es kaum einen DDR-Bürger gab, der nicht wusste, dass inzwischen Millionen von DDR-Bürgern abgehauen waren. Sie trauten sich trotzdem zu sagen, 100 Prozent liegen uns anbetend zu Füßen.

Wahlfälschung war auch in der DDR ein Straftatbestand ...
Sie wussten natürlich auch, dass das, was sie taten, nach dem Strafrecht der DDR verboten war. Es war kriminell und sie haben es trotzdem gemacht. Es war krankhaft, zu denken, alle müssten einer Meinung sein.

Waren die Wahlen der Anfang vom Ende der DDR?
An einem gewissen Punkt, mir fallen da auch noch ein paar andere ein, ja. Das hat manchen ehrlichen Menschen wie eine Keule getroffen. Die haben gesagt, das ist so was von schlimm, das darf nicht sein.
Ich bin vielen der SED nahestehenden oder auch SED-Mitgliedern begegnet, die fassungslos waren.
Tief enttäuscht, dass ihre Partei, die sie so bewunderten, so etwas Fürchterliches macht. Die also im Grunde ihres Herzens anständige Menschen sein wollten und dann auf einmal feststellten, ihre Jungs da oben sind Heuchler und Lügner.