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Gezielter Aufbau Uralt-Stiftungen feiern Auferstehung

1800 Stiftungen gab es nach dem Krieg in Sachsen-Anhalt. Die SED ließ
fast alle enteignen - oft sogar gegen DDR-Recht. Sachsen-Anhalt fahndet
gezielt nach solchen Rechtsfehlern, um einen Neustart zu ermöglichen.

Von Hagen Eichler 23.05.2014, 03:17

Magdeburg l Privates Geld für die Ewigkeit anlegen, um mit den Zinsen Gutes zu tun - das ist das Prinzip von Stiftungen. In Sachsen-Anhalt gab es besonders viele solcher Einrichtungen. Noch 1947 registrierte die Landesregierung 1800 davon. Die SED-Führung machte dieser Vielfalt ein Ende: Sie enteignete den Besitz und löste die Stiftungen auf.

Vor allem im Bezirk Magdeburg konnte es den Parteifunktionären nicht schnell genug gehen. Unter ihrem Druck wurde die Auflösung oft von Behörden verfügt, die dafür gar nicht zuständig waren, etwa vom Rat der Stadt oder des Kreises. Seit 2011 sucht das Landesverwaltungsamt nach solchen Fällen, um Alt-Stiftungen wiederzubeleben.

Nachlässig geführte Grundbücher helfen weiter

In fast 100 Fällen ist das bereits gelungen, 20 weitere aussichtsreiche Fälle liegen bereits auf dem Tisch von Regierungsoberinspektorin Silvia Trautmann. "In den anderen ostdeutschen Ländern werden Alt-Stiftungen nur auf Antrag wiedereingerichtet", sagt die Beamtin, "in Sachsen-Anhalt forschen wir selbst nach, was aus den Stiftungen geworden ist." Von den einstigen Kreisen Sachsen-Anhalts hat sie drei Viertel bereits durchforstet.

"Während der DDR wurde der Stiftungsgedanke aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht." - Silvia Trautmann, Landesverwaltung

Ihrer Arbeit kommt zugute, dass die Grundbücher in der DDR eher nachlässig geführt wurden. Oft sind Stiftungen nach wie vor als Eigentümer von Ländereien oder bebauten Grundstücken vermerkt. Gerade erst revitalisiert wurde die Pastor Keßler\\\'sche Stiftung zu Radisleben (Landkreis Harz), ursprünglich eine Gründung aus dem Jahr 1902. Damals unterstützte sie Witwen, mit der Neufassung der Satzung werden nun auch Witwer und Waisenkinder bedacht. Ein paar verpachtete Äcker bringen Einnahmen, mit denen zum Beispiel die Kirchengemeinde eine gemeinsame Veranstaltung für die Senioren des Dorfes bezahlen kann.

Finanzspritze für Mitglieder von Stifterfamilien

Andere Stiftungen sind noch viel älter, sie ragen geradewegs aus dem Mittelalter in unsere Zeit, als Überbleibsel des Ablasshandels. Etwa das Sieberlehnsche Stipendium in Zerbst: Im 14. Jahrhundert errichteten sieben Zerbster Familien ein sogenanntes Altarlehen.

Vom Ertrag der gestifteten Äcker wurde ein Priester bezahlt, der für die verstorbenen Familienangehörigen um Ablass für die Sünden betete. Die Reformation machte damit Schluss - doch die Einnahmen aus den Flurstücken fließen bis heute. "Wir bezahlen damit Studien-Stipendien für die Nachfahren der sieben Familien", erklärt Stiftungsverwalter Hans-Peter Mahn.

Derzeit bekommen fünf Stipendiaten jährlich 2400 Euro ausgezahlt. Ein seit 1791 geführtes Familienbuch listet alle Mitglieder der Stifterfamilien auf - wer von ihnen abstammt, ist antragsberechtigt für die Finanzspritze. Mit einer Einschränkung: Er oder sie muss evangelisch sein - so ist es seit Jahrhunderten festgeschrieben. Mit diesem kleinen Kreis von Begünstigten ist das Sieberlehnsche Stipendium allerdings eine Ausnahme: Der Großteil der Stiftungen in Sachsen-Anhalt ist gemeinnützig.

Vermögende ermuntern, sich von Geld zu trennen

Deutschland erlebt seit Jahren einen Boom an neuen Stiftungen. Im vergangenen Jahr wurde die Marke von 20000 geknackt. Sachsen-Anhalts Zuwachsrate lag mit 2,6 Prozent nur knapp unter dem Bundesschnitt (3,1 Prozent) - allerdings nur durch die Wiederbelebungen. Sachsen-Anhalt kompensiert so, was anderswo mit frischem Geld gegründet wird. Das Stiften soll durch die historischen Vorbilder wieder bekannter werden.

"Während der DDR wurde der Stiftungsgedanke aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschen gelöscht. Seit dem Zivilgesetzbuch von 1976 durften auch keine mehr errichtet werden", sagt Stiftungs-Expertin Trautmann. Menschen mit Vermögen sollen nun ermuntert werden, sich zu Lebzeiten von Geld zu trennen - und ein Werk für die Ewigkeit zu hinterlassen.