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Sommerhochwasser 1954 "Der Elbdamm lässt Wasser durch"

"Leben mit der Elbe" heißt die Ausstellung im Landeshauptarchiv Magdeburg, die noch bis Oktober zu sehen ist. Mittels Karten, Akten und Zeitungsausschnitten wird der Hochwasserschutz seit 1316 dokumentiert. Das Sommerhochwasser 1954 war in seinen Ausmaßen vergleichbar mit dem 2013.

Von Manuela Langner 04.06.2014, 03:24

Zerbst l Um 6 Uhr ertönte am 13. Juli 1954 in Güterglück die Sirene. Im Nachbarort Walternienburg wurde jedermann gebraucht, um die Feldfrüchte zu bergen, die Deiche zu bewachen und zu verstärken, "denn der Druck der Saale bei Westwind brachte eine größere Gefahr für die Deiche", hieß es eine Woche später rückblickend in der Zerbster Volksstimme.

"Die Deichwachen arbeiteten fieberhaft, um Risse und schwache Stellen der Deiche mit den bereitgestellten Sandsäcken und Dung zu verstärken." Und trotzdem schlugen Wellenkämme über die Deiche. Mit "Fahrrad auf dem Rücken, bis zum Bauch im Wasser" wurde der Rückzug nach Walternienburg angetreten. Am nächsten Tag war die Elbaue von Wasser bedeckt, aus Ronney wurden Frauen und Kinder evakuiert. Allein in Güterglück fanden etliche Leute ein vorübergehendes Zuhause, dazu wurde eine "beträchtliche Menge an Vieh" aufgenommen.

Zwei Postangestellte paddelten täglich nach Ronney, um den Männern die Post und die Volksstimme zu bringen.

Ab 9. Juli war die Elbe bei Tochheim, Steutz, Steckby, Walternienburg und Dornburg merklich angestiegen. Einen Tag später hatte der Fährbetrieb eingestellt werden müssen. Motorboote hielten noch den Berufsverkehr aufrecht. Zugleich legte die Kreiskatastrophenkommission fest, was zu tun ist: Sandsäcke und Faschinen bereitstellen, das Getreide mähen und bergen (was durch den anhaltenden Regen erschwert wurde), das Holz aus den Wäldern fahren oder dort fest verankern und Wildtiere retten.

Parallelen zum Hochwasser 2013

Der GST-Lehrgruppe Seesport gelang es mit ihrem Kutter Ernst Thälmann, sieben Rehe und fünf Kitze an Land zu bringen.

In Tochheim, Walternienburg, Dornburg und Steutz war das Wasser bis an die Ortschaften gestiegen. Die Volksstimme schilderte, dass auf dem Verkehrszeichen 50 Meter hinter Steutz gerade noch zu lesen war, dass es sechs Kilometer bis nach Aken sind.

"Die Hochwassergefahr im Kreis Zerbst ist gebannt" lautete der Titel des Interviews mit Fritz Seidel, dem Vorsitzenden des Rates des Kreises, das die Volksstimme am 17. Juli 1954 druckte. Demnach habe es Pläne gegeben, "um im Notfalle eine Evakuierung der Bewohner von Walternienburg und Dornburg vornehmen zu können". Bei Tochheim habe es "die Gefahr eines Dammrisses" gegeben.

"Hier waren es Angehörige der Sowjetarmee, die sich in vorbildlicher Weise drei Stunden bis zur Brust im Wasser stehend gemeinsam mit Kameraden der Feuerwehr einsetzten und den Dammriss verhinderten", schilderte der Vorsitzende des Rates des Kreises. Auch die Bevölkerung habe sich "mit einigen Ausnahmen vorbildlich" verhalten.

Ernteausfälle bei den Bauern

Als nicht vorbildliches Verhalten wird - sowohl in der Schönebecker als auch in der Burger und Zerbster Ausgabe der Volksstimme - es stets angeprangert, wenn Bauern ihre Getreideflächen nicht rechtzeitig geerntet haben. Gründe, weshalb die Bauern so handelten, werden nie genannt.

Das unreife Getreide könne überwiegend nur zu Futterzwecken verwendet werden, erklärte Paul Hentschel, der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Magdeburg, in der Volksstimme. Dieses Getreide fehle bei der Versorgung der Bevölkerung. Dennoch: "Die Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt", betonte er.

Auf Kreisebene kündigte Fritz Seidel an, dass mit Unterstützung der MTS Gehrden und Dobritz und aus Nachbarkreisen die betroffenen Ackerflächen sofort nach Abfluss des Wassers umgebrochen werden.

So wundert es nicht, dass die Nachricht "12.000 Hektar Ackerfläche vor Überschwemmung bewahrt" der Berichterstattung zum drohenden Deichbruch in Aken vorangestellt war. Mit dem Notruf "Der Elbdamm lässt Wasser durch" konfrontiert, eilten alle Männer mit Schaufeln und Spaten zur Gefahrenstelle. Stundenlange Arbeit half nichts. Bald trat das Wasser auf einer Länge von 40 Metern aus dem Deich aus.

Betriebe schickten Brigaden und MTS Lkw und Bulldogs, sowjetische Soldaten halfen. Letztlich wurden 120 Fuhren Schotter benötigt, um dem sumpfigen Untergrund Halt zu geben. Sickerstellen mussten auf einer Länge von 80 Metern abgedichtet werden. 55000 Sandsäcke wurden verbaut. "Es gab keinen Mangel", wurde ein Akener Stadtrat zitiert. Auch nicht an der Verpflegung der Einsatzkräfte. Betriebe und Stadtverwaltung lieferten das Essen, der Konsum Magdeburg die Getränke.

In ihrer Berichterstattung vor 60 Jahren räumte die Zerbster Volksstimme der Dornburger Ziegelei großen Platz ein. Der Betrieb war komplett von der Außenwelt abgeschnitten, auch die Lehmgrube stand unter Wasser, aber die Arbeiter hatten sich "einen Vorrat für zwei bis drei Wochen bereitgestellt", so dass weitergearbeitet werden konnte. Im Abschlussbericht der Kreiskatastrophenkommission hieß es in der Sprache der damaligen Zeit: Die Arbeiter der Ziegelei "erkannten ihre volkswirtschaftliche Aufgabe und brannten trotz der sie umgebenden Gefahr ihre Ziegel weiter". Per Boot gelangten sie an ihren Arbeitsplatz.

In den Fluten gekentert

Wie gefährlich das Befahren des Hochwassers jedoch sein konnte, wurde am Beispiel zwei junger Helfer deutlich, die mit ihrem Paddelboot kenterten und "sich nur mit Mühe in die Bäume der Aue retten konnten", wie es die Volksstimme schilderte. Auch zu ihrer Rettung kam die GST-Lehrgruppe Seesport.

1261 Werktätige, Volkspolizisten, Feuerwehrleute und Angehörige der Sowjetarmee waren laut Abschlussbericht der Kreiskatastrophenkommission im Hochwassereinsatz. Die einzelnen Gefahrenstellen seien durch 1230 (!) Sandsäcke und "unter Aufbietung der vereinten Kräfte" beseitigt worden. 80 Traktoren mit Anhängern und Lkw haben der Kommission nach ihren eigenen Angaben zur Verfügung gestanden. "Entstandene Sachschäden werden auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses vom 15. Juli schnellstens beseitigt", versicherte die Kommission.

Aber nicht nur staatliche Hilfe war gefragt. Werktätige spendeten Stundenlöhne oder machten zusätzliche Schichten, um benötigtes Material zu produzieren. Es wurden Geld, Bekleidung, Sachwerte und Naturalien von Kartoffeln über Ölsaaten bis zu Eiern zur Verfügung gestellt.