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Drei Forschungsprojekte Das Auto der Zukunft kommt aus Sachsen-Anhalt

Die großen Autokonzerne aus Deutschland werfen ihren Blick nach Magdeburg und Merseburg. Denn dort basteln Forschungsprojekte von drei Hochschulen am Automobil der Zukunft.

05.06.2014, 01:19

Magdeburg l An der Fassade des grauen Gebäudes auf dem Gelände der Hochschule Merseburg bröckelt der Putz ab. Die Flachdachbaracke fällt nicht besonders auf inmitten des weitläufigen Campusgeländes. Große, weiße Eisentüren verbergen das, was im Inneren der Baracke wartet. Karl Böttcher und Benjamin Rossner sind Studenten an der Fachhochschule. Für die Volksstimme machen die jungen Akademiker die Türen auf.

Grelles Neonlicht lässt einen ersten Blick in das etwas angestaubte Innenleben der Baracke zu. Die drei Fahrzeuge fallen sofort auf. Eines von ihnen ist unter einer Plane abgedeckt. Zwei weitere stehen rechts in einer Ecke. In der unscheinbaren Baracke lagern die Erfindungen des "Team Eco Emotion".

Das Projekt der Hochschule Merseburg entwickelt seit fast zehn Jahren Fahrzeuge. "Ökologisch nachhaltig, besonders leicht und natürlich innovativ sollen sie sein", erklärt der 23-jährige Karl Böttcher, der in Merseburg Mechatronik studiert.

Woody, Zero, Nios und Tilt heißen die Konzeptautos, die von den Studenten in den vergangenen acht Jahren geplant und gebaut worden sind. Woody wird mit einem Einzylinder-Motor mit Biodiesel betrieben. Der schnittige Zero erinnert mit seiner aerodynamischen Form an einen Hai. Der Nios lässt sich mit einem Smartphone steuern und besteht zu 70 Prozent aus Holz. Und der Tilt besitzt eine Fahrerkabine, die sich bei Kurvenfahrten neigt.

Fossile Rohstoffe sind ein Auslaufmodell

In einer Werkstatt, ein paar Gehminuten entfernt von der Baracke, steht das aktuelle Projekt der Hochschulgruppe. Rund zehn Studenten arbeiten daran. Ein Professor unterstützt sie. Das aktuelle Gefährt, der E-Pick, soll maximal 200 Kilogramm wiegen. Bisher ist nur das Gerüst zu sehen. Es zeigt einen Kleinwagen mit offener Ladefläche am Heck. Die Karosserie wird aus leichten Naturfasern entstehen.

"Hanfrinde erzeugt Festigkeitsmerkmale, die sonst nur von der Kohlefaser erreicht werden", erklärt Karl Böttcher. BMW etwa hat die Außenhülle bei seinem Elektroauto I3 aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff gefertigt. Nachhaltigkeit ist in der Automobilindustrie das Zauberwort für die Zukunft. Fossile Rohstoffe wie Erdöl oder Erdgas werden irgendwann aufgebraucht sein. Nachwachsende Rohstoffe sollen vermehrt in Autoentwicklungen verwendet werden.

So wie im E-Pick aus Merseburg. 20000 Euro lässt sich die Hochschule das Projekt pro Jahr kosten. Darin eingerechnet sind nur die Materialkosten. "Die Studenten arbeiten am Fahrzeug in ihrer Freizeit neben dem Studium", sagt Benjamin Rossner. Er und seine Mitstreiter wollen mit ihren Prototypen Anreize für die Großen der Automobilbranche geben. Mit ihrem Erfindergeist und ihrer Innovationskraft hoffen sie eines Tages selbst auf eine Karriere als Automobilentwickler bei einem renommierten Hersteller.

Gewicht einsparen und den Verbrauch senken

Nach einer anderen Forschungseinrichtung in Sachsen-Anhalt hat der bayrische Autobauer BMW bereits seine Fühler ausgestreckt. An der Hochschule Magdeburg-Stendal lässt der Konzern zur Geruchsoptimierung von Naturfaserverbundwerkstoffen forschen. "Ein neues Auto hat einen ganz typischen Geruch", erklärt Projektleiter Peter Gerth. "Naturfasern allerdings riechen ganz anders. Das hindert die Hersteller im Moment noch daran diese Stoffe im Innenraum der Fahrzeuge zu verbauen", so der Wissenschaftler.

Die Möglichkeit durch diese Werkstoffe Gewicht einzusparen und somit den Kraftstoffverbrauch zu senken, ist für Hersteller und Käufer interessant. Doch Stoffe wie Hanf- oder Flachsfasern als Ersatz für Kunststoff aus fossilen Rohstoffen zu verwenden, ist kompliziert. Gerth erklärt: "Da es sich dabei um natürliche Rohstoffe handelt, kann es zu Qualitätsunterschieden kommen, die die Herstellung beeinflussen können."

Peter Gerth ist in seinem Labor auf dem Gelände der Hochschule Magdeburg-Stendal. Auf der weißen Arbeitsplatte stehen verschiedene Gläschen mit natürlichen Faserstoffen und kleinen weißen oder durchsichtigen Kugeln. Biopolymere werden diese Kunststofferzeugnisse genannt, die vollständig recycelbar sind und ohne Erdöl produziert werden. Gerth und seine Mitarbeiter mischen diese Polymere mit verschiedenen Naturfasern. Um ihre Festigkeit und Stabilität zu testen, werden die Stoffe miteinander verschmolzen und zu Platten gepresst. "Die Schwankungen im Material auszugleichen, ist ein zusätzlicher Aufwand", sagt Gerth, der seit 2002 an den Biohybridwerkstoffen forscht. Denn gleichbleibende Qualität der Rohstoffe ist für die Serienproduktion bei den Autoherstellern unerlässlich.

Trotz ihrer Vorteile führen biobasierte Materialien in Automobilanwendungen noch ein Nischendasein. "Werkstoffe auf Erdölbasis werden schon lange in der Produktion eingesetzt. Sie haben noch einen Qualitäts- und Preisvorteil gegenüber Biohybridwerkstoffen", erklärt der Wissenschaftler. Die Forschungen von Peter Gerth und seinen Mitarbeitern werden weitergehen. Bis zum 30. April 2015 ist die Finanzierung seines Projektes durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe der Bundesregierung gesichert. Mit 350000 Euro werden die Forschungen pro Jahr unterstützt.

Ein paar Kilometer entfernt vom Labor der Fachhochschule basteln Sachsen-Anhalter an einem weiteren Teil für das Automobil der Zukunft. In einem kleinen Raum im Gebäude der Fakultät für Maschinenbau der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg steht die Entwicklung als Modell auf dem Tisch. "Wir sind sehr stolz", sagt Professor Roland Kasper.

Was hier steht, ist das Modell eines weltweit einmaligen Radnabenmotors. Bei einem Gewicht von 20 Kilogramm erreicht er eine Leistung von 40 Kilowatt. 170 Kilometer pro Stunde werden als Höchstgeschwindigkeit angegeben. "Das macht uns so schnell keiner nach", behauptet Kasper.

Leistungsstarker Radnabenmotor aus Magdeburg

Der Wegfall des mechanischen Antriebsstrangs spart Kosten und schafft Nutzraum im Fahrzeug. Die volle Kraftentfaltung direkt im Rad ist Garant für bisher unerreichte Sicherheit und Komfort beim Fahren, erklärt der Projektingenieur Norman Borchardt. Kasper, Borchardt und weitere Partner forschen und entwickeln seit zwei Jahren diesen Elektromotor.

Finanziell stößt die Universität zusammen mit ihren externen Partnern wie der Elektromotoren und Gerätebau Barleben in größere Dimensionen vor als die anderen Projekte. 1,5 Millionen Euro Entwicklungskosten schlagen allein für das vergangene Jahr zu Buche.

Eine Investition, die sich für Sachsen-Anhalt lohnen könnte. Zurzeit werden seriennahe Prototypen des Radnabenmotors hergestellt. Das Ziel ist die Marktreife für den Automobilmarkt. "Für das Land ist dieser Motor eine hervorragende Chance", sagt Professor Kasper. "Dadurch können die Automobilzulieferer hier noch eine Schippe drauflegen. Denn der gesamte Motor kann in Sachsen-Anhalt gebaut werden." Kasper will die Wertschöpfungskette im Bundesland halten. "Wir brauchen die Unterstützung der Firmen im Land und auch die der Universität", erklärt der Wissenschaftler. Sonst sehe er keine Chance am Markt.

"Das sind interessante Projekte", bestätigt der anerkannte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Für die Autoindustrie seien Anregungen dabei, sagt der Professor der Universität Duisburg-Essen. Karl Böttcher, Benjamin Rossner, Peter Gerth und Roland Kasper hoffen bei der Herstellung des Automobils der Zukunft eine Rolle zu spielen. Doch garantieren kann niemand, dass das Auto der Zukunft tatsächlich aus Sachsen-Anhalt kommt.