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Suche nach der Unwetter-Formel Kommt bald alle zehn Jahre ein Jahrhunderthochwasser?

In der Klimadebatte gilt es schon wie ein Gesetz: Mit Fluten wie 2013
und 2002 müssen wir öfter rechnen. Doch Meteorologen sind sich da noch
längst nicht sicher. Forscher aus Deutschland und Österreich wollen auf
die Frage bis 2015 eine Antwort finden.

Von Jens Schmidt 11.06.2014, 03:30

Magdeburg l 1997 an der Oder. 2005 in den Alpen. 2002, 2006, 2011 und 2013 an der Elbe. Sechs gefährliche Fluten in so kurzer Zeit. Auffällig: Zwischen den 1940er Jahren und 2002 herrschte etwa 60 Jahre lang Ruhe an der Elbe. Nun häufen sich die Hochwasser wieder. Alles Zufall? Oder gibt es bestimmte Wetter-Zyklen? Oder sind das schon die Boten des Klimawandels? Politiker und Klimaforscher warnen, wir sollten uns auf häufigere Fluten einstellen. Meteorologen aber sind wesentlich vorsichtiger.

"Nur weil die Atmosphäre wärmer und feuchter wird, bedeutet das noch nicht automatisch mehr Starkregen und Hochwasser bei uns", sagt Michael Hofstätter von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. Er leitet das Forschungsprogramm "Wetrax", an dem auch Experten des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach und der Uni Augsburg beteiligt sind. Sie analysieren das Wettergeschehen der vergangenen Jahrzehnte in Zentraleuropa und suchen nach Rechenmodellen, mit denen man Aussagen über Starkregenereignisse in der Zukunft treffen kann.

Spezielle Tiefs mit Sintflutpotenzial

Wie oft werden uns in Zukunft diese Unwetter ereilen, die früher als seltenes Ereignis in die Bücher eingegangen sind? Rollen so - genannte "Jahrhundertfluten" künftig alle zehn, zwölf Jahre über uns hinweg? Bis Mai 2015 sollen Ergebnisse vorliegen. Die untersuchte Fläche umfasst das Areal von Berlin bis Mailand und von Frankreich bis zur Slowakei. Hofstätter nennt drei Tiefs, die gefährlich werden können.

So viel ist gewiss: Es sind spezielle Tiefs, die Sintflutpotenzial in sich tragen. "Drei Gruppen von Tiefs können uns gefährlich werden", sagt Hofstätter.

1. Gruppe: Vb-Tiefs

Der deutsche Meteorologe Wilhelm Jacob van Bebber (1841-1909) hatte die Tiefdruckgebiete und ihre Zugbahnen vom Atlantik in Richtung Europa im 19. Jahrhundert nummeriert. Die Bahn Vb (sprich: fünf be) hat für Sachsen-Anhalt, Sachsen, die Oder-Anrainer in Brandenburg, aber auch für die Alpenregion die größte Bedeutung.

Solch ein Tief zieht in großer Höhe vom Atlantik zum Mittelmeer. Über Norditalien gebärt es ein weiteres, am Boden liegendes Tief. Das saugt sich über dem warmen Wasser der Adria mit Feuchtigkeit voll. Mit neuer Energie aufgeladen, wirbelt das Boden-Tief weiter nach Mitteleuropa. Treffen dessen mächtige Wolken auf die Nordwand eines Gebirges, steigen die feuchten Luftmassen nach oben, wo sie sich abkühlen - und schließlich abregnen. Manchmal tagelang. Geschieht das im Erzgebirge, schwillt die Elbe zum verheerenden Strom an. Wie vom 12. zum 13. August 2002, als bei Zinnwald in 24 Stunden 312 Liter Regen je Quadratmeter fiel: So viel kommt im Mittelgebirge sonst in vier Monaten runter. Braut sich solch ein Wetter in den Alpen zusammen, wird die Donau zum alles mitreißenden Fluss. Prallen die fetten Wolken an die Nordflanke des Riesengebirges, erwischt es die Anrainer an der Oder. Die Forscher aus Österreich und Deutschland untersuchen, ob die Regenmacher uns künftig häufiger heimsuchen. Und ob es in den vergangenen Jahren schon Auffälligkeiten gab.

2. Gruppe: Atlantik-Tiefs

Sie bringen Starkregen vor allem für den Westen Deutschlands. Betroffen sind vor allem Rhein und Donau.

3. Gruppe: Höhentiefs

Es handelt sich um sogenannte Cut Off Lows. Das sind Kaltluftglocken, die sich über Mitteleuropa festsetzen. Strömen feuchtwarme Luftmassen etwa aus dem Schwarzen Meer heran, kann es zu Dauerregen kommen. Wie 2005 in Österreich oder im vorigen Monat in Serbien. Oder eben 2013 in Deutschland. Die Wassermassen aus Thüringen sammelten sich in der Saale, die aus Tschechien und Sachsen in der Elbe. Beide Flutwellen trafen bekanntlich bei Magdeburg zusammen und trieben die Wasserstände auf bislang für schier unmöglich gehaltene Rekordmarken.

Die Forscher um Hofstätter haben für die letzten fünf Jahrzehnte mehr als 140 der potenziell gefährlichen Vb-Tiefs gezählt und untersucht. Einen Trend nach oben oder ein bestimmtes Muster ist nicht zu erkennen - obgleich es in den 1990er Jahren und vor allem ab 2000 schon spürbar wärmer geworden ist und die Jahresmitteltemperaturen stiegen. "Wir sehen keine signifikante Häufung", sagt Hofstätter.

Die Experten des Deutschen Wetterdienstes verweisen auf Berechnungen, wonach die globale Temperaturerhöhung von 0,9 Grad gegenüber 1901 noch zu gering ist, als dass man den Klimawandeleffekt auf das Niederschlagsgeschehen statistisch signifikant nachweisen kann. Dazu wären etwa 1,5 Grad nötig.

Klimamodelle können Wechselwirkungen nicht erfassen

Lässt sich die Unwetterwahrscheinlichkeit überhaupt vorausberechnen? "Die Antwortsuche ist komplexer und schwieriger als zunächst gedacht", räumt Hofstätter ein. Erst wenn viele Faktoren zusammenkommen, braut sich Unheil zusammen. Zu den Faktoren gehören die Zugbahn des Tiefs, die Stärke des Wettersystems, die Höhe der Luftfeuchte - und nicht zuletzt die Bodenfeuchte. Im Frühjahr 2013 etwa prasselte der Regen auf einen schon extrem gesättigten Boden. Das Bundesamt für Gewässerkunde vermerkt in seinem Flutbericht für 2013: "Ende Mai wiesen rund 40 Prozent der Fläche Deutschlands so hohe Bodenfeuchtwerte auf, wie sie seit Beginn der Messungen 1962 nicht beobachtet wurden."

"Die derzeit vorhandenen Klimamodelle können all diese Wechselwirkungen noch nicht erfassen", sagt Hofstätter. Derzeit wird analysiert, wie die Modelle verfeinert werden müssen, um präzisere Aussagen über Unwetter-Häufungen zu treffen.

So viel ist klar: Steigen die Temperaturen weiter an, verdunsten im Mittelmeer und im Schwarzen Meer größere Wassermengen. Da wärmere Luft mehr Feuchtigkeit transportiert, werden mehr Wetterfronten mit erheblichem Regenpotenzial in Europa unterwegs sein. Wohin diese Luftmassen aber vor allem strömen, ist eine offene Frage. DWD-Meteorologe Ulf Riediger: "Ob die künftig auch vermehrt zu uns kommen - das wissen wir noch nicht."