Terminvergabe im Minutentakt

Genthin l "Ich bin wirklich viel gewöhnt, aber solche Warteschlange habe ich selbst zu DDR-Zeiten nicht erlebt. Selbst auf dem Parkplatz am Ärztehaus war alles dicht. Es ging nichts mehr", berichtete eine 80-jährige Genthinerin, die sich am Montag ausdauernd im Ärztehaus nach einem Termin anstellte. Die Stimmung im Heer der Wartenden war in der Tat aufgebracht.

Das bekam auch die Redaktion zu spüren. "Unternehmen Sie doch etwas", forderte ein verärgerter Leser die Redaktion barsch auf. Etliche Anrufer vervollkommneten das Stimmungsbild.

Auch in sozialen Netzwerken im Internet war die Warteschlange im Genthiner Ärztehaus ein heftig und kontrovers diskutiertes Thema. Dabei versuchte das noch junge Team um Augenarzt Dr. Christian Seeger (37) dem Ansturm so gut es ging, gerecht zu werden.

Es vergab bis zum gestrigen Donnerstag im Minutentakt knapp 1000 Termine, wobei der Hauptruck am Montag eintrat. "Es wurde jeden Tag besser", blickt Dr. Seeger auf eine aufregende Woche zurück.

Die Warteschlange erstreckte sich am Montag über das ganze Obergeschoss bis zur Treppe, angestanden wurde sogar in Viererreihen. Schon drei Stunden vor dem offiziellen Beginn der Terminvergabe, also um 6 Uhr, fanden sich die ersten Patienten ein.

"Es sind noch Termine zu haben. Wünsche können berücksichtigt werden." - Dr. Christian Seeger

Bei der Frage, ob er mit solchem Ansturm gerechnet habe, holt Dr. Christian Seeger tief Luft: "Eigentlich ja, wenn ich ehrlich bin", antwortet er nach einem kurzen Zögern. Trotz der Aufregung der vergangenen Tage ist der Mediziner zuversichtlich, dass sich die Situation bei der Terminvergabe nach und nach entschärfen wird. "Es sind noch genügend Termine zu haben. Wir können Wünsche nach bestimmten Tagen und Zeiten berücksichtigen", versichert er.

"Die Szenen, die sich abgespielt haben, sind leider kein spezielles Genthiner Problem." - Bürgermeister Thomas Barz

Logistisch hatten sich die Schwestern und der Arzt auf den Ansturm bei der Terminvergabe eingestellt, indem in zwei Zimmern zeitgleich Termine vergeben wurden. Mit der Aufnahme der Sprechstunde am Dienstag, 1. Juli, werden dann auch unter der Telefonnummer (03 933) 94 88 515 Termine vergeben.

"Die Szenen, die sich in den vergangenen Tagen im Ärztehaus abgespielt haben, sind leider kein spezielles Genthiner Problem", sagte Bürgermeister Thomas Barz, der die Ereignisse im Ärztehaus, wie er sagte, aus der Ferne aufmerksam verfolgt habe. Er wünsche sich, dass jene Leute, die maßgeblich entscheiden, wo die Ärzte zum Einsatz kommen, diese Bilder einmal sehen würden. Daran könne man sehen, wie groß das Problem der Ärzteversorgung sei. Die Politik müsse gerade jungen Ärzten Anreize bieten, sodass sie sich für eine Tätigkeit in ländlichen Regionen entscheiden, forderte der Bürgermeister.

Dass ein junger Mediziner wie Dr. Christian Seeger nach Genthin kommt, gilt unter diesen Umständen als Glücksfall, zumal der Träger des Ärztehauses, die AWO, über Jahre hinweg erfolglos auf der Suche nach einem Augenarzt für die Kanalstadt war. Er habe gute Angebote erhalten, doch mit Genthin ziehe es ihn als Roßdorfer in die Heimat zurück, hatte Dr. Seeger in einem länger zurückliegenden Gespräch mit dem Rundblick gesagt.

Erst mit einer Sondergenehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KV) kann nun eine zweite Augenarztpraxis in Genthin ihre Tätigkeit aufnehmen.