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Staßfurter gewinnt "Jugend debattiert" Bundessieger: Nicht nur wortreich

Eine Meinung hat wohl jeder. Aber sie wirkungsvoll und mitreißend zu vertreten, ist eine Kunst. Benjamin Hilprecht, Schüler aus Staßfurt, ist in dieser Hinsicht ein Künstler. Apropos: Gitarrist ist er auch - in einer Band.

Von Oliver Schlicht 05.07.2014, 03:31

Staßfurt l Flüchtig betrachtet könnte man Benjamin, 17 Jahre, für ein sehr braves Jüngelchen halten. Schmal, das blonde Haar sauber frisiert und stets den Hauch eines Lächelns auf den Lippen. Doch seine Gesprächsführung ist alles andere als brav. Er widerspricht, argumentiert, wägt ab, stimmt zögerlich zu - und hat eine eigene Meinung, die er zu allem Überfluss auch noch mit sachlichen Informationen begründen kann. Nein, das erlebt man nicht oft bei einem "braven Jüngelchen" mit erst 17 Lenzen.

Doch zunächst sitzt er im Lehrerzimmer des Staßfurter Dr.-Frank-Gymnasiums und wartet auf den Journalisten. Radio Brocken war auch schon da. Nun die Volksstimme. Er erträgt den Rummel um ihn mehr, als dass er ihn genießt. Zunächst ein paar persönliche Fragen.

Aus Staßfurt kommt er. Die Eltern sind Lehrerin und Ingenieur. Bei der Mutter, Grundschullehrerin, hatte er in der vierten Klasse mal Vertretung. "Das war keine sehr schöne Erfahrung." Als Mutter ist ihm die Mutter lieber. Sein 13-jähriger Bruder Florian besucht ebenfalls das Frank-Gymnasium. Streiten und debattieren sie oft miteinander? "Nein. Wir verstehen uns gut. Und für die Schule braucht er meine Hilfe nicht. Der kommt sehr gut allein klar."

"Ich spiele Gitarre in einer Band und manchmal auch Badminton." - Benjamin Hilprecht, Schüler

Und was macht Benjamin so hobbymäßig? "Ich spiele in einer Band." Name? "Roundback" heißt die Truppe. Fünf Schüler, eine Sängerin. Was für Musik? "Akkustik-Pop. So Sachen wie James Blunt. Ich spiele Gitarre", erzählt er. "Roundback" tritt im Café auf, bei Geburtstagen von Freunden und in der Schule. Und Sport? "Ein bisschen Badminton im Verein. Aber da gehe ich nur selten hin." Freundin? "Hab ich." Wie heißt sie denn? "Muss das da rein?" Nöh.

Wenn es um ihn persönlich geht, ist Benjamin keine Plaudertasche. Er beantwortet alle Fragen nur kurz und knapp. Beim Thema "Jugend debattiert" sieht das schon anders aus. Sehr genau erzählt der Staßfurter Schüler vom vergangenen Wochenende.

Das Bundesfinale. Seine Eltern und die Freundin waren auch mit nach Berlin gekommen. 32 Gleichaltrige - je zwei aus allen 16 Bundesländern - treten gegeneinander an. Unter die acht Teilnehmer des Bundesfinales der beiden Altersgruppen schaffte es aus Sachsen-Anhalt aber nur Benjamin. Immer vier Debattierer standen gemeinsam auf der Bühne im RBB-Funkhaus Berlin. 900 Zuschauer. Ganz vorn der Bundespräsident. "Die Pulte auf der Bühne haben geleuchtet, wenn man dran war. Und geblinkt haben sie, wenn die zwei Minuten Redezeit vorbei waren. Das war cool", schwärmt er.

Bei "Jugend debattiert" geht das so: Das Thema wird vorgegeben. In Benjamins Fall die Frage: "Soll in Berlin ein zentrales Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland errichtet werden?" Zunächst die Eröffnungsrunde: Jeder Teilnehmer beantwortet zwei Minuten lang die Streitfrage aus seiner Sicht.

Ein "Jein" gibt es nicht. Schwarz oder weiß. Die Pro- oder Contrahaltung wird dem Teilnehmer zugewiesen. "Es geht nicht um eine Einigung wie vielleicht in einer Diskussion. Man ist Anwalt für ein Thema und muss sich die entsprechenden Argumente zueigen machen", erklärt Benjamin. In der zweiten Runde über zwölf Minuten gibt es eine freie Aussprache, in der die vier Teilnehmer auf der Bühne ihre Argumente miteinander abgleichen. Zum Schluss hat jeder Teilnehmer noch einmal eine Minute Zeit, die Streitfrage ein zweites Mal zu beantworten: diesmal im Lichte all der Argumente, die er gehört hat.

In der Denkmal-Frage musste Benjamin die Contra-Position vertreten. "Es gibt Argumente, die gegen ein Denkmal sprechen. Allen voran: Wer sind diese Opfer genau? Das lässt sich schwer eingrenzen." Die Mauertoten fallen jedem ein, aber "ist nicht auch das Kind ohne Abitur-Zulassung ein Opfer?" Er selbst hätte eher nichts gegen ein solches Denkmal einzuwenden. "Vorausgesetzt, dass es nicht in Konkurrenz zu dem Holocaust-Denkmal in Berlin tritt. Da sollte sich im Denkmal die Verhältnismäßigkeit der unterschiedlichen Ereignisse widerspiegeln."

In vorangegangenen Wettbewerben auf regionaler Ebene und im Landesausscheid hat sich der Staßfurter Schüler mit nicht ganz so bedeutungsschweren Themen beschäftigen müssen. Sollte Marihuana legalisiert werden? In der Debatte musste er dafür streiten, privat lehnt er eine solche Legalisierung ab. "Es gibt Bereiche der medizinischen Verwendung, wo ich mir eine offenere Handhabung vorstellen kann. Grundsätzlich ist die Gefahr, die von Marihuana als Einstiegsdroge ausgeht, aber zu gefährlich." Andere Themen waren die mögliche Herabsetzung der Fünf-Prozent-Hürde im Magdeburger Landtag auf drei Prozent und die Forderung nach mehr digitalen Lehrmitteln an Bildungseinrichtungen.

"Wir mussten ihn überreden, beim Wettbewerb mitzumachen." - Ute Börstler, Lehrerin

Das alles hat der junge Mann mit Erfolg gemeistert. Dabei hat es ihn keineswegs sonderlich gereizt, bei "Jugend debattiert" mitzumachen. "Wir mussten ihn überreden", erzählt Deutsch-Lehrerin Ute Börstler. Sie koordiniert in der Region Salzlandkreis den Wettbewerb. Als Mentor unterstützte Ethik-Lehrer Michael Reuter den Staßfurter Schüler. Deutsch-Lehrerin Ute Börstler war gerade die Teilnahme von Benjamin besonders wichtig. "Sich wortreich in eine Diskussion einzubringen, können viele Schüler. Nur, wenn Benjamin etwas sagt, ist das in der Regel wohl überlegt. Er hat inhaltlich wirklich etwas beizutragen", schwärmt sie. Und dann juchzt sie ein bisschen und ballt ein Fäustchen: "Wir sind Bundessieger!"

Da kann auch der stets korrekt blickende Direktor Steffen Schmidt am Tisch ein sanftes Lächeln nur schwer unterdrücken. "Seine" Schule hat gewonnen. "Man hat mich noch am Abend informiert aus Berlin. Das macht uns schon alle sehr stolz", sagt er.

Will denn Benjamin als "Debatten-König" nun Politiker werden? Der junge Mann schüttelt schweigend mit dem Kopf. "Das will ich doch nicht hoffen", platzt es aus Direktor Schmidt heraus - und merkt sogleich, dass dies etwas missverständlich zu verstehen ist. "Ich meine, er sollte zunächst etwas Richtiges studieren", fügt er schnell hinzu - und macht es nur noch schlimmer. Benjamin rettet ihn. "Wirtschaftsinformatik", sagt er, sei sein Wunschfach nach dem Abitur. Das freut die beiden Lehrer außerordentlich.

Fragt man Benjamin, was er für sein persönliches Leben aus der Beschäftigung mit der Kultur des Streites mitgenommen hat, ist er auch in dieser Frage nicht um eine Antwort verlegen. "Ein Spruch, den ich gelernt habe, trifft es am besten: Du sollst reden, als würdest Du Recht haben. Aber Du sollst zuhören, als sei der andere im Recht."