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Falsche Kostenbescheide Schockierte Väter im Kita-Beitragschaos

1882 plus 161 macht 2043; 444 plus 629 macht 1073 - die Euro-Summen
unter den Kostenbescheiden, die bei zwei Magdeburger Familien just aus
der Stadtkasse eingingen, treiben den Empfängern den Schweiß auf die
Stirn. Sie sollen nachzahlen, möglichst sofort, für die Betreuung ihrer
Kinder ab August 2013.

Von Katja Tessnow 21.08.2014, 03:14

Magdeburg l Tom Bruchholz ist empört: "Wann kriegen die das denn endlich in den Griff?" Der Magdeburger ist Vater von drei Kindern: Elisa (10) und Miriam (8) besuchen die Schule, Linnea (2) geht in die Kinderkrippe. Für die Betreuung der drei jungen Magdeburger von August 2013 bis Ende Juli 2014 sollen die Eltern 1073 Euro nachzahlen. Bei Familie Martinez kommt es noch dicker. Für Tamaya (7) sowie die Zwillinge Inti und Wayra (beide 3) fallen 2043 Euro Nachzahlung an. Zahlbar sofort. Bei den beiden Familien, die sich hilfesuchend an die Redaktion wandten, handelt es sich nicht um Einzelfälle. Bei der erstmaligen Erfassung der Daten aus rund 15000 Betreuungsverträgen für Magdeburger Krippen-, Kindergarten- und Hortkinder in der Elternbeitragsstelle des Jugendamtes bzw. bei deren Weiterleitung an die Stadtkasse zwecks Einzug der Elternbeiträge passierten ab August 2013 - zuvor hatten die Kita-Träger selbst die Beiträge kassiert - offenbar reihenweise Fehler.

Die Familien Bruchholz und Martinez sind in besonderer Weise betroffen - zunächst für sie profitabel, jetzt zu ihrem blanken Entsetzen. Bei jeder der Familien gingen anno 2013 drei Beitragsbescheide (einer pro Kind) ein, unter denen sämtlich "0 Euro" stand; heißt: Beitragsfreiheit. Kostenlos besuchten die Kinder Kita und Schule dennoch nicht; es fielen Beiträge für Essen und Trinken, andere Dienstleistungen, Vereinsmitgliedschaften und Schulgeld für die von den Familien ausgewählten Einrichtungen in freier Trägerschaft an. Dass gar kein Kita-Beitrag mehr vom Konto ging, nahmen die Magdeburger zunächst gar nicht recht wahr - zu ihrem Schaden, wie sich erweist. Das dicke Ende steht ins Haus und ist bei Familie Bruchholz schon abgebucht. "Gott sei Dank hatte meine Frau einen Dispokredit."

Carlos Martinez, dessen Honorarvertrag als Musiktherapeut gerade ausgelaufen ist, weiß gar nicht, wie seine Familie (Mutter arbeitet halbtags) ad hoc rund 2000 Euro aufbringen soll. "Ich habe erst mal einen Antrag auf Stundung gestellt, vielleicht nehmen wir auch einen Kredit auf." Fakt ist in jedem dieser beiden Fälle: es fallen Zinsen an; die Stadtkasse verlangt sechs Prozent (Jahressatz). Überdies gewährt sie eine Stundung nur, wenn der Antragsteller "die Hosen runter gelassen" und seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse komplett offengelegt hat. Stundung gibt´s nur, wo wirklich nicht genug Geld übrig ist.

Elternbeitragsstelle scheint restlos überfordert

Wie kann es sein, dass die Stadt in Serie falsche Bescheide erstellt und den Fehler erst mit Jahresverzug bemerkt? Dem Sozialbeigeordneten Hans-Werner Brüning fällt ein ganzes Ursachenbündel ein: "... fehlerhafte Eingabe beim Träger entweder wegen unkorrekter Angaben der Eltern oder durch fehlerhaftes Eintragen durch die Mitarbeiterin der Einrichtung; zeitliche Verzögerung der Eingaben (...), zeitliche Verzögerung der Bearbeitung der Änderungsmitteilung bei der Elternbeitragsstelle ..." Wie viele Eltern von Nachzahlungen betroffen sind, vermag Brüning nicht zu sagen, nur dass es sich allein bei Ein-Kind-Familien um Nachzahlungen in Höhe von 37 bis 1650 Euro handeln könne.

Oberbürgermeister Lutz Trümper räumt auf Nachfrage Probleme bei der Bewältigung der Beitragsabrechnung ein. "Das haben wir unterschätzt." Aktuell seien vier, fünf Mitarbeiter zusätzlich in der Elternbeitragsstelle damit befasst, Änderungen an den Betreuungsverträgen (im Durchschnitt 1800 pro Monat) per Hand in die Software der Stadtkasse einzuspeisen. Das ist u. a. nötig, wenn Kinder von der Krippe in den Kindergarten oder von dort in den Schulhort wechseln bzw. Geschwister geboren und damit für alle Kinder einer Familie Ermäßigungen gewährt werden. Ab 2015 soll eine neue Software die Änderungen automatisch vom Kita-Träger an die Stadtkasse leiten. Das soll die Fehlerquote mindern. Trümper: "Auf Dauer können wir das sonst nicht bewältigen."

Insgesamt treibt die Stadt pro Monat von etwa 7500 Familien für 15000 Kinder knapp eine Million Euro Beiträge ein. Säumige Eltern - auch solche, die nicht fristgerecht nachzahlen - müssen mit dem Rauswurf ihrer Kinder aus der Kita rechnen.