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Sachsen-Anhalts größtes Volksfest Pferdemarkt: Ritt von der Ostsee bis an die Havel

Er ist legendär und hat bis heute kaum an Exotik eingebüßt - der Havelberger Pferdemarkt. Noch bis morgen geht das Spektakel. Campen auf der Wiese und Trödel, so weit das Auge reicht. Pferde werden auch verkauft - knapp 500 in diesem Jahr.

Von Oliver Schlicht 06.09.2014, 03:18

Havelberg l Pferdemarkt, 10 Uhr am Vormittag. Mit Schlapphut im Campingstuhl sitzt Opa Fritz direkt neben dem Pferdehänger. Unterm Stuhl Schäferhund-Mischling Lucie. Fritz Papke aus dem Wendland ist schon über 80, Lucie über zwölf. Er habe"50 Jahre am Pferdeschwanz gehangen", erzählt der Rentner. Sein Schlafplatz ist eine harte Holzpritsche im umgebauten Pferdehänger. "Seit der Grenzöffnung komme ich jedes Jahr." Hier auf dem Pferdemarkt verkauft er altes Zaumzeug. Oder sitzt er nur da und freut sich, dabei zu sein?

Zuweilen scheint es, als würden die ausgelegten "Waren" nur zur Tarnung feilgeboten, um möglichst nah am Pferdegeschehen dabei zu sein. Lederzeug, Sattel, zerbeulte Reithelme, aber auch Kaninchen, Wellensittiche und Hunde-Welpen sind im Angebot. Und es gibt auch Esel, Kamele und natürlich auch Pferde in allen Größen und farblichen Abstufungen. Ein kombinierter Camping-Tier-Verkaufs- und Partyplatz.

Jeder hat ein paar sauber abgesteckte Meter Wiese gebucht. Neben dem alten Fritz hockt eine Rostocker Großfamilie im Kreis. Babys auf dem Schoß. Ein paar Meter weiter hat Sven Volkmann, Kutscher aus Penzlin-Süd in Brandenburg, eine Erich-Honecker-Gedenkstätte eingerichtet, weil "Erich uns 40 Jahre vor allen Wessis bewahrt hat", steht dran. Darunter einen Spendenteller mit Kleingeld. "Ist nur ein Gaudi", sagt der Kutscher und kratzt sich am Kopf. Vermutlich ist der "Erich"-Schrein im Rausch der vergangenen Nacht irgendwie dahingekommen.

Sven selbst kam mit drei Kumpels, zwei Ponys und einem Kremser aus dem Brandenburgischen herüber. "Zwei Tage waren wir unterwegs. Immer Wald- und Feldwege entlang", erzählt er. Und auch die Mecklenburger nebenan berichten stolz, sie seien von der Ostsee nach Havelberg geritten. Auch zwei Tage. "Das hat Tradition", erzählt Sigrid Wiedenhöft, offizielle Platzbevollmächtigte der Stadt auf dem insgesamt 3,2 Hektar großen Pferdehandel. "Wer mit dem Kremser oder auf dem Pferd anreist, braucht keine Standgebühren bezahlen."

Manche kommen mit dem leeren Anhänger

Die sind mit knapp 100 Euro pro Woche für Pferdehändler ohnehin recht niedrig. Aber die Stadt will so das traditionelle Handelstreiben unterstützen. "Manche fahren mit dem leeren Pferdeanhänger auf den Platz, um hier stehen zu dürfen. Das ist weniger gut", kritisiert Händlerin Bärbel Nickel. Mit 35 Pferden ist ihre Familie vor Ort. 15 Tiere haben bis gestern Mittag den Besitzer gewechselt. "Havelberg ist der größte Markt in Deutschland. Bessere Geschäfte macht man aber auf kleineren Märkten, wo der Pferdehandel noch mehr im Mittelpunkt steht", sagt sie. In Havelberg werden in diesem Jahr knapp 500 Pferde angeboten. "In Holland und in Polen gibt es Märkte mit bis zu 1500 Pferden", so die Händlerin.

Sigrid Wiedenhöft, im echten Leben Gleichstellungsbeauftragte und Sozial-Mitarbeiterin der Stadt, verwandelt sich in der Marktwoche zur Havelberger "Pferdelady" - coole, hohe Lederstiefel, schulterfreie Bluse und Cowboyhut. Seit 24 Jahren ist sie schon die "Lady". Beim Rundgang übern Platz muss sie sich ständig entschuldigen, warum sie gestern im Festzelt beim Schwoof mit dem und nicht mit dem, später aber mit dem getanzt habe. Lady Sigrids Beliebtheit hat nicht nur mit ihrem attraktiven Aussehen zu tun, sondern auch damit, dass sie der Herr - pardon, die Frau - über alle Stellplätze ist. "Wir fangen schon im Januar an mit Reservierungen", erzählt sie. Der Pferdemarkt sei für viele Familien bereits seit mehreren Generationen ein Pflichtprogramm in der ersten Septemberwoche. "Die verbringen zum Teil ihren Jahresurlaub hier."

Zwar hat die Stadt die Markttage auf vier Tage begrenzt, um das ausufernde Treiben der vergangenen Jahre etwas einzudämmen. "Aber schon Tage vor dem offiziellen Marktstart bevölkern sich die bereitgestellten Parkplatzwiesen", erzählt Marktmeister Diet Härtwig. Der Sachgebietsleiter im Ordnungsamt sitzt im Büro vom Hundesportverein. Hinter ihm im Schrank steht ein großes Spielzeugpferd mit Hut. Vor ihm klingelt ohne Unterlass das Telefon. Fast alle der 22 Stadtbediensteten sind dienstlich in das Pferdemarkt-Geschehen eingebunden. Hinzu kommen hunderte Helfer, Sicherheitsleute und Polizisten.

Wirklich beeindruckend ist, wie friedlich das feucht-fröhliche Marktgeschehen in Havelberg abläuft. Hauptkommissar Detlef Hoffmann in der Polizeiwache ist zufrieden: "Ein paar kleinere Prügeleien ohne schwere Verletzungen. Das war es bisher. Ansonsten ist alles friedlich."