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Wasservogel Kormorane: "Die fischen in Schützenketten"

Mit Raketen, Flatterbändern und Schrot sind die Fischer dem Räuber Kormoran schon zu Leibe gerückt. Ab 2015 ist nun der Abschuss der Wasservögel in Sachsen-Anhalt erlaubt. Sinnvoll? Das ist eine Glaubensfrage.

Von Oliver Schlicht 18.09.2014, 03:17

Magdeburg l Munter schlagen die Forellen mit der Schwanzflosse und schlagen Haken fast zum Greifen nah an der Wasseroberfläche. Ihre schuppige Haut schimmert goldgrün in der Herbstsonne. Die Teiche vom Fischereibetrieb Marx in Wüstenjerichow (Jerichower Land) liegen gut verborgen, von Wald umgeben. "Hierher traut sich der Kormoran nicht", ist sich Uwe Marx sicher. Wirklich? Der Fischer hat Drahtsperren um die Teiche gespannt, um das Einfliegen der Wasservögel zur Wasseroberfläche zu verhindern.

Wir fahren mit dem Geländewagen zum Karpfenzuchtteich etwas außerhalb. Ein guter Schotterweg führt rund um den Teich. "Den habe ich extra für Spaziergänger und Radfahrer angelegt. Denn wenn hier Menschen sind, traut sich der Kormoran nicht her", erzählt Marx beim Aussteigen. Der Mann mag auf Außenstehende etwas paranoid wirken, aber das hat seinen Grund.

40.000 Euro Schaden erstattet bekommen
40.000 Euro Schaden hat der Fischer schon erstattet bekommen, weil ihm nachweislich die Kormorane den Karpfennachwuchs aus dem sieben Hektar großen Aufzuchtteich geholt haben. Mit Behördenunterstützung hat er schon spezielle Raketen gezündet, es mit Flatterbändern und sogar Warnschreien versucht. Vergeblich.

"Erst kommen zwei, drei Vögel und peilen die Lage. Und wenn alles ruhig ist, kommen die anderen", erzählt er. 15 bis 20 Vögel. Blitzschnell tauchen die Kormorane ein und schnappen sich vom Grund die nur 50 bis 70 Gramm leichten Karpfen. Ein idealer Kormoran-Happen. Da nimmt man auch gern etwas mehr. "Nach der Jagd sitzen sie am Ufer und trocknen sich. Wenn sie dann aufgeschreckt werden, kotzen sie die Fische schnell wieder aus, weil sie sonst zu schwer zum Fliegen wären", erzählt der Fischer. Marx hat die Fische pro Kotzhaufen gezählt: Bis zu zehn Fische.

Ab Januar 2015 erlaubt eine Verordnung ähnlich wie schon in den Nachbarländern Brandenburg und Sachsen den Abschuss von Kormoranen. Die Verordnung soll dem Schutz von Fischarten und Fischbeständen dienen und fischereiwirtschaftliche Schäden verhindern helfen. Eine seit 2006 in Sachsen-Anhalt geltende Ausnahmeregelung hat sich angesichts der Größe des Problems als zu bürokratisch erwiesen. Die Abschussgenehmigung gilt im Umkreis von 300 Metern von Gewässern. Naturschutzgebiete und Brutplätze sind ausgenommen.

Naturschützern ist die Neuregelung ein Dorn im Auge. Vor allem der Vorwurf des Gesetzgebers, Kormorane würden zur Dezimierung gefährdeter Fischarten wie Äsche und Barbe beitragen, halten sie für falsch. Zumindest hat eine Untersuchung von Mägen geschossener Kormorane in der Vogelschutzwarte Steckby keine diesbezüglichen Ergebnisse geliefert, wie Ornithologe Stefan Fischer bestätigt. Und noch etwas kann er zur Verteidigung des Wasservogels beitragen. "Das starke Anwachsen der Kormoran-Bestände in den vergangenen 30 Jahren ist schon seit etwa drei bis vier Jahren zurückgegangen." Hierzulande habe sich der Bestand auf etwa 1100 Brutpaare eingepegelt.

17 Kolonien gibt es. Darunter nur drei mit mehr als 100 Brutpaaren. Die knapp 200 Hobby-Vogelkundler, die regelmäßig auch die Kormorane in 160 Zählgebieten Sachsen-Anhalts erfassen, hatten zuletzt über die Herbst- und Wintermonate 3600 Kormorane gezählt. Fischer: "Diese Zahl kann saisonal durch Zugvögel aus Nordosteuropa auf bis zu 6000 Tiere ansteigen. Mehr sind es aber nicht."

Aus Sicht des Naturschutzbundes (Nabu) richtet der Schusswaffeneinsatz mehr Schaden als Nutzen an. "Vertriebene Vögel lassen sich an anderer Stelle nieder, und durch die Bejagung werden keine Brut- und Rastplätze dezimiert", heißt es in einer Stellungnahme. Im Gegenteil: Die Bejagung mit Bleischrot trage nur noch mehr zur Umweltvergiftung bei.

Hinzu kommt: Der Bestand reduziere sich zunehmend von allein. Auch das bestätigt die Vogelschutzwarte in Steckby. "Waschbären haben mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kolonie mit 300 Brutpaaren bei Groß Rosenburg vertrieben. Vor drei Jahren wurde die Kolonie aufgegeben", berichtet Stefan Fischer. Auch auf einer Insel im Kiessee von Zerben unweit von Parey nisteten jahrelang knapp 100 Kormoran-Brutpaare - bis 2013.

Von einem Tag auf den anderen weg
Berufsfischer Reinhard Riedel fischt mit Reusen und Netzen in dem See und in der benachbarten Elbe. Zu seiner Verwunderung "waren im vergangenen Jahr die etwa 200 Kormorane von einem Tag auf den anderen weg". Auch hier könnten Waschbären die Ursache gewesen sein. Riedel ist nun aber alles andere als traurig über den Umzug der Wasservögel. Auch er konnte regelmäßig in den Morgenstunden die Vorhut beobachten, der dann wenig später die "Großfamilie" folgte. "Die fliegen in Reihen ein und fischen regelrecht in Schützenketten durch", erzählt Riedel.

Die Kormorane erbeuten zwar vor allem kleinere Fische. "Aber die bilden die Nahrungsgrundlage zum Beispiel für den Zander." Auch der Bestand an Aalen sei im Zerbener See im Laufe der Jahre deutlich zurückgegangen. Wird die neue Verordnung die Situation für seinen Fischereibetrieb verbessern helfen? "Vergrämungen bringen schon etwas. Die Kormorane sind eher scheu und meiden Gewässer, an denen viel Betrieb ist", so der Fischer. Für die Vertreibung von großen Kormoran-Schwärmen von bestimmten Gewässern sei die Jagderlaubnis deshalb eine gute Idee - wenn denn auch ein Jäger kommt.

Riedel befürchtet, dass die Fischer und Angler bei den Jägern nicht hoch im Kurs stehen. "Bei denen klingeln die Bauern wegen der Wildschweine und die Waldbesitzer wegen der Rehe. Warum sollten sie sich an den See setzen, wo doch die Kormorane für den Jäger wenig attraktiv sind?", fragt er. Kormorane kann man nicht essen, die Beute ist schwer zu bergen und bei Naturliebhabern machen sich die Jäger unbeliebt.

Da trifft es sich gut, dass in der Fischereizucht von Uwe Marx der Fischer auch ein Jäger ist. Marx greift selbst zur Schrotflinte. "Das hat langfristig bislang am meisten geholfen", erzählt er. Mit einer Ausnahmegenehmigung darf er schon länger Kormorane schießen. Abschüsse seien aber überwiegend nicht nötig. "90 Prozent sind Vergrämungsschüsse, die die Vögel nur vertreiben. Wenn nur ab und zu mal einer liegen bleibt, reicht das. Dann hat man 14 Tage Ruhe", erzählt er.

Ein Idyll am Rande der Umflut gelegen
Stichwort Ruhe. Die findet Angler Manfred Schneider am Zipkeleber See im Magdeburger Osten. Das Gewässer ist mehr ein Tümpel als ein See, nur 5,7 Hektar groß, aber herrlich idyllisch am Rande der Umflut unweit von Pechau gelegen. Manchmal sitzt Rentner Schneider mit seiner Rute dort schon früh um sechs Uhr am Ufer. "Wenn die Sonne aufgeht und die Wasserratte mit ihren Jungen über den See schwimmt. Und Wildgänse, Schwäne und Graureiher auf Nahrungssuche gehen - dann ist das für mich ein ganz besonderer Augenblick", erzählt er.

Auch der Kormoran gehört zu dieser "Familie am See". Schneider hat ihre Jagd fasziniert beobachtet. Ein Schwarm von 10 bis 15 Vögeln kommt früh vom Kreuzhorst-Wald herüber. "Weißfisch fressen sie, aber auch Aale. Sie legen den Kopf nach hinten und schlucken den Aal in einem Stück hinunter." Aal, den Manfred Schneider und die anderen Angler gern selbst herausgezogen hätten.

Schneider: "Es geht doch nicht darum, den Kormoran auszurotten. Es ist ein schöner Wasservogel. Aber wenn man sieht, wie sie in großen Schwärmen einfallen, ist das kein schöner Anblick." Die Kormorane plündern den Fisch, sagt er. Ganz abgesehen von den toten Bäumen am Ufer. Der ätzende Kot der Kormorane hat die Bäume absterben lassen. "Die Natur muss im Gleichgewicht bleiben. Wenn das gefährdet ist, muss der Mensch eingreifen", findet Schneider - und spricht damit vielen Anglern aus dem Herzen.