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Moderne Templer Der Traum vom Ritterleben

Die Kleinstadt Wettin ist für drei Tage die Zentrale des Tempelritterordens. Manche glauben, die Truppe sei im 14. Jahrhundert untergegangen. Die Herren im weißen Mantel wissen es besser.

Von Hagen Eichler 04.10.2014, 03:17

Wettin l Zwei Stunden dauert es, bis aus einem einfachen Christen ein Tempelritter wird. Die letzten Gesänge des Chores sind verklungen, der Ritterschlag ist vollzogen, der Halsorden mit dem roten Kreuz schimmert auf dem Hemdkragen. Die sechs frisch aufgenommenen Ritter erheben sich von den Knien und formieren sich zum Auszug. Jeweils zwei nebeneinander schreiten durch die Stuhlreihen der Kirche, Richtung Ausgang. "Hallo, hallo!", ruft sie der General-Großprior im rheinischen Singsang zurück, "wir machen noch ein Fotto hier!"

Die Ritter kehren um und bauen sich vor dem Altar für die klickenden Smartphones auf. Schon bald werden die "Fottos" aus der Wettiner Nikolaikirche bei Facebook hochgeladen und an Verwandte verschickt. Willkommen bei den Rittern von heute. Willkommen beim Templerorden, der geheimnisumwitterten Elitetruppe des Papstes, entstanden zum Schutz der christlichen Pilger im Heiligen Land.

Wer glaubt, die Tempelritter seien im 14. Jahrhundert aufgelöst worden, wird hier eines Besseren belehrt. An diesem Tag der Deutschen Einheit sind sie in Wettin aufgetaucht, direkt aus den Nebeln des Mittelalters.

Sehr viel früher an diesem Morgen, wenige Kilometer von der Wettiner Altstadt entfernt, wehen tatsächlich graue Nebelschwaden um ein gotisches Gemäuer aus Bruchsteinen und Sandsteinquadern. Seit 750 Jahren steht hier die Templerkapelle. Die Grafen von Brehna-Wettin schenkten sie 1269 dem Orden, der seine reichsten Besitzungen in Frankreich hatte. 1307 ließ der französische König alle Templer auf einen Schlag verhaften und die Güter beschlagnahmen, 1308 zog das Erzbistum Magdeburg nach. Die Müchelner Kapelle steht bis heute, in der DDR auch mal als Schweinestall für ein Volksgut genutzt. 1990 dann kamen plötzlich Menschen nach Wettin, die sich Tempelritter nannten. Ihre Botschaft: Wir sind wieder da.

Geht das wirklich? Kann ein vom Papst aufgelöster und von weltlichen Fürsten zerschlagener Ritterorden Jahrhunderte im Untergrund überdauern? Eine Frage für Werner Rind, der sich General-Großprior für Deutschland nennt und Generalkommandeur für den ganzen Orden. Der oberste Tenpler, 70 Jahre alt, findet die Frage ungebührlich. "Natürlich, es gibt eine ununterbrochene Geschichte des Ordens, das ist bewiesen", sagt der Kölner leicht ungehalten einige Tage vor dem Wettiner Treffen am Telefon. In Schottland und Portugal sei die Aufhebung des Ordens nie vollzogen worden, erklärt er. "Und das deutsche Groß-Priorat ist eine Gründung des portugiesischen."

Sein stärkstes Argument ist allerdings ein Mönch aus dem Gründungsland des Templerordens: Gregorios III. Der 80-Jährige betritt die Wettiner Nikolaikirche im rot-golden bestickten Gewand, die Kopfbedeckung gekrönt von einem rubingeschmückten Kreuz. Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient, von Alexandrien und von Jerusalem lautet sein Titel: Gregorios ist das Oberhaupt der melkitischen Kirche mit drei Millionen Gläubigen. Über Beirut ist er eingeflogen, um in Wettin den Gottesdienst im byzantinischen Ritus zu feiern.

"Ihnen allen ein Gruß aus dem Heiligen Land, wo unser Glaube angefangen hat", sagt Gregorios auf Deutsch und wiederholt es in Französisch und Italienisch. Der polyglotte Würdenträger schildert in seiner Predigt die verzweifelte Lage der Christen in Syrien. Der Terror der Islamistentruppe IS habe 1400 Jahre des Zusammenlebens mit den Muslimen beendet, klagt der Patriarch. "Neun Millionen Menschen aus Syrien sind auf der Flucht, davon 450000 Christen. 91 Kirchen sind zerstört." Der Templerorden, sagt er, habe seit jeher die Aufgabe, den Menschen im Heiligen Land zu helfen. Die Kollekte, die am Ende eingesammelt wird, soll Flüchtlingen zugutekommen.

Der Patriarch ist "geistlicher Protektor" des Templerordens, sein Vorgänger hatte die Funktion 1990 übernommen. Weil die Melkiten mit Rom uniert sind, darf sich der Orden seither als Teil der katholischen Kirche fühlen. "Der Patriarch ist nach dem Papst der höchste kirchliche Würdenträger", betont Rind. Dass der Vatikan Templerorden ausdrücklich ablehnt, ficht ihn nicht an. "Das liegt nur daran, dass wir kein rein katholischer Orden sind", sagt Rind, "aber wir wollen unsere evangelischen und orthodoxen Mitglieder nicht rausschmeißen."

Im Gottesdienst knien die sechs angehenden Ritter. Der Zeremonienmeister reicht ein Holzkästchen mit Erde aus dem Heiligen Land, das sie berühren, dann eine winzige Karaffe mit Wasser zum Reinigen und eine Kerze zum Ausbrennen der Sünden. Sacht senkt der Ordens-Chef das Investiturschwert auf den Scheitel des Ersten, dann auf die rechte und linke Schulter. "Sei tapfer und erhebe dich", fordert der Großprior einen nach dem anderen auf und versetzt ihnen einen Klaps auf den Nacken. Die Sechs sprechen das Gelübde. Mit ganzer Kraft wollen sie sich einsetzen, den christlichen Glauben und die Kirche zu verteidigen. Sie versprechen, den bedrängte Christen im Heiligen Land beizustehen. Patriarch Gregorios legt das rote Ordenskreuz um die Hälse. Es steht für das Blut Christi. Und für das Blut, das die Ordensritter bei der Verteidigung des Heiligen Landes vergossen haben.

Nach dem Gottesdienst verstauen alte und neue Ritter ihre Mäntel in den Autos. Für Maik Böcking, angereist aus dem Westerwald, ist ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Im Alter von acht Jahren habe ihm sein Großvater ein Buch geschenkt. Ein Bild hat er bis heute vor Augen: Christliche Pilger im Heiligen Land werden überfallen, edle Ritter mit dem Kreuz sprengen zur Hilfe herbei. "Ich wusste gar nicht, dass der Orden noch existiert, aber ich habe gezielt gesucht. Jetzt bin ich auch mit dabei."

Auch aus Syrien gibt es Neues: Am Nachmittag melden die Vereinten Nationen, dass die Islamisten in der syrischen Stadt Deir Al-Zor eine Kirche zerstört haben. Der UN-Sonderberichterstatter wirft die Frage auf, ob das seit 2000 Jahren zur Region gehörende Christentum dort überhaupt noch eine Zukunft habe. In der Region, sagt der UN-Mann, habe der religiöse Terror "apokalyptische Ausmaße" angenommen.