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Volkssolidarität Sozialverband verwandelt sich schleichend zum Dienstleister

25.10.2014, 01:04

Magdeburg l Edeltraud Stockmann verkörpert noch die Werte, für die Sachsen-Anhalts größter Wohlfahrtsverband, die Volkssolidarität, seit nunmehr 69 Jahren steht: Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft, Gemeinsinn. Für ihr Engagement wurde die 64-Jährige gemeinsam mit anderen Mitgliedern am Freitag ausgezeichnet, Stockmann erhielt die Solidaritätsnadel in Silber.

Der Verband, für den sie seit ihrem zwölften Lebensjahr ehrenamtlich aktiv ist, steckt jedoch in einem tiefen Strukturwandel. Allein in den vergangenen drei Jahren hat die Volkssolidarität ein Drittel ihrer Mitglieder verloren, sie zählt derzeit rund 33.000.

Jugendliche schwer für Volkssolidarität zu begeistern

Der Grund für den Schwund liegt vor allem darin, dass jene, die sich seit Jahrzehnten engagieren, nun aufhören - und deutlich weniger junge Menschen ihre Arbeit übernehmen oder zumindest finanzielle Beiträge für den Verband leisten. Rund 500 Neueintritten pro Jahr steht ein etwa doppelt so hoher Mitgliederverlust gegenüber.

"Mir haben noch meine Eltern beigebracht, solidarisch zu sein, vor allem mein Vater hatte eine soziale Ader", erzählt Stockmann. In Jarchau im Landkreis Stendal ist sie stellvertretende Vorsitzende der Ortsgruppe. "Heute ist es deutlich schwieriger, junge Leute für unsere Aktivitäten zu begeistern", stellt sie fest. Eine Tendenz, die nicht nur ihr Sorgen bereitet.

Bei der Feierstunde am Freitag stellte Günter Heichel, Vorsitzender der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt, eine beeindruckende Rechnung auf: Allein im vergangenen Jahr hätten die rund 4000 ehrenamtlichen Mitglieder zusammen 700.000 Stunden Arbeit für das Gemeinwesen geleistet. Die Leistungen würden einem Wert von 5,4 Millionen Euro entsprechen. "Ohne die Volkssolidarität wäre das Leben in vielen Städten und Gemeinden kaum noch denkbar", so sein Fazit. Doch was geschieht, wenn der Verband weiter an Mitgliedern verliert?

Volkssolidarität muss künftig kostendeckend arbeiten

Vieles deutet darauf hin, dass sich die Volkssolidarität stärker zu einem ökonomisch denkenden Dienstleister entwickeln muss. Sie betreibt derzeit landesweit 14 Altenpflegeheime, vier Einrichtungen der Sucht- und Behindertenhilfe sowie 17 Sozialstationen.

Künftig wird es für den Verband wohl noch stärker darauf ankommen, dies kostendeckend zu leisten. Sonst wären wohl auch die rund 2000 hauptamtlichen Mitarbeiter nicht mehr zu finanzieren. Nicht zuletzt muss die Volkssolidarität damit umgehen, dass jene, die heute Mitglied werden wollen, oft aus Eigeninteresse handeln.

Wie Geschäftsführer Michael Bremer erklärt, melden sich viele Eltern, weil sie ihren Nachwuchs in einer der 59 Kindertagesstätten des Verbands unterbringen wollen. Das sichert dem Verband zwar Einnahmen und formelle Mitglieder, verändert aber sein Wesen. Funktioniert doch die Gesellschaft eigentlich nur, wenn sie Werte wie Solidarität hochhält.