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DFB-Pokal Rainer Calmund: Helmut Kohl hat uns Sammer ausgespannt

29.10.2014, 01:12

Er ist Hans Dampf in allen Gassen, gefragt als Fußball-Experte und Werbeträger, und war viele Jahre der mächtigste Mann bei Bayer Leverkusen. Mit Reiner Calmund sprach vor dem zweiten DFB-Pokal-Spiel zwischen dem 1. FC Magdeburg und Bayer 04 Volksstimme-Redakteur Marco Papritz.

Volksstimme: Herr Calmund, wo haben Sie das Spiel zwischen den 1. FC Magdeburg und Bayer 04 am 11. September 1993 in der 3. Runde des Pokals erlebt?
Reiner Calmund: Vor gut 20 Jahren habe ich mir das Pokalspiel mit 20.000 Zuschauern live im Ernst-Grube-Stadion angesehen.

Was ist Ihnen von damals in Erinnerung geblieben?
Unser langjähriger, aber leider schon verstorbener Schatzmeister Helmut Schmidt ist auf dem Bauernhof seiner Eltern vor den Toren Magdeburgs aufgewachsen. Da auch sein enger Freund Franz Böhmert, Ex-Präsident von Werder Bremen, aus der Gegend stammte, hatten wir ein schönes, aber auch leckeres Programm zu stemmen. Beim Pokalspiel herrschte abends eine Super-Stimmung, bis 20 Minuten vor Spielende stand es nur 2:1 für Bayer. Andreas Thom und unser brasilianischer Nationalspieler Paulo Sergio sorgten mit ihren Toren dann noch für ein klares 5:1.

Sie sind einst als erster Bundesliga-Manager in Ostdeutschland aktiv geworden und konnten mit der Verpflichtung von DDR-Nationalspieler Andreas Thom einen heute legendären Coup landen. Warum haben Sie nicht in Magdeburg zugeschlagen?
Unsere Top-Five waren Andreas Thom, Ulf Kirsten, Matthias Sammer und direkt danach Rico Steinmann und Thomas Doll. Wir setzten damit vorwiegend junge entwicklungsfähige DDR-Nationalspieler auf unsere Wunschliste. Natürlich fand ich auch ältere Spieler aus dem Osten interessant, vor allem hatte ich ein Faible für den Abwehrboss Frank Rhode. Mit seiner Persönlichkeit hat er ja später beim HSV noch tolle Spiele abgeliefert.

Für Bayer04 war es ein Glücksfall, dass wir Andreas Thom und Ulf Kirsten verpflichten konnten. Schade, dass uns der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bei Sammer einen Strich durch die Verpflichtung gemacht hat.

Inwiefern?
Wir hatten schon rund eine Woche nach dem Mauerfall bei Thom, Kirsten und Sammer die Tinte unter den Verträgen. Nach dem historischen Auftritt von Kanzler Kohl am Dresdener Elbufer war wie immer auch Fußball ein Thema. Im Mittelpunkt stand dabei der bevorstehende Wechsel von Kirsten und Sammer (beide Dynamo Dresden, Anm. d. Red.) nach Leverkusen. Helmut Kohl legte der Bayer-AG-Führung aus Image-Gründen nahe, als weltweit agierender Konzern nicht gleich drei Spieler auf einmal zu verpflichten. Die Entscheidung der Bayer AG, den Vertrag mit Matthias Sammer aufzulösen, schmeckte mir natürlich nicht. Aber ich konnte die Argumentation von Helmut Kohl und meinen Bayer-Bossen nachvollziehen.

Sammers sportliche Karriere zeigt, welchen Verlust diese Vertragsauflösung für uns bedeutet hat.

Wann waren Sie zuletzt in Magdeburg?
In den letzten fünf Jahren war ich viermal in Magdeburg und Umgebung. Besonders beeindruckt war ich von Quedlinburg: Ich hatte mittags einen Geschäftstermin in Magdeburg und abends einen Vortrag über Sport und Wirtschaft vor Unternehmen in der wunderschönen historischen Altstadt, die ja auch ins Unesco-Welterbe aufgenommen wurde.

Im letzten Jahr war ich noch als Gastredner beim Verband der Baubranche, Umwelt- und Maschinentechnik im verschneiten Wernigerode.

Aus der Ferne betrachtet, wie schätzen Sie den Regionalligisten aus Magdeburg ein? Welche Chance hat er abgesehen vom altbekannten Spruch, dass der Pokal seine eigenen Gesetze hat?
Bayer 04 ist klarer Favorit, aber gerade die Pokalspiele sorgen ja immer wieder für Sensationen. Magdeburg hat nichts zu verlieren, kann aber jede Menge gewinnen. Wichtig ist danach den Schritt in die Normalität - und die heißt Regionalliga - zu machen. Es ist schon sehr bitter, dass so ein erfolgreicher Verein in die 4. Liga abgerutscht ist. Für Magdeburg ist es sicher nicht einfach, aus dem Mittelfeld heraus das Spitzentrio Zwickau, Jena und dann noch die Jungs aus der deutschen Kornstadt Nordhausen zu beobachten.

Warum haben es Traditionsvereine aus dem Osten der Republik wie der FCM oder Dynamo Dresden so schwer, dauerhaft erfolgreich zu arbeiten?
Fehler werden im Fußball genau wie in der Wirtschaft bestraft. Vor allem hätte Dresden - als Bayern München des Ostens - viel mehr erreichen müssen. Die waren mit Leipzig direkt in der Bundesliga dabei, mit hohen TV- und Transfer-Einnahmen. Zu dieser Zeit haben Klubs wie Paderborn, Augsburg, Freiburg und Mainz noch nicht einmal von der Bundesliga geträumt.

Es ist aber kein Ost-Problem. Vor meiner Haustür im Südwesten spielen aktuell über zehn ehemalige Bundesligisten auch in der 4. Liga und tiefer. Uerdingen, Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Essen, Alemannia Aachen, Wattenscheid, Wuppertaler SV, Kickers Offenbach, 1. FC Saarbrücken, Waldhof Mannheim etc. lassen grüßen.

Welches Ritual haben Sie beim Zuschauen eines Fußballspiels?
Ich war und bin immer noch sehr abergläubisch. Heute kann ich die Niederlagen von Bayer 04 und der Nationalmannschaft viel besser verdauen. Ich ärgere mich dann zwar wie ein normaler Fan, früher hätte ich am liebsten die Rolladen runtergelassen oder wäre mit einem Sack über den Kopf nur Feldwege gelaufen.

Müssen Sie dies heute auch? Wie lautet Ihr Tipp für das Pokalspiel?
Es wird für Bayer 04 kein Spaziergang, dennoch tippe ich 4:1 für meinen Klub.