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Magdeburgs neuer Kulturchef Matthias Puhle "Wer es nicht versucht, hat gleich verloren"

Matthias Puhle hat zum 1. November das Kulturdezernat der Landeshauptstadt übernommen. Unter seiner Ägide soll Magdeburg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 geführt werden. Grit Warnat hat mit dem 59-jährigen Historiker über diese Mission gesprochen.

12.11.2014, 01:17

Herr Professor Puhle, Ihre größte Aufgabe, die in den kommenden Jahren vor Ihnen liegt, werden die Vorbereitungen für die Bewerbung Magdeburgs zur Kulturhauptstadt sein. Wo steht Magdeburg?
Matthias Puhle: Magdeburg hat in den vergangenen Jahren unglaublich viel erreicht. Das sieht man an der Gebäudesubstanz der kulturellen Einrichtungen. Es wurde saniert und erweitert, zum Beispiel das Kunstmuseum, das Theater der Landeshauptstadt, das Puppentheater, das Kulturhistorische Museum sind ganz anders aufgestellt als noch vor Jahren. Das Personal der Häuser hat sich eine Reputation erarbeitet. Und neben der geförderten Kunst und Kultur hat sich eine interessante und vielfältige soziokulturelle und Künstlerszene entwickelt. Wer hätte all das vor zehn, zwölf Jahren für möglich gehalten?

Es gibt trotzdem etliche, die das Vorhaben belächeln. Was sagen Sie denen?
Wer es nicht versucht, hat gleich verloren. Ich hatte lange vor der ersten Ottonenschau im Jahr 2001 die Idee zu diesem Großprojekt. Und glauben Sie mir, es ging mir immer wieder durch den Kopf: Ist das überhaupt machbar? Ist das vermessen? Letztlich kamen mehr als 300000 Besucher ins Kulturhistorische Museum. Damit hatte niemand gerechnet, auch ich nicht in meinen kühnsten Träumen. Aus diesem Erfolg hatte sich dann sogar eine Trilogie entwickelt. Das alles musste reifen, das hat Jahre gedauert.

2019 wird die Jury nach Magdeburg kommen und über die Titelvergabe entscheiden. Was muss sich bis dahin getan haben?
Wir müssen das Dommuseum aufbauen und mit Leben füllen. Thematisch geht es dabei um die Herrschergrablege mit den Funden zum Editha-Grab, die Erzbischöfe Magdeburgs und die jahrhundertelange Veränderung des Domplatzes. Mit dem Dommuseum will die Stadt den Domplatz, das angrenzende Kloster Unser Lieben Frauen und das Kulturhistorische Museum zu einem Museumskarree aufwerten. Wichtig ist, dass in all unseren Aktivitäten die Magdeburger und die europäische Geschichte in einen Kontext gesetzt werden. Zum Schluss muss eine Bewerbung stehen, die glaubhaft und deutlich macht, welche Rolle Magdeburg für Europa spielte und spielt. Es geht schließlich nicht um eine deutsche, sondern um eine europäische Kulturhauptstadt.

Wenn Sie von der Rolle Magdeburgs für Europa reden, denkt man an das Magdeburger Recht. Welche Rolle wird es bei der Bewerbung spielen?
Es ist das historische Kernstück der Bewerbung. Wir müssen in den Vordergrund stellen, was die Verleihung des Magdeburger Rechts für die Stadtentwicklung in Mittel- und Osteuropa bedeutete. Eike von Repgows bedeutender Sachsenspiegel hatte sich in Verbindung mit dem Magdeburger Recht ja vor allem nach Osten ausgebreitet. Polen, Weißrussland, Ukraine, die Slowakei, überall in dortigen Städten brachte das Magdeburger Recht eine Rechtssicherheit und den Städten eine unabhängige Selbstverwaltung. Wir müssen auch verdeutlichen, dass die Stadt immer eine Vermittlerrolle hatte. Die begann bereits mit der ersten Erwähnung unter Karl dem Großen 805 zwischen der sächsisch-germanischen Welt auf der westlichen und der slawischen Welt auf der östlichen Seite. Diese Rolle hat sich über die Jahrhunderte erhalten. Magdeburg war stets wie ein Scharnier in der Mitte Europas.

Als Museumschef wollten Sie bereits in einer Ausstellung das Magdeburger Recht beleuchten. Dazu ist es aufgrund der großen Otto- und Gotik-Ausstellungen nie gekommen.
Heute bin ich froh, weil eine Ausstellung zum Magdeburger Recht perfekt zur Kulturhauptstadt-Bewerbung passt. 2019 ist sie geplant. Der Magdeburger Stadtrat wird demnächst über die Ausstellung und das Konzept entscheiden.

Wird es wieder eine große, bedeutende Schau?
Diese Ausstellung muss ein Knaller werden. Sie muss es schaffen, die Geschichte in Aktualität zu verwandeln. Hier in Magdeburg soll gezeigt werden, wie das Magdeburger Recht nach Europa ausstrahlte und welche Bedeutung es bis in das 21. Jahrhundert trägt. Hinter der Rechtsverleihung gibt es ja schließlich auch eine urbane Geschichte.

Wie wichtig ist die Historie für die Bewerbung?
Eine geschichtslose Stadt hätte wenig Chancen. Wir hatten in den vergangenen 20 Jahren zwei deutsche Kulturhauptstädte. Weimar 1999 konnte man fast erwarten, Ruhr 2010 mit Essen und seiner Indus-triegeschichte eher nicht. Essen hat es aber geschafft, eine Stadt zu präsentieren, die nicht wie Rothenburg ob der Tauber mit einem intakten, wunderschönen Stadtbild glänzt. Magdeburg ist auch solch eine Stadt, die viele Beschädigungen in den vergangenen Jahrhunderten erlitten hat und die es auch mit kultureller Kraft immer wieder geschafft hat, sich aus den Zerstörungen zu befreien. Die Stadt hat keine kontinuierliche Erfolgsgeschichte, sie hat aber ihre Schwere, die einst auf ihr lag, abgeworfen. Gerade darin liegt die Chance in der Bewerbung.

Wie sieht Ihr Fahrplan aus?
Lassen Sie mich im neuen Amt erst einmal ankommen. Auf alle Fälle will ich 2015 ein Expertengremium etablieren, eine Gruppe aus Magdeburgern und Experten, die auch Erfahrungen um erfolgreiche Kulturhauptstadtbewerbungen mitbringen. Wir brauchen eine innere Struktur in Form solch eines Beirates. So ähnlich war es 1999 bei der Bundesgartenschau. Die Buga ist nicht ohne Weiteres mit der Kulturhauptstadt zu vergleichen, aber damals gelang auch eine perfekte Planung und Umsetzung.

Die Kulturhauptstadt ist schon sehr lange Thema. Erst hieß es, deutsche Städte können sich für 2020 bewerben, dann 2025. Warum hat sich alles so nach hinten geschoben?
Es hatte sich eine neue Situation ergeben, weil die EU durch neue Länder größer geworden war. Deutschland ist also erst wieder 2025 dran. Das sind fünf Jahre später, als ursprünglich geplant. Dadurch wurde noch nicht so gepowert.

Bis dahin stehen mit dem 500. Jahrestag der Reformation 2017 und dem 100. Geburtstag des Bauhauses 2019 zwei große Jubiläen im Land an. Wie kann sich Magdeburg einbringen?
Natürlich ist Magdeburg auch eine Stadt der Reformation. Luther predigte hier, er hat auch ein Jahr als Schüler in der Stadt verbracht. Bekannt ist vor allem seine Predigt von 1524 in der Johanniskirche. Die Stadt folgte Luthers Reformation. 1631 ist Magdeburg für seinen Glauben unter den Truppen von Tilly zerstört worden. Zum Thema Reformation ist ebenfalls eine Ausstellung thematisiert, die 2017 im Kulturhistorischen Museum geplant ist.

Auch beim Bauhausjubiläum hat Magdeburg mit seinen Siedlungen aus den 1920er Jahren manches einzubringen. Bruno Taut und Hermann Beims haben geschlossene Bauhaussiedlungen geschaffen, wie es sie nur in wenigen Städten Deutschlands gibt. Beims war einst Oberbürgermeister, Taut Stadtrat. Beide prägten eine moderne Stadtplanung und brachten der Stadt soziale Reformen. Hier müssen wir überlegen, wie sich Magdeburg einbringen kann. Auf alle Fälle wollen wir bei beiden Jubiläen ein Wort mitreden, ohne zu verkennen, dass das Bauhaus in Dessau steht und Luther seine Wirkungsstätte in Wittenberg hatte.

Sie sind für sieben Jahre gewählt worden. Ist es von Nachteil, dass Sie 2025 nicht mehr im Amt sind?
Wieso? Die wirklich wichtigen Entscheidungen sind bis 2019 zu treffen. Dann steht auch fest, ob Magdeburg Kulturhauptstadt wird. Es ist mein großer Ehrgeiz, diese Bewerbung zum Erfolg zu bringen. Das ist nur zu schaffen, wenn sich die Magdeburger für die Bewerbung öffnen. Und das 65. Lebensjahr wird mich nicht zwingen, zu Hause zu bleiben. Fritz Pleitgen war bei der Ruhr 2010 lange über seinen 65. Geburtstag hinaus und hat all seine Erfahrung eingebracht.